Hochsauerlandkreis. Eingeschränkte Öffnungszeiten, mehr Ruhetage: In der Gastronomie im HSK fehlt es an Arbeitskraft. Aber wo sind die Arbeitskräfte hin?
Die Verzweiflung ist groß, besonders unter Gastronomen. Überall fehlt es an Arbeitskräften. Thomas Hillebrand, Inhaber vom Tommy’s in Brilon, betont, dass er schon Gäste abweisen muss, wenn es ihm an Kellnern fehlt, Volker Gierse vom Hotel zur Post hat einen zweiten Ruhetag wegen fehlendem Personal eingerichtet (wir berichteten). Doch wo sind die Arbeitskräfte hin? Eine Spurensuche.
Arbeitskräfte aus der Gastronomie wandern in andere Branchen ab
Carina Bauer, Sprecherin der Agentur für Arbeit Meschede-Soest, kann für einzelne Regionen wie den Hochsauerlandkreis keine konkreten Angaben machen, doch die Entwicklung die sie NRW-weit beobachtet dürfte sich nicht allzu sehr von der im Kreis unterscheiden. So zeigt sich, dass die Arbeitskräfte aus der Gastronomie größtenteils in den Einzelhandel gewechselt sind, dazu gehören auch Supermärkte. Allein Lidl hat mit einer großangelegten Kampagne schon während der Pandemie Mitarbeiter aus der Gastro-Branche via Social-Media abgeworben. Das Versprechen: „Von uns gibts Cash aufs Konto“. Und tatsächlich, gerade während der Lockdowns wirkten die Jobs hinter der Supermarktkasse pandemiesicher, Nacht- und Feiertagsschichten gibt es dort nicht. Das wirkt wie ein Schlag ins Gesicht auf Gastronomen, die während der Pandemie nicht öffnen durften. Die Pandemie ist ohnehin das Stichwort, das die Abwanderung der Arbeitskräfte begünstigt hat.
DEHOGA-Sprecher spricht von rund 40.000 Arbeitskräften weniger in der Gastronomie
Thorsten Hellwig, Sprecher des DEHOGA NRW, kann nicht genau sagen, wohin die Arbeitskräfte aus der Gastronomie abgewandert sind. „Nach Statistiken, die uns vorliegen, sind viele in Verkaufsberufe oder in den Bereich Verkehr, Logistik gewechselt, auch in die Lebensmittelherstellung und -verarbeitung.“ Vielmehr kann der DEHOGA-Sprecher Auskunft zu der Entwicklung der vergangenen Jahre machen. „Zwischen 2009 und 2019 haben wir rund 100.000 neue Beschäftigungsverhältnisse in NRW geschaffen. Dennoch hat es bereits vor der Pandemie einen Mangel gegeben, der sich durch Corona verschärft hat.“ Er gibt an, dass im Saldo zwischen 2019 und Ende 2021 rund 40.000 Beschäftigte weniger im Gastgewerbe arbeiten. Andersherum, wechseln laut Statistiken der Agentur für Arbeit kaum Arbeitskräfte aus Branchen wie dem Einzelhandel oder dem Gesundheitswesen in die Gastronomie. Hohe Abwanderung, kaum Zuwanderung. Darauf müssen Gastronomen reagieren. Ganz konkret können sie das mit verschiedenen Maßnahmen, wie Hellwig erklärt. Weitere Ruhetage wie auch Volker Gierse sie eingeführt hat, verringerte Öffnungszeiten, konzeptionelle Änderungen wie das Schließen von Restaurants in Hotels oder das Ändern der Speisekarte.
Ein Teil der Arbeitskräfte kehrt zurück, das glaube der DEHOGA-Sprecher
Thorsten Hellwig ist aber trotz der aktuell misslichen Lage optimistisch, dass wenigstens ein Teil der Arbeitskräfte wieder zurückkehren wird. „Viele wollen immer noch gerne im Gastgewerbe arbeiten, aber sie brauchen wieder eine sichere Jobperspektive. Wir hoffen deshalb sehr, gut durch den dritten Corona-Herbst und die Energiekrise zu kommen.“ Das grundsätzliche Problem vor dem Hintergrund demografischer Entwicklung und Akademisierung sowie einer Transformation auf dem Arbeitsmarkt mit veränderten Anforderungen bleibe. „Wir stecken in diesem Prozess. Wenn mehr Menschen andere Arbeitszeiten möchten und mehr Flexibilität, werden wir reagieren. Wer bei uns arbeiten möchte, für den oder die findet sich etwas. Wir sind breit aufgestellt.“
Es brauche zusätzlich aber politische Maßnahmen, um beispielsweise der zunehmenden Akademisierung entgegenzuwirken: „Politisches Ziel muss sein, die Gleichwertung für die berufliche wie die akademische Ausbildung herzustellen. Eine Ausbildung ist nicht weniger wert als ein akademischer Grad.“ Der DEHOGA habe die Ausbildungsvergütungen deutlich erhöht und die Ausbildungsordnungen modernisiert, erwartet aber auch neu gedachte öffentlich geförderte Ausbildungskampagnen, damit wieder mehr junge Menschen eine Ausbildung machen. Gleichzeitig sei es wichtig, die Potenziale zu aktivieren, die bisher vielleicht nicht in den Fokus genommen wurden, wie alleinerziehende Väter und Mütter, Rentner oder Flüchtlinge, die gerade im Gastgewerbe auf ein hohes Potenzial an Integration stoßen. „Vielleicht kann jemand als Aushilfe nur Freitag oder Samstag Abend oder nur im Frühstücksservice arbeiten. Warum nicht? Wir haben viel zu bieten und müssen damit auch selbstbewusst auftreten“, betont Hellwig.
Mehr politischer Mut für die Gastronomie in der Region wichtig
Auch im Bereich der Zuwanderung erwartet der DEHOGA mehr politischen Mut. „Wir sind die Integrationsbranche Nr. 1, deshalb freuen wir uns, wenn mehr Menschen auch aus dem Nicht-EU-Ausland leichter und unbürokratischer bei uns arbeiten können.“
„Wir haben attraktive und spannende Jobs in einer spannenden Branche. Aber natürlich müssen die Interessenten auch das Gastgeber-Gen in sich tragen, sonst passt es nicht.“