Hochsauerland. Sie sind nicht sofort tot. Wird ein Kitz vom Mähwerk erfasst, leidet es. Wiesen müssen abgesucht werden. Das tun nicht alle. Warum eigentlich?
Sommerzeit ist Rehkitz-Zeit. Aber Bambi lebt gefährlich. Eine lebensbedrohliche Gefahr für die jungen Tiere stellen die scharfen Messer und Kreisel der Mähmaschinen dar. „Es muss in die Köpfe der Leute rein, dass das gründliche Absuchen bzw. Überfliegen der Flächen ganz selbstverständlich zur Grasernte dazugehört“, wünscht sich die Vorsitzende der Marsberger Kitzretter, Andrea Köhne. Und Kirsten Backhausen-Hesse geht noch weiter: „Die Landwirte sind sogar gesetzlich dazu verpflichtet“, sagt die Tierärztin und Vorsitzende der Kitzretter im Raum Medebach.
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Gesetzeslage ist eindeutig
Beide pochen und verweisen auf geltendes Bundesrecht. Der Staat hat demnach den Tierschutz sogar ins Grundgesetz aufgenommen. Wörtlich heißt es dort u.a.: „Überdies ist derjenige, dem das Jagdrecht zusteht, dies ist der Eigentümer (..), also meist der Landwirt, zur Hege verpflichtet. Daher ist es verboten, wildlebende Tiere mutwillig zu beunruhigen oder ohne vernünftigen Grund zu verletzen oder zu töten. Die Mahd ist ohne Schutzmaßnahme für sich allein kein vernünftiger Grund ein Tier zu verletzen oder zu töten. Entsprechend des sogenannten Verursacherprinzips ist somit primär der Landwirt und der Fahrer/Maschinenführer für das Absuchen seines Landes verantwortlich.“
Helfer gesucht
Wer die Kitzretter unterstützen möchte:Ansprechpartnerin in Marsberg ist Andrea Köhne, 0176 38708983 und im Raum Medebach Kirsten Backhausen-Hesse, 0170 7311434
Viele halten sich an diese Vorgaben, aber es gibt leider auch Ausnahmen. Kirsten Backhausen-Hesse berichtet, dass es in den vergangenen Wochen einige Male vorgekommen sei, dass Landwirte allein oder zu Zweit auf eigene Faust durch die Wiesen gelaufen seien, um mögliche Rehkitze aus den Wiesen zu vertreiben. „Das ist zu unsicher, denn viel zu leicht können Tiere übersehen werden. Wir sind an einem Tag mit acht Leuten eng in einer Reihe eine Fläche abgeschritten. Das Gras war mitunter knie- bis hüfthoch; wir haben kein Kitz gefunden. Erst im zweiten Anlauf mit der Drohne haben wir dann doch ein Tier entdeckt. Auch die Drohne findet nicht jedes Jungtier. Aber mit zwei Leuten durch die Wiese zu streifen und ein paar Fähnchen aufzustellen, reicht nicht aus.“ Die Tierärztin berichtet auch von einem Vorfall, bei dem der Maschinenführer ein Kitz erwischt und getötet habe, nachdem die Wiese nicht vorher untersucht worden sei. „Passanten haben das zur Anzeige gebracht; es hat dafür eine saftige Geldstrafe gegeben.“ Schnell können da 2500 Euro und mehr zusammenkommen.
Die Kitzretter bringen Verständnis für die Arbeit der Landwirte auf, die unter Zeitdruck und vom Wetter abhängig arbeiten müssen. Sie versuchen, so kurzfristig wie möglich zu helfen. „Wenn wir aber abends um 17 Uhr erfahren, dass der Bauer am nächsten Morgen um 8 Uhr mähen will und wir dann morgens um 6 Uhr auf eine bereits gemähte Fläche kommen, dann ist es zu spät.“ Es helfe auch nicht, eine Wiese am Tag abzusuchen und dann am nächsten Morgen zu mähen. „Es kommt immer wieder vor, dass die Ricke das Kitz dann nachts wieder in die Wiese bringt.“ Trotz aller Vorsicht könne es immer wieder mal passieren, dass ein Kitz ums Leben komme. „Dann sollte uns das der Landwirt fairerweise auch melden. Wir wissen dann für das nächste Jahr, dass an der Stelle ein Hotspot ist und können viel gezielter suchen.“
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Landwirte, Jäger und Kitzretter im Dialog
Nicole Heitzig aus Brilon ist Juristin und Präsidentin des Landesjagdverbandes NRW und davon überzeugt, dass die Rettung der Tiere nur im Dialog und im Zusammenspiel von Landwirten, Jägern und ehrenamtlichen Kitzrettern gut funktionieren kann. „In der Tat muss der Landwirt den Pächter informieren, wenn gemäht werden soll. Im günstigsten Fall überlegen beide gemeinsam das weitere Vorgehen. Alle sind aber dankbar über das Engagement der Kitzretter.“ Nach ihren persönlichen Erfahrungen seien auch die Landwirte sehr wohl daran interessiert, die Tiere vor der Mahd in Sicherheit zu bringen. „Das sind nur einige wenige, die das nicht tun. Niemand tut sich damit einen Gefallen. Niemand will so ein kleines Tier leiden sehen. Denn meistens sind die Tier ja nach dem Vorfall noch gar nicht tot. Wer trotz vorheriger Suche ein Kitz beim Mähen erwischt, muss die Arbeiten sofort stoppen und eine erneute Suche starten. Die Strafen bei Missachtung können empfindlich sein.“ Und außerdem sei das Futter verdorben, wenn ein Tierkadaver zwischen den Grasschnitt gelange.
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Frage der Verantwortung
Den Kitzrettern ist es wichtig, dass keine Verantwortlichkeiten hin- und hergeschoben werden. Und sie wünschen sich, so früh wie möglich um ihre Mithilfe angesprochen zu werden. Denn die Vereine bestehen in der Regel aus 30 bis 40 Ehrenamtlichen, die per WhatsApp zusammengetrommelt werden. Und manchmal sind nur einige wenige Helfer verfügbar. Daher freuen sich beide Vereine über weitere Unterstützung. „Die Landwirte sind in diesem Jahr recht früh mit der Mahd dran, die Kitze mitunter spät. Es gibt kleine Tiere, die man kaum im Gras findet. Es gibt aber auch schon größere“, sagt Kirsten Backhausen-Hesse. Nicole Heitzig hat vor wenigen Tagen noch eine Ricke gesehen, die das Kitz noch gar nicht abgesetzt hatte. Und die zweite Mahd steht ja erst noch an.
Daher kommt der Appell an alle Beteiligten nicht zu spät: Gebt den Rehkitzen eine Chance!