Brilon/Olsberg. Ab dem Kita-Alter nutzen Kinder digitale Medien. Das sorgt für Debatten in der Familie. Sozialpädagogin Sandra Bogedain aus Olsberg weiß Rat.
Youtube gucken, mit dem Handy daddeln, am PC zocken – für Eltern ist der mediale Alltag eine Dauerherausforderung. Sie fragen sich: Was kann ich meinem Kind erlauben? Wie gefährlich ist die Nutzung digitaler Medien? Was ist richtig, was ist falsch? Wir haben darüber mit der Sozialpädagogin Sandra Bogedain aus Olsberg-Bigge gesprochen, die selbst zwei Kinder im Alter von acht und elf Jahren hat.
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Entspannt an das Problem herangehen
WP: Viele Eltern sind mit Blick auf die Digitalen Medien unsicher. Gibt es einen Leitfaden oder Empfehlungen, an die sie sich halten können?
Bogedain: Ja, es stimmt, dass viele Eltern sich verunsichert und chronisch überfordert fühlen, was diese Fragen betrifft. Viele wünschen sich zehn Goldene Regeln, mit denen alles gut wird. Doch die gibt es leider nicht. Die Welt der Medien ist sehr schnelllebig und es gibt einfach nicht den einen richtigen Weg. Ich rate Eltern, entspannt an das Problem heranzugehen. Es gibt ständig neue Trends und sie müssen nicht grundsätzlich einen Wissensvorsprung haben, um darauf reagieren zu können. Das schafft man nicht, weil die Thematik einfach zu komplex ist. Stattdessen sollten sich Eltern gemeinsam mit dem Kind auf den Weg machen und Prozessbegleiter sein. Ziel sollte die digitale Mündigkeit sein, der Eltern und der Kinder.
Im Gespräch bleiben
Was können Eltern tun, um gute Prozessbegleiter zu sein?
Die Eltern sind für die Erziehung verantwortlich. Deshalb ist es wichtig, dass sie den Rahmen vorgeben. Sie sollten von Anfang an erklären, worauf die Kinder achten müssen und was grundsätzlich erlaubt und verboten ist. In erster Linie sollten Eltern allerdings Interesse an dem zeigen, was ihr Kind gut findet und schon im Kita Alter viel darüber im Austausch sein. Kinder lieben es, wenn sie uns ihre Welt erklären können. Auf dieser Grundlage sollte man dann als Familie gemeinsam einen Weg zur digitalen Mediennutzung suchen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder oft schon selbst ein ganz gutes Gespür dafür haben, was gut ist und was nicht. Sie haben bei bestimmten Inhalten ein mulmiges Gefühl oder lehnen etwas, was sie ekelig finden ab. Wichtig ist es, im Gespräch zu bleiben und sie darin zu stärken, denn so entwickelt sich Selbstfürsorge. Ziel sollte es sein, sie zur digitalen Mündigkeit zu erziehen und deutlich zu machen, wo Gefahren lauern, dass ich zum Beispiel Fremden meine Adresse oder Telefonnummer nicht preisgebe, keine persönlichen Fotos hochlade oder dass ich andere nicht mobbe. Auch die Vorbildfunktion, die man als Erwachsener hat, sollte man nicht unterschätzen. Man sollte sich fragen: Wo stehen wir selbst und wo stehen wir als Familie? Ganz hilfreich kann es sein, einen Mediennutzungsvertrag mit den Kindern zu schließen, in dem man gemeinsam erarbeitete Regeln aufstellt. Eine Vorlage kann man sich im Internet herunterladen. Bei all den Regeln sollten Eltern aber auch nicht permanent ein schlechtes Gewissen haben, wenn an einem verregneten Nachmittag der Fernseher mal länger läuft als geplant.
Online-Seminar von VHS und Familienzentrum Olsberg
„Mama, darf ich YouTube?“ Aufwachsen im digitalen Zeitalter ist eine erzieherische Herausforderung für Eltern. Deshalb bietet die VHS Brilon/Marsberg/Olsberg in Kooperation mit dem Familienzentrum Olsberg ein Online-Seminar statt, bei dem es um Fragen geht wie: Ab welchem Alter ist die Nutzung digitaler Medien unschädlich für mein Kind? Wie viel Zeit pro Tag sollten Kinder mit fernsehen, Spielekonsole, Tablet/PC und Co verbringen? Ab wann darf oder soll mein Kind ein Smartphone haben? Ist die Nutzung digitaler Medien nicht schädlich für die Entwicklung meines Kindes? Entsteht nicht dadurch die Zunahme von Konzentrationsproblemen und gestresstem Verhalten?
Der Kurs findet am Dienstag, 29. November, 19 bis 20.30 Uhr, über Zoom statt. Kursleiterin ist Sandra Bogedain. Anmeldungen sind möglich bei der VHS Brilon/Marsberg/Olsberg: 02961 6416 oder online: www.vhs-bmo.de
Unwissenheit ist kein guter Ratgeber
Zusätzlich gibt es ja natürlich auch technische Hilfsmittel, mit denen man als Eltern für mehr Sicherheit sorgen kann. Was halten Sie davon?
Es gibt verschiedene Programme und Apps zum Kinder- und Jugendschutz und es gibt Filter und Einstellungen. Sie sind als zusätzliches Mittel, um für mehr Sicherheit bei der Nutzung digitaler Medien zu sorgen, sehr hilfreich. Allerdings vermitteln diese technischen Hilfsmittel auch eine gefährliche Pseudo-Sicherheit. Denn: Wenn man sie verwendet, bedeutet das nicht, dass man sich nicht mehr kümmern muss. Die Verantwortung bleibt den Eltern, aber je mehr man sich selbst damit beschäftigt, desto einfacher wird es und es kann sogar Spaß machen. Unwissenheit ist kein guter Ratgeber und die Regeln, an die man sich halten sollte, sind oft die gleichen wie im ganz normalen Leben.
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Mit anderen Eltern sprechen
Ein Problem im Alltag ist, dass ich als Familie nicht allein Einfluss auf den Medienkonsum meiner Kinder habe. Jeder kennt die Diskussionen: Die anderen dürfen aber, haben alle schon ein Handy, dürfen viel länger am PC zocken usw. Und wenn sie etwas zu Hause nicht dürfen, gehen sie zu Freunden. Und dann?
Ja, das ist natürlich schwierig, wenn im Freundeskreis der Kinder ganz andere oder gar keine Regeln gelten. Auch in der Fachwelt gibt es sehr konträre Ansichten, die von totaler Ablehnung bis hin zu einem sehr lockeren Umgang mit den digitalen Medien reichen. Gerade wenn die Kinder älter werden, wird es zunehmend schwieriger und der Gruppenzwang nimmt zu. Spätestens wenn mehr als die Hälfte der Kinder im Umfeld ein Handy haben und alle Kontakte darüber laufen, dann sind diejenigen, die keins haben, irgendwann außen vor. Generell würde ich deshalb dazu raten, sich mit den anderen Eltern auszutauschen und gemeinsam zu überlegen, was man erlaubt. Und ansonsten kann ich – auch als Mutter – nur sagen: Man muss das Quengeln auch mal aushalten …
Gemeinsam Regeln aufstellen
Sie sagen ja, dass es auch in der Fachwelt sehr unterschiedliche Ansichten darüber gibt, was mit Blick auf den Medienkonsum gut und was schlecht ist. Wo würden Sie persönlich vom Alter her Grenzen ziehen?
Verallgemeinerungen kann man eigentlich nicht treffen und Theorie und Praxis driften bekanntlich auseinander. Daher erkläre ich in meinem Vortrag auch genauer, welche Fragen ich mir stellen kann, um zu einer guten Lösung zu kommen. Aber es gibt natürlich Richtlinien, beispielsweise von der WHO und anderen Institutionen, die besagen z.B. dass Kinder unter drei Jahren möglichst noch gar nicht mit Handy, Tablet spielen, Fernsehen oder Youtube gucken sollten. Bis zum Alter von sechs Jahren sollte die Mediennutzung nur begleitet und gut ausgewählt stattfinden. Ab acht Jahren etwa können Kinder zum Beispiel auch Youtube oder ähnliches nutzen – nach Absprachen und mit den entsprechenden technischen Einstellungen. Wichtig ist es zum Beispiel darauf zu achten, dass nicht durch Autoplay immer direkt das nächste Video gestartet wird oder, dass man werbefreie Inhalte auswählt. Ab elf oder zwölf, mit dem Wechsel zur weiterführenden Schule, wird dann meistens die Anschaffung eines Handys ein Thema. Das würde ich aber immer mit entsprechenden Sicherungsprogrammen ausstatten. Ortungsapps sehe ich allerdings kritisch. Auch Kinder haben ein Recht auf Privatsphäre. Da würde ich lieber auf die schon erwähnten gemeinsamen Regeln setzen und den Kindern auch Freiräume zugestehen. Und ganz unabhängig vom Alter macht es übrigens Sinn, Schlafzeiten fürs Handy festlegen …
Sandra Bogedain ist 47 Jahre alt. Die Sozialpädagogin ist tätig in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und in der Stadtbücherei Olsberg. Sie ist Mutter von zwei Kindern im Altern von acht und elf Jahren und lebt mit ihrer Familie in Bigge.