Brilon. Alle zusammen wiegen sie 7000 Kilo: Warum die Briloner Propsteikirche eine weitere Glocke bekommt und warum nicht alle zugleich bimmeln dürfen.
Glocken. Die einen hören sie. Die anderen stören sie. Manche nehmen sie bewusst wahr. Für viele gehen sie im Alltagslärm unter. Und einige wären im Schneegestöber untergegangen, hätte sie ihr Ton nicht geführt. Darüber berichten alte Briloner Totenbücher. Immer vom 11. November bis zum 30. April gibt es in Brilon das Schneeläuten. Es soll den Bürgern akustisch den Weg in die Stadt weisen. Seit vergangenem Jahr kommt dafür - weil nun auch motorisiert - wieder jeden Abend um 20.55 Uhr eine besondere Glocke in Schwung, die schon viel erlebt haben dürfte. Es ist die Bürgerglocke von 1583. In absehbarer Zeit darf sie sich über neue Gesellschaft freuen. Denn in der Gießerei Rincker wurde bereits im August die Andreasglocke gegossen.
Noch ‘ne Glocke, muss das sein? Ja! Als die neue Marienglocke, die als jüngste Neuanschaffung ihre sechs Kolleginnen in der Propstei entlasten soll, 2020 im Kirchturm ihren Platz gefunden hatte, merkte der Glockensachverständige der Erzdiözese an: „Zum Vollklang fehlt Euch noch was.“ Es gab einen Spendenaufruf, es gab genügend Spender und im Hochsommer war eine Delegation in Europas ältester Glocken- und Kunstgießerei in Sinn bei Wetzlar. Dort wurde das 266-Kilo-Exemplar mit einem Durchmesser von 74 Zentimetern gegossen. „Wir durften nur mit einer kleinen Gruppe von zehn Leuten dorthin fahren, weil zeitgleich noch zwei andere Glocken gefertigt wurden und noch weitere Gemeinden dort waren“, berichtet Küster Willi Steffen, der zugleich der Herr der Klöppel und Schwungseile ist.
Lesen Sie auch: Vandalismus rund um die Propsteikirche nimmt zu
Ein besonderer Moment
Es sei ein ganz besonderer Moment gewesen. „Der Propst hat ein Gebet gesprochen und dann haben alle geschwiegen. Das ist so üblich. Niemand sagt etwas, während die Kunsthandwerker an den Öfen hantieren und das flüssige Material in die Form läuft. Nebenan stand die Friedensglocke von Michael Patrick Kelly“, so Steffen. Der Sänger und Künstler hat sie aus ukrainischem Kriegsschrott gießen lassen; sie soll bei seinen Konzerten Schweigeminuten für den Frieden einläuten.
Lesen Sie auch: HSK-Polizei erwischt fünf Fahrer im Drogenrausch
Wenn denn dann die Andreasglocke demnächst (einen genauen Termin gibt es noch nicht) mit einem Kran in den 63 Meter hohen Briloner Kirchturm gehievt wird, hängen dort acht Glocken. Wer glaubt, man könne die munter kunterbunt durcheinander bimmeln lassen, der sollte seine Unkenntnis lieber nicht an die große Glocke hängen. Denn vom Klang und der tonalen Stimmung her verträgt sich längst nicht jede mit jeder. Überhaupt ist das „Glockenspiel“ eine Kunst für sich mit großer Aussagekraft. Wer genau hinhört, der merkt, dass sich der Küster etwas dabei denkt, wann womit „geglöckt“ wird.
Die historische Bürgerglocke musste lange schweigen, weil sie bis vor Kurzem nur von Hand betrieben werden konnte. Ihr Ton harmoniert außerdem nicht mit anderen. Sie ist eine Diva und kann nur solo. Außerdem soll sie sich schonen. Seitdem sie einen Motor hat, bimmelt sie zumindest als Schneeglocke; an den Sonntagen in der Fastenzeit ruft sie zum Gottesdienst. Glocke Nummer Eins ist zum Beispiel die Feuer- und Brandglocke. Sie ist allgemein gut verträglich, mischt sich ohne Murren ins Vollgeläut und hat ihren Einzelauftritt nur am 10. Januar von 13.15 bis 13.45 Uhr. „Das ist der Tag des Bombenangriffs 1945 auf Brilon. Sie würde auch läuten, wenn der Papst stirbt“, sagt Willi Steffen.
Lesen Sie auch:AfD fordert: Impfangebot durch Hochsauerlandkreis einstellen
Die zweite Glocke ist die Totenglocke. Sie trägt zudem die sinnige Inschrift „Ich töne den Lebenden wie den Toten, den Armen wie den Reichen“. Werktags erinnern die Glocken 5 und 7 an die Messe, beim Apostelfest bringen sich die Glocken 6, 5 und 3 in Wallung und an kirchlichen Hochfesten wie Weihnachten oder Ostern zieht der Küster alle Register.
Kein wahlloses Gebimmel
Natürlich klammert er sich dafür nicht beidhändig an die Seile. In der Sakristei steht ein Schaltkasten, mit dem die Glocken elektronisch gesteuert werden können. Viele feste Zeiten wie das Angelus-Läuten morgens, mittags und abends sind einprogrammiert. Via Fernbedienung kann Willi Steffen auch von zu Hause aufs Knöpfchen drücken.
Im Laufe der Jahre hat der Küster ein feines Gehör für jede Glocke bekommen: „Man muss beim Läuten darauf achten, ob sie gleichmäßig anschlägt. Tut sie das nicht, sind die Lager nicht in Ordnung, Durch die großen Temperaturschwankungen im Turm kann sich auch das Holzjoch schon mal verziehen. Da muss dann nachjustiert werden, sonst springen die Schwungseile ab.“
Wenn die Andreasglocke Einzug hält, hängen insgesamt mehr als 7000 Kilo Glocken an den alten Eichenbalken. Das ist das Maximalgewicht eines ausgewachsenen Elefantenbullens. Allein die Brandglocke von 1947 bringt 3100 Kilo auf die Waage. So viel Gewicht hört man ihnen gar nicht an….
Besondere Bedeutung
Glocken haben für viele Menschen eine besondere Bedeutung. Hin und wieder geht Willi Steffen mit kleinen Besuchergruppen auf den Turm. Und schon mal sind Menschen dabei, die einfach den Wunsch haben, die „Instrumente“ aus der Nähe zu betrachten, die ihnen im Leben Tagesstruktur, Hoffnung und Trost gespendet haben.