Bigge. Wenn Sprache schwierig ist, grenzt sie Menschen vom Alltag aus. Das Josefsheim Bigge will Menschen mit sprachlichen Barrieren helfen. So geht’s:

Eine Bürgersteigkante, eine Treppe, eine unerreichbare Türklinke – mit solchen Problemen haben Rollstuhlfahrer/innen im Alltag zu kämpfen. Aber was ist mit sprachlichen Barrieren? Viele Menschen können gar nicht oder nicht sinnhaft lesen. Sie können nicht schreiben, werden es auch nie lernen. Können vielleicht auch nicht oder nur undeutlich sprechen. Das kann eine angeborene Behinderung sein; das kann aber auch jeden von uns treffen. Unfall, Schlaganfall, Demenz. Aktuelles Stichwort: Migration! Wie sollen Menschen aus einem anderen Land, mit einer anderen Sprache und anderen Schriftzeichen eine Speisenkarte oder die Bedienungsanleitung für einen Geldautomaten verstehen? Bilder – sogenannte Piktogramme – könnten helfen. Das Josefsheim Olsberg hat sprachlichen Barrieren den Kampf angesagt.

Zauberwort heißt „Sokoor! – Aktion Mensch finanziert das Projekt

Das Zauberwort dafür heißt „Sokoor“ und steht für „Im Sozialraum kommunikativ und orientiert dabei sein“. Seit 2018 finanziert die „Aktion Mensch“ dieses Projekt, für das die Förderung eigentlich in diesem Frühjahr ausläuft. Doch eine einfachere Sprache soll es nicht nur im Stadtgebiet von Olsberg geben. Die Idee soll im gesamten HSK ihre Kreise ziehen; weitere Förderungen nicht ausgeschlossen. Und das ist gut so.

Barrierefrei: Lara Frese (links) und Leonie Köpp (rechts) vom Josefsheim mit Büchereileiterin Petra Böhler-Winterberg und den Öffnungszeiten in Piktogramm-Form.
Barrierefrei: Lara Frese (links) und Leonie Köpp (rechts) vom Josefsheim mit Büchereileiterin Petra Böhler-Winterberg und den Öffnungszeiten in Piktogramm-Form. © WP | Thomas Winterberg

„Aller Anfang ist schwer. Es hat ein ganzes Weilchen gedauert, bei allen Beteiligten ein Bewusstsein zu schaffen, weil es sich ja hierbei um unsichtbare Barrieren handelt“, sagt Leonie Köpp, die das Projekt mit ihren Kolleginnen Lara Frese und Ulrike Düppe im Josefsheim umsetzt. Und die Einrichtung für rund 800 Menschen mit Handicap hat zunächst vor der eigenen Haustür gekehrt. Wer sich das Menü für die kommende Woche zusammenstellt, bekommt dafür einen bebilderten Speisenplan, auf dem Bilder von Spaghetti, Bohnensuppe oder Roulade zu sehen sind. An drei Standorten im Haus gibt es sogenannte Cabito-Geräte. Das sind Informations-Terminals mit Touchscreen, die zum Beispiel den Menüplan anzeigen und laut vorsprechen. Die höhenverstellbaren Info-Systeme informieren aber auch über die neuesten Corona-Regeln oder über tagesaktuelle Geschehen im Josefsheim und aus der ganzen Welt. Lea Büenfeld nutzt das Gerät gerne: „Ich kann mit einem einfachen Tastendruck ablesen, welche Gerichte es heute gibt. Und dann fällt mir auch wieder ein, was ich bestellt habe.“ Tom Hoffmann nutzt das Gerät, um sich über Corona auf dem Laufenden zu halten. Er wünscht sich, die Infos auch auf dem Handy per App abrufen zu können. Das ist technisch möglich, aber noch nicht umgesetzt.

Eine Aussage, ein Satz! Josefsheim Olsberg-Bigge entwickelt Strategie

Alle Infos müssen allerdings vorher sprachlich vereinfacht aufbereitet werden. „Wir haben dabei festgestellt, dass leichte Sprache nicht zwangsläufig weniger Informationsgehalt bedeuten muss,“, sagt Lara Frese. Bevor die neuen Corona-Zahlen, geänderte Corona-Regeln oder eine Unwetter-Warnung z.B. bei „Cabito“ veröffentlicht werden, gibt es einen eigenen Arbeitskreis, der die Texte auf ihre Verständlichkeit prüft. Mona Schröer gehört diesem sechsköpfigen Team an, in dem manchmal hitzig diskutiert wird. „Es muss endlich etwas passieren. Viele verstehen einfach nicht, was geschrieben wird, weil es zu kompliziert und zu hochgestochen formuliert ist – auch in den Zeitungen. Warum müssen die Sätze immer so lang und kompliziert sein? Warum ist nicht alles linksbündig ausgerichtet? Warum sagt man nicht Streit, statt Konflikt oder Chef statt Vorgesetzter? Und wie soll man über Quarantäne reden und sie einhalten, wenn man nicht weiß, was das ist?“.

Beispiele und Infos

In Rathäusern und Ämtern wird zu 68 Prozent eine Behördensprache benutzt, die nur 5 Prozent der Menschen verstehen.

Beispiel schwere Sprache: Fünf Mäuse ärgern einen Kater. Den Kater ärgert auch das Meerschweinchen. Aufgabe: Wie viele Tier ärgern den Kater?

Beispiel leichte Sprache: Fünf Mäuse ärgern einen Kater. Auch das Meerschweinchen ärgert den Kater…

Beispiel schwere Sprache: Wenn Sie mir sagen, was Sie wünschen, kann ich Ihnen helfen.

Beispiel leichte Sprache: Ich kann Ihnen helfen. Sagen Sie mir: Was wünschen Sie?

Überall, wo Kommunikation stattfindet, kann man sie auch erleichtern. Wer dabei Unterstützung braucht, kann sich an Projektleiterin Leonie Köpp wenden, 02962 8002932 oder per Mail l.koepp@josefsheim-bigge.de

Wenn ein Text ihre strenge Prüfung durchlaufen hat, gehört er in die Kategorie „einfache Sprache“. Die Krönung aber ist es, wenn ein Text als „leichte Sprache“ eingestuft wird. Dann ist gewährleistet, dass er allen Regeln einer speziellen und verbindlichen Sprachbibel standhält. Und im Herbst fährt Mona Schröer mit zwei Prüfkolleginnen und -kollegen zu einem dreitägigen Seminar, das mit dem Diplom „Text-Prüfer für leichte Sprache“ endet. Klasse!

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Im Mittelpunkt steht die Teilhabe am Alltagsgeschehen

Viele Dinge könnten so einfach sein: Für jeden Wochentag gibt es ein fest vorgeschriebenes Piktogramm: Ein Männchen mit Punkten im Gesicht (das Sams) steht zum Beispiel für den Samstag, eine Sonne für den Sonntag. An den Bürotüren im Josefsheim zeigt ein schwarzer Klett-Pfeil an, ob die Mitarbeiter/innen ansprechbar sind oder nicht. Und am Geldautomaten der Bank ist mit wenigen Symbolen erklärt, wie man Bares abheben kann.

Einfache und verständlichere Beschilderungen an den Bürotüren des Josefsheims helfen den Bewohnern bei der Orientierung im Haus.
Einfache und verständlichere Beschilderungen an den Bürotüren des Josefsheims helfen den Bewohnern bei der Orientierung im Haus. © WP | Thomas Winterberg

„Im Mittelpunkt steht die Teilhabe. Es bedeutet für die Menschen ein großes Stück Erfüllung, wenn sie die Pizza selber bestellen, das Geld selber abheben oder sich selbst in der Bücherei anmelden können“, erklärt Leonie Köpp. Apropos: Bei der Stadtbücherei rannten die Sprach-Vereinfacher offene Türen mit ihren Ideen ein. „Es ist eigentlich erschreckend, dass wir nicht selbst auf den Gedanken gekommen sind, auf diese Weise auch Barrieren abzubauen“, sagt Leiterin Petra Böhler-Winterberg. Ihre Benutzungsordnung, die häufig gestellten Fragen auf der neuen Homepage oder das Anmeldeformular werden gerade redaktionell vom Projektteam im Josefsheim kostenlos aufbereitet und von den Sprachprüfern auf Einfachheit überprüft. Am Eingangsbereich wurden die Öffnungszeiten bereits in Piktogramm-Form angebracht. Aber wem drückt man die Benutzungsordnung in einfacher Sprache in die Hand und wem die etwas komplexere, ohne jemanden gleich zu diskriminieren? Jeder bekommt beide.

Noch mehr Partner gewinnen ist jetzt das Ziel

„Ich sehe den Aufwand, eine Speisenkarte, eine Benutzungsordnung, Formulare oder Internetauftritte neu gestalten zu lassen. Wobei wir da momentan auch noch unterstützen können. Aber auf der anderen Seite sehe ich auch den Effekt und den Erfolg für den Menschen“, sagt Leonie Köpp. Daher hofft sie, auf viele weitere offene Ohren in der Stadt – wie zum Beispiel bei Ärzten oder Apotheken.

„Es gibt sehr gute Materialien, auf denen die Person, die es benötigt, ganz einfach zeigen kann, wo und wann ihr was weh tut. Das gilt auch für die Polizeiarbeit. Möglich wäre es, dass ein Mensch mit Behinderung anhand von Piktogrammen allein zur Wache gehen und Anzeige erstatten kann. Er kann zeigen, an welchen Körperteilen er oder sie verletzt wurde mit welchen Gegenständen und /oder Waffen“, sagt Leonie Köpp. Oft ist es natürlich so, dass der Personenkreis eine individuelle Assistenz benötigt. Aber er braucht sie nicht immer. Eine einfachere Sprache würde das Leben leichter machen und bessere Teilhabe daran ermöglichen.

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„Anfangs war es gar nicht so einfach, Partner für diese Ideen zu finden, aber die Bemühungen tragen erste Früchte. Das haben auch wissenschaftliche Begleit-Analysen dem Josefsheim bestätigt. Letztlich besteht der gesetzliche Auftrag an unsere Gesellschaft, diese Aufgabe anzunehmen und zu lösen“, sagt Leonie Köpp. Dabei ist es so einfach: Denn die Bemühungen zu Inklusion fangen im Kopf an – da, wo die Sprache sitzt.