Winterberg. Sandra Gintere hat die evangelische Kirchengemeinde in Winterberg unter ihre Fittiche genommen. Die Lettin über ihre bewegte Vergangenheit
Sandra Gintere ist eine Sportskanone. „Seit meiner Kindheit spielt Sport eine große Rolle in meinem Leben“, sagt die Pfarrerin der evangelischen Kirchengemeinde Winterberg. Schwimmen und besonders Yoga gehören zu ihren liebsten Hobbys. Dabei ist die 60-Jährige gegenüber neuen sportlichen Betätigungen auch ganz offen: In Winterberg geht sie regelmäßig zu einem EMS-Training. Durch elektromagnetische Stimulation wird der Körper dort „effektiv“, wie es heißt, auf Vordermann gebracht.
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Eine „junge überzeugte Kommunistin“
Effektivität. Wenn man auf Ginteres Karriereweg schaut, passt dieser Begriff ganz gut. Die Lettin entschied sich in ihrer Heimat, die damals noch Lettische Sozialistische Sowjetrepublik hieß, zunächst für ein Lehramtsstudium in den Fächern Politikwissenschaft und Geschichte. Eine „junge überzeugte Kommunistin“ sei sie damals gewesen - und ehrgeizig. Nach ihrem fünfjährigen Studium sei eigentlich verabredet gewesen, dass sie eine leitende Stelle im Kommunistischen Jugend-Büro Lettlands übernehmen sollte. Doch diese Hoffnung zerschlug sich.
Als Lehrerin am Gymnasium
So begann sie als Lehrerin in einem Gymnasium in Riga. Das lenkte ihren Lebensweg in andere Bahnen. Denn dort erteilte ein junger Lehrer Chemieunterricht, der ein überzeugter Christ war. Eine Besonderheit. Denn Christen hatten zu diesem Zeitpunkt noch wegen ihrer Religion mit Repressalien zu rechnen. Staatsreligion war der Atheismus. Deshalb sei es für sie eine Herausforderung gewesen, so einen Menschen zu treffen, erklärt Gintere.
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„Er war, soweit ich mich erinnern kann, der erste Christ, dem ich in meinem Leben begegnet bin. Er hat mir eine Bibel in der Hand gegeben und mir vorgeschlagen, mal darin zu lesen“, sagt sie. Heute sei dieser damalige junge Chemielehrer der Erzbischof der evangelisch-lutherischen Kirche Lettlands - Jānis Vanags. „Wir haben später Schulter an Schulter fast 20 Jahre lang zusammen am Aufbau unserer lettischen Kirche und der Luther-Akademie in Riga gearbeitet“, so Gintere.
Tochter arbeitet als Diplomatin
Nach einem erfolgreichen Theologiestudium in Erlangen siedelte sie von 2000 bis 2005 in die USA über, um an der evangelisch-lutherischen Concordia University ihren Doktorgrad zu erwerben. Ihre beiden Töchter, Sarma (30) und Samanta (35) leben wieder dort. Sarma als lettische Diplomatin in Washington und Samanta als Geschäftsfrau.
Gintere arbeitete darüber hinaus knapp 20 Jahre an der Luther-Akademie und rund zehn Jahre für die evangelisch-lutherischen Kirche Lettlands, durfte dort zwar Pfarrer ausbilden, aber nicht selbst Pfarrerin werden. Die Frauen-Ordination gab es bei den lettischen Lutheranern nur kurz - so landete Sandra Gintere in der evangelischen Kirche von Westfalen. Und übers Siegerland führte sie der Weg ins Sauerland.
Hier ist sie nun mit ihrem Lebenspartner Gottfried Bäumer, einem pensionierten Lehrer und ehemaligen Vorsitzenden des diakonischen Werks in Siegen, zu Hause. „Ohne ihn hätte ich mich niemals getraut, Pfarrerin in Deutschland zu werden“, sagt Sandra Gintere.
Das gefällt der Pfarrerin an Winterberg
„Als ich zum ersten Mal nach Winterberg kam, war ich sofort von der Stadt und der Gemeinde begeistert“, sagt sie. Die Kernstadt habe sie mit ihrer Schönheit - „den älteren Gebäude, den kleinen, gemütlichen Cafés und schönen Boutiquen“ - verzaubert. Hier höre man nicht nur deutsch und niederländisch, sondern auch englisch und andere Sprachen.
„Für mich als eine aus Lettland stammende Pfarrerin war das sehr wichtig, dass die Menschen hier gewöhnt sind, im Alltag mit Ausländern zu tun zu haben, und sie sind es gewöhnt, Menschen mit ausländischem Akzent zu hören und zu akzeptieren“, sagt sie. Hier könne sie auch ihrer Leidenschaft Wandern sehr gut nachkommen.
So schwärmt sie von der Natur rund um Winterberg. Den „Schmantel-Weg“ gehe sie mindestens jeden zweiten oder dritten Tag und entdecke dabei „jedes Mal wieder etwas Besonderes“. Auch der „Goldene Pfad“ bei Niedersfeld in der Hochheide sei einer ihrer Lieblingsorte. „Wenn ich auf dem Kahlen Asten stehe, habe ich den Eindruck, dass der Himmel mir dort besonders nahe ist“, sagt die Pfarrerin.
Am Skifahren hapert es noch
Nur mit dem Skifahren, da hapere es noch. Lettland sei ein absolut flaches Land, der höchster Berg nur 320 Meter hoch. „Aber ich habe auch vor, wenn möglich, das Abfahrtskifahren noch zu lernen. Im vorigen Jahr, als hier bei uns alles geschlossen war, habe ich in Lettland einige Abfahrtsski-Stunden genommen und es dort relativ gut gemeistert“, so Gintere.
An Winterberg gefalle ihr außerdem die „netten, offenen und vor allem freundlichen Menschen“. Besonders gefreut habe ich mich über die Kooperationsangebote und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit ihrem katholischen Kollegen, Pfarrer Lipinski. Dass eine evangelische Pfarrerin in einer Region, in der 90 Prozent der Einwohner katholisch seien, als gleichberechtigte Kollegin angenommen werde, empfinde sie als keine Selbstverständlichkeit.
Erste Begegnung mit sauerländischen „Heiligtum“
Komplett neu und fremd seien für sie die ersten Begegnungen mit einem sauerländischen Heiligtum gewesen: den Schützenvereinen. Die positive Rolle, die die Schützenvereine in Winterberg und Umgebung spielten, seien ihr vorher nicht so bewusst gewesen. „Ich war sehr dankbar und beeindruckt, dass diese Vereine an meiner Amtseinführung aktiv teilgenommen haben. Und ich bin ebenso sehr erfreut, über das Privileg, den Gottesdienst zu Beginn des letztmaligen Schützenfeste in Langewiese mitgestalten zu können“, sagt sie. Jetzt hoffe sie nur noch auf das Ende der Corona-Pandemie, denn viele Pläne habe sie deswegen noch nicht realisieren. Corona habe für viele seelische Schäden gesorgt. „Es wird viel Zeit und Mühe kosten, diese zu überwinden“, sagt sie.