Marsberg. Cindy Spengler aus Marsberg ist Mutter eines vierjährigen Sohns. Bärbel Jürgens ist Kinderärztin in Marsberg. Zwei Frauen und ihre Perspektiven.
Die Suche nach einem Kinderarzt ist schwer, viele Eltern müssen teils weite Wege in Kauf nehmen, um ihr Kind ärztlich versorgen zu lassen. Wie sich das für Eltern anfühlt schildert eine Marsberger Mutter. Die Kinderärztin Bärbel Jürgens aus Marsberg bezieht dazu Stellung – und kann manches, was für Eltern unverständlich scheint, erklären.
Mutter aus Marsberg fährt 25 Minuten zum Kinderarzt
Cindy Spengler hat einen vierjährigen Sohn. Geboren wurde er in Hessen, dort hat die Familie lange gelebt bis sie nach Marsberg, genauer Oesdorf, umziehen. Der Kinderarzt ihres Sohnes ist noch immer in Bad Arolsen. Eine Fahrtstrecke von 25 Minuten. „Wir sitzen also rund eine Stunde nur im Wagen für den Kinderarztbesuch.“ Erst vor einigen Tagen muss die Marsbergerin eine Urinprobe ihres Sohnes abgeben – und ist dafür mehr als eine Stunde unterwegs, bei Schnee und Glätte. „Es wäre natürlich einfacher, mit ihm kurz nach Marsberg zu fahren statt nach bad Arolsen“, sagt Cindy Spengler.
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Bärbel Jürgens ist Kinderärztin in Marsberg und betreibt mit ihrer Kollegin Anja Dewenter eine Praxis. „Wir übernehmen Kinder aus dem Stadtgebiet in Marsberg, das ist für uns gesetzt“, erklärt sie. Ausnahme: Wenn das Kind zuvor schon bei einem anderen Allgemeinmediziner gewesen ist. Ein Fall, der wohl auf Cindy Spengler zutrifft. Bärbel Jürgens betont: „Wir haben natürlich auch Familien, die wir in der Anfangszeit unserer Praxis aufgenommen haben und die nun in Wünnenberg leben. Die schicken wir natürlich nicht weg. Aber aus Marsberg nehmen wir alle Kinder auf, auch Geschwisterkinder. Das ist sozusagen unsere erste Frage bei einem Aufnahmegespräch.“ Endlos-Kapazitäten hat die Praxis nicht. So haben die beiden Ärzte jeweils einen 3/4-KV-Sitz, arbeiten also Teilzeit. Zusätzlich arbeiten die Ärztinnen noch in der Paderborner Notfallpraxis, Papierkram steht an. Ein zeitintensiver aufreibender Beruf.
Mutter will nach Marsberg wechseln, doch das ist nicht möglich
Cindy Spengler spricht nur gut von den Marsberger Ärztinnen. „Ich habe gehört, sie sollen richtig richtig nett sein“, sagt sie. Als ihr Sohn Hand-Mund-Fuß bekommt, will sie in die Praxis fahren. Seit der Nacht hat der Junge Fieber, liegt apathisch auf der Couch. „Ich wollte nicht extra nach Paderborn und habe in der Praxis angefragt, ob ich kommen kann. Ich dachte, als Notfallpatient wäre es bestimmt möglich, irgendwann dazwischen genommen zu werden.“ Der Sprechstundenhilfe schildert sie am Telefon wie es ihrem Sohn geht. Sie fragt: „Kann ich kommen?“ Die Frau am Telefon habe gesagt, dass kein Termin mehr frei sei. Dass sie ja keine Patientin in der Praxis sei. „Ich habe ihr dann gesagt, dass es mir sehr entgegenkommen würde, wenn mein Sohn als Patient in die Praxis aufgenommen werden könnte. Aber die Antwort war nur, dass kein Platz frei wäre. Man müsste ja auch die Flüchtlinge betreuen.“ Cindy Spengler weint am Telefon, als sie das hört. Aus Verzweiflung, irgendwie auch aus Wut. Sie hat das Gefühl, dass die Praxis nicht helfen will. Schlussendlich fährt sie nach Paderborn.
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Bärbel Jürgens versteht den Frust der Eltern
Bärbel Jürgens kann den Frust und die Sorgen der Eltern gut verstehen. Ein krankes Kind ist eine emotionale Angelegenheit, die Angst manchmal groß. Sie erklärt, wie ihr Team handelt. „Allein am Telefon ist es manchmal schwierig, alle Anrufe entgegen zu nehmen, viele Eltern müssen mehrfach anrufen. Wir haben zwei Leitungen besetzt. Für mehr haben wir keine Kapazitäten. Die Medizinischen Fachangestellten fragen am Telefon zudem immer ab, wie es dem Kind geht und sortieren dann im Voraus, wer unbedingt kommen muss. Apathische Kinder nehmen wir aber eigentlich immer auf.“ Vielleicht ein Missverständnis in der Kommunikation? Das kann Bärbel Jürgens natürlich nicht sagen. Sie betont aber, dass ihr Team sorgfältig arbeite mit ihrer steten Unterstützung. „Wir können auch nicht jedes Kind aufnehmen, dass gerade eine Tag Fieber hat. Mein Team gibt daher oft am Telefon schon Antworten auf die dringendsten Fragen und Ratschläge, was Eltern tun können um das Praxisaufkommen zu steuern.“
Schwere Zeit für Praxen nach der Pandemie
Es sei eine superschwierige Zeit für die Praxen – und die MFAs seien an vorderster Front, würden Frust und Wut jeden Tag aufs Neue abfangen. „Das geht an die Substanz.“ Viele Eltern haben Verständnis, tragen die neuen Umstände, verursacht durch die Pandemie, mit. Denn der Praxisalltag ist stressig. Am Vormittag die Routineuntersuchungen, bei denen Fristen eingehalten werden müssen und die wichtig sind. Danach die offene Sprechstunde mit den akut erkrankten Kindern. Nicht alle Eltern dürfen dann sofort kommen, denn gesunde und kranke Kinder werden in der Praxis zu unterschiedlichen Zeiten einbestellt.
Bärbel Jürgens ist wichtig, dass Eltern diese Strukturen erkennen und verstehen, dass das Praxisteam zwar versuche allen gerecht zu werden, dass die schiere Zahl an Patienten und gewisse Strukturen wie die zeitlich gebundenen U-Untersuchungen aber eine Vorauswahl und einige Beschränkungen nötig machen. „Mir ist auch wichtig, dass alle offen mit uns sprechen können. Wenn es Fragen oder Kritik gibt, wir haben immer ein offenes Ohr.“