Brilon. LWL-Direktor Dr. Georg Lunemann besucht die Caritas Brilon. Im Dialog mit Caritaschef Eirund wird klar: Der soziale Sektor hat große Probleme.
Dr. Georg Lunemann, seit dem 1. Juli 2022 der neue Landesdirektor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), besuchte jetzt den Caritasverband Brilon, um sich über aktuelle wie zukünftige Themen und Herausforderungen auszutauschen. Begleitet wurde der Landesdirektor von Wolfgang Diekmann, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-LWL-Fraktion.
Wirtschaften nach drei Jahren Corona-Pandemie und weiteren Unsicherheiten
Der Schwerpunkt des Treffens lag dabei auf dem Bereich der Eingliederungshilfe. Zum Gesprächsauftakt skizzierte Heinz-Georg Eirund, Vorstand Caritasverband Brilon, wie sich das Wirtschaften in einem Wohlfahrtsverband nach drei Jahren Corona-Pandemie sowie angesichts der allgemeinen Verunsicherungen und Neuordnungen auch durch den Angriffskrieg auf die Ukraine – Schlagworte Inflation und Energie – darstellt.
Lesen Sie auch: Mediengestalter bei kreativkarussell: „Besser, als erwartet“
„Wir stehen bei den Pflege- und Tagessätzen in Einzelverhandlungen mit allen Kostenträgern, um die Kosten und Risiken der Krisen abzudecken, die nur zum Teil von den Kostenträgern angemessen gewürdigt werden“, sagte Vorstand Eirund. Enorm anstrengende Kraftakte, die von einem weiteren Brennpunktthema flankiert werden: Personal- und Fachkräftemangel.
„Die Probleme, die auf uns zukommen, sind mit Geld allein nicht mehr zu lösen“, sagte Landesdirektor Lunemann und nannte unter anderem die Digitalisierung als einen Ansatz, um zukünftig die Arbeit mit und am Menschen leisten zu können. Darüber hinaus führte Lunemann als weitere Lösungen Dezentralisierung und Ambulantisierung an. „Wir sollten Menschen möglichst dort betreuen, wo sie auch herkommen, um bestehende Netzwerke, wie beispielsweise die Familie, einzubinden.“ Auch wenn neue Lösungsmöglichkeiten, wie etwa die Akquise ausländischer Arbeitskräfte, für die Hilfe und Pflege für Menschen mit Behinderungen, im Alter und bei Erkrankung forciert würden, so „bleibt es eine Herausforderung, die Leistungen weiter in guter Qualität zu erbringen“, sagte der Landesdirektor.
Facharztmangel in der psychiatrischen Versorgung
Dabei zeichnen sich die Problemlagen bereits jetzt ab und bedingen mitunter einander: „Der Facharztmangel in der psychiatrischen Versorgung führt in unserem Einzugsgebiet dazu, dass gesetzliche Vorgaben zum Teil nur beschränkt umgesetzt werden können“, sagte Thomas Schneider, Geschäftsführer „Beratung, Erziehung, Begleitung“ im Caritasverband Brilon. Dabei befindet sich die Eingliederungshilfe im Zuge der stufenweisen Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG), das Menschen mit Behinderungen durch zahlreiche Neuerungen, wie beispielsweise die Feststellung des individuellen Hilfebedarfs durch ein neues Bedarfsermittlungsinstrument, mehr Teilhabe am Leben ermöglichen soll. Das Gesetzpaket zum BTHG samt praktischen Umsetzungen wurde in vier Stufen – auch und vor allem parallel zur Corona-Pandemie – eingeführt. Wann es abgeschlossen werden kann, ist aktuell nicht absehbar.
Lesen Sie auch: Älteste Frau der USA (110) Jahre soll aus Leitmar stammen
Als ein besonderes Projekt in besonderen Zeiten wurde die Wohngruppe St. Michael vorgestellt. Dort leben seit knapp einem Jahr 17 Frauen mit einer geistigen Behinderung, die aus ihrer Heimatstadt Kiew vor dem Krieg flüchten mussten. Die Frauen und ihre Betreuerinnen wurden von der Caritas Brilon kurzentschlossen , aufgenommen.
Refinanzierung mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden
Auch andernorts haben Wohlfahrtsorganisationen Wohngruppen für ukrainische Flüchtlinge mit Behinderungen eingerichtet. „Im März 2022 sagte Gesundheitsminister Laumann zu uns: Nehmt die Menschen jetzt auf; die Refinanzierung regeln wir später“, erzählte Caritas-Vorstand Eirund. Das „Später“ zieht sich bis heute: „Die Refinanzierung ist mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden und leider bis heute nicht komplett gelaufen“, bemängelte Eirund. So seien mitunter Zuständigkeiten ungeklärt und Behörden verweisen aufeinander. Am Beispiel: Um den Ukrainerinnen eine Tagesstruktur zu ermöglichen und damit deren Betreuerinnen auch eine Entlastung zu bieten, besuchen die 17 Frauen mit Behinderungen tagsüber die Caritas Werkstätten St. Martin. „Da haben wir im vergangenen Jahr noch ein Delta, das nicht finanziert wurde, weil kein Kostenträger sich dafür zuständig fühlt“, sagte Daniela Bange, Fachbereichsleitung Caritas Werkstätten St. Martin.