Brilon. Eine Frau sagt, ihr Chef hat sie sexuell bedrängt. Es existieren Chats und Aufnahmen. Doch der Handwerksmeister fühlt sich zu unrecht angeklagt.

Ein Briloner Handwerksmeister soll seine Auszubildende sexuell belästigt haben – auch, indem er das Abhängigkeitsverhältnis der jungen Frau ausgenutzt habe. Ein Strafbefehl liegt gegen ihn vor, gegen diesen hat er Einspruch eingelegt – und lässt es auf einen Prozess ankommen, denn er bestreitet die Vorwürfe vehement. Angeblich habe seine Auszubildende ihn manipuliert – bis hin zu Suizidgedanken. Vor Gericht entfaltet sich eine Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeziehung, die die sachliche Ebene schnell verlassen hat.

Briloner Handwerksmeister zuvor nie auffällig gewesen

In seinem Briloner Handwerksbetrieb bildet der 58-Jährige seit Jahrzehnten Azubis aus. Nie ist er auffällig geworden. Im August 2018 beginnt eine damals 20-jährige Olsbergerin ein Praktikum. Schnell ist klar, dass sie die Ausbildung in dem Betrieb machen darf. Sie ist eine vielversprechende Arbeitskraft, strengt sich an, hat Spaß am Beruf. Das sagen beide. Dann ändert sich das Verhältnis. Auch das sagen beide. Doch die Wahrnehmung ist eine unterschiedliche, denn während er beteuert, dass er nichts Falsches getan habe, wirft sie ihm sexuelle Übergriffe vor. Viele. Vor Gericht werden vier angeklagt. Alle sollen zwischen August 2018 und Juli 2019 stattgefunden haben. Der Handwerksmeister soll seine Auszubildende von hinten am Innenoberschenkel angefasst haben, während er ihr Handgriffe an der Maschine zeigte. Er soll sie im Lager in der Werkstatt geschubst, ihre Knöchel gegriffen und sie zu sich herangezogen, dabei ihre Beine gespreizt haben. Er soll ihr in die Hose gegriffen, ihre Unterwäsche berührt haben. Letzter Anklagepunkt: Ein Vorfall im Juni 2019 bei einem Kunden Zuhause. Der Briloner soll seiner Auszubildenden an das Gesäß gefasst haben.

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Auszubildende habe ihn manipuliert, weiter zu gehen als üblich

Der 58-Jährige sagt, seine Auszubildende habe ihn „manipuliert weiter zu gehen, als üblich ist“. Sie sei in kurzen Miniröcken zur Arbeit erschienen, habe zu viel Privates erzählt. Habe ihn dazu gebracht, die Kümmerer-Rolle einzunehmen. „In der Firma haben wir lockere Gespräche geführt, da ist es auch mal privat geworden“, sagt er. Mal habe er ihr Nachhilfe besorgt, mal dafür gesorgt, dass ihr Auto repariert wird. Irgendwann sei seine Hilfe weiter gegangen. Er habe ihre Wunden versorgt, nachdem sie ihm gezeigt habe, dass sie sich geritzt habe. „Sie hat mir das Pflaster hingeworfen“, sagt er. Er habe versucht, ihr zu helfen eine Klinik aufzusuchen. Aus ihrem Zuhause rauszukommen, von dem sie ihm geschildert habe, dass der Vater sich nicht kümmere. Und trotz dieses Verhältnisses sei es nie zu einem sexuellen Kontakt oder Übergriff gekommen. „Das stimmt absolut nicht. In einem Handwerksbetrieb muss man anleiten und es kommt zu Berührungen, aber es war nichts sexuelles. Natürlich habe ich mal ihre Hand geführt, aber ich habe sie zuvor immer gefragt.“ Durch seinen Anwalt lässt er zudem erklären, dass er den Strafbefehl, der gegen ihn vorliegt, nicht akzeptiere, da er nicht in den Spiegel schauen könne, wenn er etwas einräume, was eine kranke Frau ihm vorgehalten habe. Sein Vorwurf: Die damals 20-Jährige leide unter einer Borderline-Erkrankung.

Chatverläufe und Tonaufnahme belasten den Vorgesetzten

Chatverläufe und eine Tonaufnahme der Olsbergerin bringen den Handwerksmeister vor Gericht in Bedrängnis. Zu hören ist die Auszubildende, wie sie deutlich zu ihrem Vorgesetzten sagt: „Ich möchte nicht, dass Sie mich anfassen.“ Seine Antwort: „Was möchten Sie nicht?“ „Dass Sie mich anfassen.“ „Das hat mir auch nicht geschmeckt“, erwidert er. Wenige Sätze später sagt er: „Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat.“ Und: „Tun Sie mir einen Gefallen, bleibt das unter uns?“ Die Richterin fordert den Angeklagten auf, diese Passagen zu erklären. Der 58-Jährige behauptet, die Aufnahme sei aus dem Kontext gerissen. Verstrickt sich dabei in langen Sätzen, kommt von einer Belanglosigkeit zur nächsten. Sagt: „Na, sie sollte keinen Mist erzählen, den es so nicht gegeben hat. Sie warf mir permanent Sachen vor, hat mich unter Druck gesetzt. Jeden Tag emotional in die Enge gedrückt.“ Die Richterin bleibt skeptisch. „Wie kann ein Meister seiner Angestellten so hörig sein?“, fragt sie ihn. „Sie ist Borderlinerin, da sind Sie am Ende, wenn sie mit denen arbeiten. Ich habe an Suizid gedacht“, antwortet er. Warum er das Arbeitsverhältnis nicht beendet habe, sie auf Verleumdung verklagt habe nach derartigen „Unterstellungen“ will der Staatsanwalt wissen. Der Angeklagte wiederholt seine Anschuldigungen. Manipulation, Mitleid. Auch die Chatnachrichten, in denen er der Auszubildenden intime Sätze schreibt, begründet er so.

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Olsbergerin zittert bei der Aussage – und schildert übergriffige Sprüche

Die Olsbergerin wiederholt in ihrer Aussage die Vorwürfe der Anklage. Alles habe mit derben Sprüchen angefangen. Während sie auf dem Boden gekniet habe, sei ihr Vorgesetzter hereingekommen, habe zu ihr gesagt: „In der Position siehst du gut aus.“ Im Schlafzimmer eines Kunden habe er ihr gesagt, er wolle schon immer mit ihr in ein Bett. „Die verbalen Attacken habe ich hingenommen. Ich dachte, im Handwerk geht es eben schroffer zu“, sagt sie. Sie beschreibt die angeklagten Vorfälle. Nur durch körperlichen Widerstand habe sie sich aus diesen Situationen befreien können. Sie bekommt Probleme, sich zu konzentrieren. Ihre Arbeit leidet darunter. Dafür habe der 58-Jährige sie niedergemacht. Habe sie bloßgestellt, unter Druck gesetzt. Und die Übergriffe seien weitergegangen. Ihr Vater schildert vor Gericht, dass ihm nur aufgefallen sei, dass seine Tochter immer stiller wurde, abends bis zu 20 Minuten duschte. „Ich habe immer mit ihr geschimpft, sie soll kein Wasser verschwenden. Sie meinte nur, dass sie nach der Arbeit dreckig sei.“ Die Olsbergerin vertraut sich lange niemandem an, auch der neuen Kollegin im Betrieb nicht. Kündigen wollte sie lange nicht. „Ich hatte Angst. Er hat zu mir gesagt, dass er Kürzel in mein Arbeitszeugnis einbauen wird und jeder wisse dann, was ich falsch gemacht habe.“ Sie beginnt sich zu ritzen, wieder. Schon seit 2015 ist sie unregelmäßig wegen Depressionen und Angstzuständen in Behandlung. Irgendwann spricht sie mit ihrem Freund, der ihr zu der Tonaufnahme rät. Also versteckt sie ihr Handy und stellt ihn zur Rede. Ihr Chef verspricht auf der Aufnahme, sie nicht mehr anzufassen. Sie habe ihm geglaubt. Arbeitete nach der Aufnahme noch drei Monate in dem Betrieb, doch die Übergriffe seien weitergegangen. Irgendwann entscheidet sie sich, eine stationäre Behandlung in Anspruch zu nehmen. Sie habe nicht mehr gekonnt. Danach kündigt sie postalisch, das bestätigt auch der Angeklagte.

Therapeutin sagt vor Gericht über Belastung der Zeugin aus

Ihre Therapeutin ist vor Gericht geladen. Sie bestätigt, dass die Olsbergerin im Rahmen der Ausbildung zu ihr gekommen sei, unter hoher Belastung gelitten und ihr schließlich von den Übergriffen erzählt habe. Irgendwann habe sich die Belastung ihrer Patientin bis ins unerträgliche gesteigert – und sie hätte einer stationären Behandlung zugestimmt. Die Richterin hakt nach, wieso habe die junge Frau nicht gekündigt? „Sie hat es nicht geschafft, sich aus dieser Ausbildung zu lösen. Das Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten hatte zwei Seiten, einmal die belastenden Übergriffe, aber auch die stützende Beziehung und die guten Gespräche. Er hat ihre Wunden versorgt. Ich hatte schnell den Eindruck, dass das nicht mehr einer sachlichen Chef-Azubi-Beziehung entsprach, sondern völlig verstrickt war.“ Ihre Patientin sei ihr in den Sitzungen zu keinem Zeitpunkt unglaubhaft vorgekommen. Schuldzuweisungen oder unbegründetes „Jammern“ habe sie nie erlebt. Borderline sei bei ihr nicht abschließend diagnostiziert, das bestätigt auch eine zweite Ärztin.

Der Prozess wird die Beteiligten noch eine Weile beschäftigen. Beim Fortsetzungstermin wird die Angestellte des Briloners verhört, auch seine Ex-Frau soll geladen werden.