Winterberg/Hochsauerland. Winterberg setzt gegen Staus und überfüllte Parkplätze auf Künstliche Intelligenz. Für das Millionen-Projekt werden unzählige Daten gesammelt.

Was haben die Königsschlösser im Allgäu, die riesige Sandbank von Sankt Peter Ording, die Sauerländer Badeseen oder die Skipisten rund um Winterberg gemeinsam? Richtig: Je nach Hauptsaison wollen alle dort hin. Entsprechend voll ist es auf den Straßen und entsprechend genervt sind die Einheimischen, die mit den Gästen im Stau stehen müssen. Um diesem Dilemma zu entkommen, um Urlauber-Ströme in Spitzenzeiten zu entzerren und zu lenken werden seit Anfang 2022 sogenannte smarte Lösungen für intelligenteren Tourismus entwickelt.

Ein LED-Hinweis-Schild mit der Aufschrift
Ein LED-Hinweis-Schild mit der Aufschrift "Alle Parkplätze belegt!" steht an einer Kreuzung in der Nähe des Kahlen Astens. In den Wintermonaten lohnt es sich für Autofahrer, auf den Pkw zu verzichten. © dpa | Bernd Thissen

Das Bundesumweltministerium hat dazu das 3-Millionen-Projekt AIR gestartet. Es steht für „Artificial Intelligence Recommender“ – also für Empfehlungen, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Neben dem Allgäu, der Nord- und Ostsee sowie dem Ruhrgebiet sind unter den insgesamt 20 Teilnehmenden auch die Wintersport-Arena Sauerland und der Sauerlandtourismus. Wie weit ist das Projekt?

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Nur ein heißes Wochenende

Die heiße Phase der kalten Hochsaison rund um den Kahlen Asten geht zu Ende: „Streng genommen hatten wir in diesem Winter nur ein Wochenende, an dem sowohl Straßen als auch Parkplätze ausgelastet und kurzzeitig überlastet waren. Das war das letzte Januar-Wochenende, als die Niedersachsen Ferien hatten. Ansonsten lagen die restlichen Wochenenden diesen Winter im Rahmen der Kapazitäten. Aber die Wünsche der Einheimischen und der Gäste sind berechtigt. Alle wollen gut durchkommen, die Rettungswege müssen zugänglich sein. Und wenn künftig zum Beispiel ein Skifahrer aus Dortmund dank AIR noch einen freien Parkplatz am Bremberg findet, dann ist der Winterberger Bürger froh, dass ihm der Tourist nicht den Stellplatz zum Einkaufen am Waltenberg weggenommen hat. Dann profitieren beide“, sagt Julian Pape. Er ist Projektleiter der Wintersport-Arena Sauerland und arbeitet in der Funktion im AIR-Projekt mit.

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Kameras installiert

Was will dieses AIR? In diesem Winter wurde an 13 Parkplätzen u.a. in Winterberg und Willingen gemessen, wann welche Fahrzeuge wo wie lange gestanden haben. „Es wurden Kameras installiert, die keine Bilder machen und auf denen keine Personen oder Kennzeichen zu sehen sind. Es geht lediglich um Anzahl, Größe, Bewegungsrichtung und Verweildauer der Fahrzeuge“, erklärt Julian Pape. Das Verhalten und die Situation auf den Parkplätzen sind aber nur zwei Parameter in einer Vielzahl von Daten, die von den Forschungspartnern Outdooractive (Immenstadt), dem WTZ Füssen (Hochschule Kempten), der FH Westküste (Heide) und der FH Kiel sowie dem Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa in Kiel erhoben und ausgewertet werden. „Unterm Strich soll aus allen Daten eine durch künstliche Intelligenz generierte Empfehlung für den Gast herauskommen“, erklärt Julian Pape.

„Digitales Besuchermanagement“

„Das Projekt AIR untersucht in einem bundesweiten Verbund von Praktikern vor Ort und Forschungspartnern, wie ein digitales Besuchermanagement gestaltet werden muss, um Besucher/innen frühzeitig mit geeigneten Informationen über die aktuelle oder zu erwartende Auslastung am gewünschten Ziel zu versorgen“, heißt es in der Projektbeschreibung.

Die Wintersport-Arena Sauerland stellt mit ihren Winterangeboten in 30 alpinen und 15 nordischen Skigebieten ein unvergleichliches Freizeitangebot. Sie ist für Erholungssuchende und Sportler aus dem Rhein-Ruhr- und Rhein-Main-Gebiet sowie aus weiten Teilen der Niederlande und Belgien die erste Anlaufstelle. Ein deutlicher Ausbau der Infrastruktur in den vergangenen 20 Jahren, insbesondere im alpinen Bereich, hat die Anziehungskraft der Region noch verstärkt. An schneereichen Wochenenden und in Ferien führt diese Alleinstellung aber teils zu Kapazitätsproblemen auf Parkplätzen und bei der Anreise.

Parkplätze füllen sich rund um das Skiliftkarussell in Winterberg sehr schnell, nahe gelegene und kleinere Skigebiete werden aufgrund der geringeren Größe dagegen seltener angefahren. Eine bessere räumliche und zeitliche Verteilung der Fahrzeuge, wie auch eine Umverteilung auf alternative Anreiseformen - und all das in Echtzeit - sind das Ziel dieses Projektes.

Ähnliche Ziele verfolgt der Sauerland-Tourismus mit seinen Partnern, den Sauerland-Seen, wozu auch Diemel- oder Sorpesee zählen. Auch dort sollen an mehreren Parkplätzen Messinstrumente installiert werden, um bessere Informationen zu Auslastungen in Abhängigkeit von Wetterverhältnissen, Ferienzeiten, Wochenenden etc. zu sammeln. Zusätzlich werden dort in den Sommermonaten Befragungen durchgeführt. Weitere Infos gibt es auch im Internet unter air-tourism.de.

Das könnte konkret heißen: Familie Meier aus Essen „füttert“ eine App oder ein Online-Tool einen Tag vor der Anreise und tippt ein, dass sie gegen 10 Uhr am Ziel sein will und lift-nah parken möchte. Das intelligente System berücksichtigt die gesammelten „Erfahrungswerte“, lässt die Verkehrslage einfließen, kalkuliert das aktuelle Wetter oder die Feriensituation mit ein und gibt vermutlich aus ökologischer Sicht zunächst den Tipp: „Reisen Sie mit der Bahn an!“ Wer aber aufs Auto besteht, bekommt alternative Skihänge, Parkplätze und vielleicht auch sinnvollere Anfahrtzeiten empfohlen. „Spannend bleibt natürlich die Frage: Berücksichtigt der Gast die Empfehlungen oder ignoriert er sie“, blickt Julian Pape interessiert nach vorn.

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Der erste Winter auf den heimischen Parkplätzen ist mittlerweile quasi im Kasten. „Wir werden auch noch die Daten vom nächsten Winter brauchen. Vielleicht gibt es dann eine erste, noch nicht offizielle Testversion. Ich denke im Winter 2024/25 könnte das Tool an den Start gehen“, meint Pape. An der Ostseeküste gibt es mit einem sogenannten Strand-Ticker erste Erfahrungen darüber, inwieweit Hinweise über Auslastung von Strandabschnitte wahrgenommen und beherzigt werden. All das fließt in die weiteren Überlegungen ein. Eine wichtige Rolle bei AIR kommt auch den Medien zu, die – seien es Internet, Zeitungen, Radio oder Fernsehen – als sogenannte Touch-Points agieren, über die die Informationen zur Verkehrslage abgerufen bzw. verbreitet werden. Egal wie, aber etwa mehr AIR, alsp etwas mehr Luft auf den Straßen wäre schon nicht verkehrt...