Hochsauerlandkreis/Waldeck. Die Lage in den Apotheken ist dramatisch – auch im Sauerland. Die Apotheker sind sauer und sprechen von einem sprechen von einem System-Crash.
Immer lauter werden kritische Stimmen auch aus der heimischen Apothekerschaft wegen der Lieferengpässe, die es zurzeit unter anderem für Fiebersäfte, Antibiotika, Inhalativa, Hustenmittel, Insulin und starke Schmerzmittel gibt. Besonders ärgert viele Apotheker/innen, dass ihnen von Seiten der Politik unterstellt werde, für die derzeitige Situation mit verantwortlich zu sein.
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Kritik: „Verfehlte Politik“
Einer, der seit längerem immer wieder darauf hinweist, wie schwierig die Situation auch in den Sauerländer Apotheken ist, ist Jürgen Schäfer, Inhaber der Franziskus-Apotheke in Winterberg. Er sagt: „Hier brennt es wirklich. Die Situation ist äußert extrem und Folge einer verfehlten Politik.“ Deshalb unterstützt er auch einen offen Appell, den sein Apotheker-Kollege Lukas Frigger aus Bad Arolsen öffentlich gemacht hat. Lukas Frigger stammt gebürtig aus Olsberg und ist seit einem Jahr Inhaber der Akazien-Apotheke im benachbarten Landkreis Waldeck-Frankenberg. Er sagt: „Der Kampf um die letzte Ibu-Flasche ist ausgebrochen. Gleichzeitig poltert Herr Lauterbach weiter gegen die Apothekerschaft. Das kann man so nicht hinnehmen.“
Alle 27 Stunden stirbt eine Apotheke
Er kritisiert weiter: „Bereits seit Jahren zeichnen sich die herben und nun vollkommen eskalierenden Lieferengpässe ab. Apotheker warnen bereites seit sehr, sehr lange Zeit vor dem Crash, den wir gerade erleben.“ Worte, die auch der Winterberger Apotheker so unterschreiben kann. Jürger Schäfers erklärt: „Alle 27 Stunden stirbt in Deutschland eine Apotheke. Das muss man sich mal vorstellen.“ Und sein hessischer Kollege befürchtet, dass sich dieser Trend ganz rasant weiter verschärfen wird.
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Auch der Apotheker-Verband Westfalen-Lippe weist in einer aktuellen Pressemitteilung darauf hin, dass sich das Problem der Arzneimittel-Engpässe immer weiter zuspitze und kritisiert, dass Bürokratie und strikte Vorgaben die Lage zusätzlich verschärfen würden. Andreas Vogd, Sprecher der Bezirksgrupppe Hochsauerland, erklärt: „Aktuell hat nahezu jede Krankenkasse ihre eigenen Regeln, welche von Engpässen betroffene Arzneimittel zügig ohne Genehmigung importiert werden können und für welche Medikamente etwaige Mehrkosten übernommen werden können.“
Vorschlag: Flohmärkte für Medikamente
Der Vorstandsvorsitzende des Apothekerverbandes Westfalen Lippe, Thomas Rochell betont: „Die Apotheken vor Ort tragen keinerlei Schuld an diesen Lieferengpässen.“ Unterstellungen aus der Politik, die Apotheken horteten Arzneimittel, weist er entschieden zurück. „Das ist absurd und nur ein Versuch, von den eigentlichen Problemen abzulenken.“ Der Bad Arolser Apotheker Lukas Frigger sieht das, genau wie sein Winterberger Kollege genauso. Davon, dass Medikamente gehortet würden, könne keine Rede sein: „Wenn wir mal 20 Flaschen Ibusaft bekommen, dann sind sie in drei Stunden weg.“
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Völlig fassungslos macht die beiden Pharmazeuten der jüngste Vorschlag, private „Flohmärkte für Medikamente“ zu veranstalten, auf denen auch Arzneimittel getauscht werden sollen, deren Haltbarkeitsdatum überschritten ist. Medienberichten zu Folge hat das Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, gefordert, um Lieferengpässe bei Arzneimitteln zu bekämpfen.
„Wie man auf so eine Idee kommen kann, das ist schon haarsträubend, einfach unfassbar“, bringt der Winterberger Apotheker Jürgen Schäfer sein totales Unverständnis auf den Punkt. Und Lukas Frigger warnt: „Das ist richtig gefährlich.“ Auch Thomas Rochell als Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen Lippe findet klare Worte: „Ein solcher Vorschlag, unterbreitet vom obersten Vertreter der Ärzteschaft, ist der Offenbarungseid des deutschen Gesundheitssystems.“ Dass Patienten Arzneimittel, die womöglich auch noch abgelaufen seien, wie abgelegte Kleider auf dem Basar tauschten, sei höchst riskant.
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Offener „Brandbrief“
In seinem offenen „Brandbrief“ und „Hilferuf“ schreibt Lukas Frigger: „Der einzige Grund, warum wir momentan im Gesundheitswesen noch handlungsfähig sind, liegt in der dezentralen und engagierten Arbeit der selbstständigen Heilberufler vor Ort. So sprechen die Apotheken mit Kinderarztpraxen und stimmen die Behandlung der kleinen Patienten miteinander ab. Hierbei sind der enge Kontakt und die jeweils regional sehr unterschiedlichen Lieferfähigkeiten und das Infektionsgeschehen aufeinander abzustimmen. Dieser Balanceakt aus Verfügbarkeit, Pharmakologie und Erstattungsfähigkeit ist lediglich mit viel Fachwissen und hohem zeitlichen Aufwand für alle Beteiligten zu bewältigen.“
Auch der Winterberger Apotheker Jürgen Schäfer erzählt, dass viele Eltern inzwischen in den Apotheken in weitem Umkreis herumtelefonieren oder überall hin fahren, um die Medikamente zu bekommen, die ihnen der Arzt für ihre Kinder verordnet hat. Selbstverständlich versuche auch er als Apotheker, Alternativen zum Beispiel anderer Hersteller zu finden. Das sei allerdings oft sehr zeitaufwendig und mit vielen Rücksprachen und Telefonaten beim Arzt verbunden. „Natürlich versuchen wir, für jeden Patienten eine Lösung zu finden. Schließlich geht es hier um die Gesundheit der Kinder“, betont Jürgen Schäfer.