Winterberg/Hochsauerlandkreis. „Nazi-Brühe“ und „Team Mengele“: Nach schamlosen Beleidigungen gegen die Sauerlandpraxis Winterberg, muss nun ein Mann aus Rostock dafür zahlen.

39 politisch motivierte Straftaten hat es im vergangenen Jahr im Hochsauerlandkreis gegeben. Das sind mehr als noch in den Jahren zuvor, wie eine Statistik des Dortmunder Staatsschutzes zeigt. Damit reiht sich der HSK in den bundesweiten Trend ein. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen in Deutschland.

Politisch Motivierte Kriminalität oder Hasskriminalität?

Teils fallen Taten unter politisch motivierte Kriminalität, die auf den ersten Blick gar nicht so schlimm wirken. 2021 waren das Sachbeschädigungen an den Wahlplakaten zur Bundestagswahl beispielsweise. Unbekannte hatten sich damals an Wahlplakaten zu schaffen gemacht, zwei Wahlplakate an einem Lampenmast auf der Möhnestraße in Brilon wurden angezündet – es handelte sich um Plakate der Linkspartei und der Grünen. Die Alternative für Deutschland Hochsauerland beklagte sich über die Zerstörung ihrer Wahlplakate im Hochsauerlandkreis. Klingt fast banal, doch hieß es damals seitens des Staatsschutzes: „Dennoch sind das keine Kavaliersdelikte. Hier wird in den Prozess der Wahl eingegriffen.“ Auch Graffiti, die Hakenkreuze zeigen, werden dem Staatsschutz gemeldet. Dieser ermittelte teils auch rund um die Querdenkerszene und die „Spaziergänge“ gegen die Corona-Maßnahmen in Meschede.

Sauerlandpraxis erhält Mails mit Nazi-Vergleichen

Nicht immer handelt es sich aber bei den Ermittlungen des Staatsschutzes um politisch motivierte Kriminalität, auch wenn die Beleidigungen, die Tim-Henning Förster, Arzt in der Winterberger Sauerlandpraxis, via Twitter ertragen musste, im ersten Augenblick einen politischen Anstrich zeigten. So erreichte die Praxis im August vergangenen Jahres die E-Mail eines Querdenkers, in der der Corona-Impfstoff mit „Nazibrühe“ verglichen werde und betitelt die Praxis als „Team Mengele“, in Anspielung auf den Lagerarzt im KZ Auschwitz-Birkenau. Auch auf Twitter sammelten sich ähnliche Vergleiche und Kommentare. Tim-Henning Förster brachte die Beleidigungen zur Anzeige, der Staatsschutz aus Dortmund übernahm schnell die Ermittlungen. Carina Peschel, Sprecherin des Staatsschutzes in Dortmund, betont indes, dies sei keine rein politisch motivierte Straftat: „Der polizeiliche Staatsschutz ermittelt im Fall von sogenannter Hasskriminalität.“

Mann wird vor dem Landgericht Rostock verurteilt

Tatsächlich gibt Förster, auf Nachfrage der WP Brilon an, dass die Ermittlungen des Staatsschutzes Erfolg gezeigt hätten. Ein Mann sei vor dem Landgericht Rostock verurteilt worden. Auch der Staatsschutz gibt an, dass die Ermittlungen abgeschlossen und der Fall der Staatsanwaltschaft zur Anklage übermittelt worden sei. „Die Verhandlungen waren für mich schwer zu verfolgen, die Staatsanwaltschaft Arnsberg hatte mir per Post mitgeteilt, dass das Verfahren an die zuständige Staatsanwaltschaft Rostock weitergegeben wurde“, schildert Tim-Henning Förster. Der zuständige Richter habe den Arzt persönlich angerufen, um über das Ergebnis und den Verlauf zu berichten. „Im ersten Verfahrensdurchgang wurde aus Kostengründen darauf verzichtet, mich persönlich nach Rostock vorzuladen oder per Internet zuzuschalten, der Richter hat sich die Argumente des Beklagten angehört und ist dann zu einem Urteil von 40 Tagessätzen gekommen.“ Dagegen habe der Beklagte zunächst Widerspruch eingelegt, ihm sei aber deutlich gemacht worden, „dass ich zu einem Widerspruchsverfahren persönlich anreisen müsse und dafür nicht unerhebliche Kosten für Reise, Unterkunft und Arbeitsausfall entstehen könnten, welche zu den Tagessätzen dazu kommen würden. Der Beklagte hat daraufhin den Widerspruch zurückgezogen, das Urteil wurde rechtskräftig“, so Förster. „Das Urteil zeigt deutlich, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist und auch dort nicht mit Beleidigungen wild um sich geworfen werden kann. In ähnlichen Fällen bei einem bekannten Kollegen wurden Urteile in vergleichbarer Höhe ausgesprochen, aber auch Freiheitsstrafen ohne Bewährung für drei Monate wurden verhängt“, betont er. Mittlerweile seien keine weiteren Beleidigungen bei ihm eingegangen. Insgesamt drei Anzeigen musste der Mediziner stellen, zu den beiden anderen habe er bisher nichts gehört.

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Politisch Motivierte Straftaten sind komplex

Carina Peschel sagt: „Um zu erläutern, was genau eine politisch motivierte Straftat ist, muss etwas weiter ausgeholt werden.“ Damit spielt sie auf die Komplexität des Themas an, denn nicht jede Straftat ist gleich politisch motivierte Kriminalität. Dieser werden in der Regel Straftaten zugeordnet, die „den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten“ – wie eben beim Verbrennen von Wahlplakaten. Dazu gehören auch Straftaten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beziehungsweise eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Auch die Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane, wie lokale und bundespolitische Politiker, fällt in diesen Ermittlungsbereich. Taten, die begangen werden aufgrund von Vorurteilen des Täters gegen unter anderem Nationalität, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung rufen ebenfalls den Polizeilichen Staatsschutz auf den Plan, der in allen Fällen von politisch motivierter Kriminalität in die Ermittlungen eingeschaltet wird.

„Entsprechende Straftaten werden – je nach Motivation – in die Phänomenbereiche Politisch motivierte Kriminalität -links-, -rechts-, -ausländische Ideologie- sowie Politisch motivierte Kriminalität -religiöse Ideologie- unterteilt“, erklärt Carina Peschel. Terroristische Straftaten stellen die extremste Ausprägung der Politisch motivierten Kriminalität dar.