Winterberg. In Winterberg bringt er Touristen Skifahren bei. In der Ukraine kämpft Levin gegen russischen Invasoren. Was er über seinen Söldnereinsatz sagt.
„Ich fahre in den Krieg“. Mit diesem Gedanken steigt Levin am 3. März 2022 in seinen Tesla. Der 25-jährige Kieler, der als Skilehrer in der Neuen Skischule in Winterberg arbeitet, hatte seiner Mutter noch gesagt, dass er lediglich humanitäre Hilfe an der polnisch-ukrainischen Grenzen leisten wolle. Doch das stimmt nicht. Damals will er kämpfen. Tagelang hatte der Ex-Marine-Soldat zuvor den Aufmarsch der russischen Truppen an der Grenze der Ukraine verfolgt, sich frühzeitig im Internet mit Gleichgesinnten und anderen Ex-Militärs über das Geschehen ausgetauscht.
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Weder Kriegsjunkie noch Rambo
In der Nacht des russischen Überfalls vom 23. auf den 24. Februar 2022 kann er nicht schlafen, berichtet er. Als Putins Angriffswelle anrollt, ist das Entsetzen bei ihm groß. Die Nachrichten verfolgt er von da an in Echtzeit. „Wie verrückt muss diese Welt sein, dass so etwas in Europa wieder passiert?“, fragt er sich. Sieben Jahre lang habe er als Marinesoldat der Bundeswehr gedient. In den Auslandseinsatz habe er nie gemusst. Doch wie viele andere Freiwillige, mit denen er über das Internet im Kontakt steht, habe er sich die Frage gestellt: „Ich habe die Fähigkeiten die Ukraine zu unterstützen. Was kann ich tun, um zu helfen?“ Schlussendlich entschließt er sich dazu, es einfach zu tun. In Paderborn und Dresden holt er zwei weitere Freiwillige ab. „Wir sind über die Autobahn gedüst, haben Chartmusik gehört und hatten Spaß. Dabei sind wir in den Krieg gefahren. Das war total surreal.“
Fast ein Jahr später sitzt er in einem Aufenthaltsraum der Neuen Skischule in Winterberg. Seit 2019 arbeitet er hier als Skilehrer. Levin möchte aus Sicherheitsgründen nicht seinen Nachnamen nennen. An diesem Mittwochmittag herrscht Kaiserwetter. Die Sonne scheint, die Piste ist gut präpariert und der Kieler, der sich in dem Wintersportort mit einem anderen Skilehrer eine Wohnung teilt, berichtet von seinem Fronteinsatz. Er spricht klar, sein Bericht ist durchstrukturiert. Man hat nicht das Gefühl, dass man vor einem Kriegsjunkie oder Rambo sitzt. Der Mann im Skianzug und mit den jugendlichen Gesichtszügen wirkt reflektiert und mit sich im Reinen. Levin fährt fort.
Training für den Einsatz an der Front
Als er und seine Mitstreiter schließlich Anfang März in Rzeszów einer Stadt in der Nähe der polnisch-ukrainischen Grenze ankommen, können sie schon die Auswirkungen des Krieges sehen. Vor einem Hotel, das die Vereinten Nationen als Basis nutzen, stehen gepanzerte Fahrzeuge, verzweifelte ukrainische Flüchtlinge bevölkern die Stadt. „Dort haben wir realisiert: „Wir sind da und wissen nicht was wir tun sollen“, sagt Levin. Zunächst entscheiden sie sich dagegen, mit dem E-Auto in das Kriegsgebiet zu fahren. Was ist, wenn die Ladestationen nicht mehr funktionieren? In einem Militärshop versorgen sich die Drei schließlich mit Mützen und Kaltwetterkleidung.
Am nächsten Tag ordern sie ein Taxi Richtung Grenze. So kurz nach Kriegsbeginn wollen viele nur noch raus aus der Ukraine. Levin und seine Begleiter wollen rein. Der ukrainische Grenzbeamte wundert sich ein wenig, lässt die Deutschen aber gewähren, als sie ihren Grund für die Einreise nennen. „Wir wollen zur Legion “, sagen sie. Sie meinen die Internationale Legion der Territorialverteidigung der Ukraine - die Fremdenlegion der Ukraine, die kurz zuvor hastig vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gegründet worden ist. Der Beamte stempelt die Pässe ab. Sie sind im Kriegsgebiet. Levin lehnt sich auf seinem Stuhl in der Winterberger Skischule zurück und schüttelt mit dem Kopf. So, als ob er sich immer noch über das wundert, was er im vergangenen Jahr erlebt hat. „Da steht man da und ist plötzlich in einem Land, wo Krieg herrscht“, sagt er und im Hintergrund hört man das Mahlen der Kaffeemaschine. Er fährt fort.
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Hinter der Grenze entdecken sie ein DINA4 Blatt in Klarsichtfolie das an einem Zelt angepinnt wurde: „Help Desk for Foreign Soldiers“, steht darauf und eine Telefonnummer. Sie wählen die Nummer. Schon bald werden sie mit einem Militärfahrzeug der ukrainischen Armee abgeholt. Ziel: Das sogenannte Zentrum für Friedenssicherung und Sicherheit in Jaworiw. Dort sollen sie für den Einsatz an der Front trainiert werden.
Flammende Explosionen
Levin holt sein Smartphone hervor und zeigt Fotos der ersten Tage. Er hat auch seinen Vertrag fotografiert. Ein Kontrakt zwischen ihm und der ukrainischen Armee. Drei Jahre sei der gültig, sagt er. Doch man habe angeblich jederzeit die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Für einen Monat Dienst gibt es 1.000 Dollar. Kämpft man direkt an der Front, erhalten die ausländischen Söldner 3.000 Dollar monatlich. In Jaworiw selber werden die Rekruten militärisch geschult. Von der medizinischen Versorgung Verwundeter, der Kommunikation im Kampfgebiet bis hin zum Schießtraining. Die Freiwilligen kommen aus aller Herren Länder, berichtet Levin. Da gibt es unter anderem Finnen, Amerikaner und Briten. Nicht jeder bringt eine militärische Ausbildung mit. Levin dagegen weiß, wie man ein Sturmgewehr bedient. Die Umgewöhnung an das AKMS, ein Kalaschnikow-Gewehr, fällt ihm nicht schwer.
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Von einem Luxusleben vor Ort kann keine Rede sein. Mit mehreren Kameraden teilt man sich einen Raum auf Feldbetten. Und regelmäßig gibt es Raketenangriffe der Russen. Einen Bunker gibt es nicht. Und ein automatisches Warnsystem auch nicht. Manuell bedient ein ukrainischer Soldat eine Sirene und die Freiwilligen rennen in ein angrenzendes Wäldchen. Das sei natürlich beängstigend gewesen, berichtet Levin. Er zeigt ein Video, das einer seiner Kameraden gedreht hat. Dort hört man zunächst das Pfeifen und dann die donnernden Explosionen der russischen Marschflugkörper. Das Video sei genau in dem Wäldchen aufgenommen worden, wohin er und seine Kameraden geflüchtet seien, berichtet er. Passiert sei dies am 13. März 2022. Schreiende Soldaten sind zu hören und flammende Explosionen im Hintergrund zu sehen. So muss es in der Hölle sein.
Levin hebt den Kopf. „Von der Hölle würde ich jetzt nicht sprechen“, sagt er kühl. Doch die Erschütterung ist ihm noch anzusehen. Nach offiziellen ukrainischen Angaben sollen an jenem Tag 35 Menschen getötet worden sein. Die Russen setzen die Zahlen höher an. Levin ist die genaue Zahl egal. Er hat die Zerstörung gesehen: Tote, Verletzte. Der Mann, der sonst immer immer manuell die Sirene bedient hat, stirbt in jener Nacht - begraben unter einem eingestürzten Vordach. Freiwillige seien aber nicht unter den Opfern gewesen. Viele Ausländer seien danach wütend und verängstigt aufgrund des fehlenden Raketenalarms abgereist. Levin ist immer noch sauer, wenn er daran denkt. Auch er reist zunächst zurück nach Deutschland. „Ich habe einmal in einem deutschen Café gesessen und habe festgestellt, dass für uns hier das Leben normal weitergeht und in der Ukraine Menschen getötet werden. Das war schon schwierig für mich“, sagt er. Wenig später geht es für ihn zurück ins Kriegsgebiet. Nach weitere Ausbildungseinheiten in einem geheimen Camp wird er an die Front nahe Charkiw verlegt.
In ehemaligen Schützengräben aus dem 2. Weltkrieg beziehen sie Position. „Es ging darum, die Verteidigungslinien zu halten und den Russen zu zeigen, dass wir da sind“, sagt Levin. Den Feind habe man immer im Auge gehabt. Die Stellungen der Invasoren seien etwa ein Kilometer entfernt gewesen. Da könne man auch nicht sehen, ob man die gegnerischen Soldaten getroffen habe oder nicht. Auch habe er keine Angst wegen Scharfschützen gehabt. „Dafür war die Entfernung einfach viel zu groß“, sagt er.
„Die haben auch schlecht gezielt“
Die größte Gefahr seien die Artillerieangriffe gewesen. Vor Explosionssplittern könne man sich schützen, vor einem Volltreffer aber nicht. Er habe auch Kameraden verloren, sagt er mit leiser Stimme. Seine Einheit habe aber davon profitiert, dass das gegnerische Bataillon viele taktische Fehler begangen habe. Und: „Die haben auch schlecht gezielt“, sagt er lapidar.
Ende August, Anfang September ist seine Einheit dann auch Teil einer ukrainischen Gegenoffensive. Dabei erbeutet sie unter anderem russisches Kriegsgerät. Im November 2022 kehrt er zurück nach Deutschland. Bald fängt die Skisaison in Winterberg wieder an. Ihm sei nun wichtig vom Krieg abschalten zu können. Er holt tief Luft. „Sonst wird das einem auch alles zu viel“, sagt er. Manche Kameraden hätten Suizid begangen. Trotzdem will er bal wieder zurück an die Front. Seine Winterberger Kollegen wissen von seinem Einsatz. Viele würden ihn mit Fragen löchern. Private Verpflichtungen wie beispielsweise eine Frau oder Freundin habe er nicht. Seine Mutter würde anerkennen, dass er für eine gute Sache sein Leben riskiere. Draußen auf der Skipiste blinzelt er in das Sonnenlicht und beobachtet die Skifahrer, die entspannt den Abhang herunterdüsen. Es ist die pure Urlaubsidylle. So friedlich.