Brilon. Eine Familie aus Brilon gibt Hennen ein Zuhause, die bisher in einer Massentierhaltung gelebt haben und getötet worden wären. Was motiviert sie?

Schon lange steht bei Thomas und Sabine Potapski aus Brilon im Garten ein Bauwagen. Früher haben die Kinder dort gespielt, jetzt ist neues Leben eingezogen: Die Briloner kümmern sich um Hennen, die sie über den Verein Hühnerrettung NRW bekommen haben. Das Ehepaar hat sechs Tiere aus Massentierhaltung aufgenommen und ermöglicht ihnen so einen guten Lebensabend.

Sabine Potapski freut sich, dass es den Hennen jetzt so gut geht.
Sabine Potapski freut sich, dass es den Hennen jetzt so gut geht. © Jutta Klute | Jutta Klute

Die Hühnerrettung NRW

Noch ist die Hühnerschar etwas scheu und schreckhaft. Doch Sabine Potapski merkt, dass die Hennen, die aus einem Großbetrieb in Breckerfeld stammen, sich zusehends erholen: „Anfangs haben die sich gar nicht getraut, raus zu gehen. Die waren richtig verstört und hatten ganz lange Krallen. Jetzt kommen sie auch mal näher zu mir und sind neugierig. Hier haben sie es auf jeden Fall tausendmal besser als vorher.“ Bekommen haben die Potapskis die Tiere am 18. Dezember über den Verein Hühnerrettung NRW e.V.

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Rettungsaktion am 18. Dezember

Auf der Homepage schreibt der Verein über die Rettungsaktion: „Wie schon so oft, lagen bei unserer Rettung am 18. Dezember in Breckerfeld Freude und Leid nah beieinander. In der dortigen Bodenhaltungshalle werden ca. 35.000 Hennen gehalten. Die Halle ist mittig durch eine Gitterwand in zwei Abteile à 17.000 Hennen räumlich geteilt. Wir durften insgesamt 1050 Hennen und zusätzlich noch fünf Hähne aus privaten Notfällen retten und an liebe Adoptanten weitergeben. Allerdings mussten wir 16.000 Hühner im Stallabteil zurücklassen, welche zwei Tage später zur Schlachtung ausgestallt wurden.“

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Appell an Verbraucher und Politik

Trotzdem möchte die Hühnerrettung die Betreiber solcher Anlagen nicht an den Pranger stellen. Das sei falsch und nicht der richtige Weg, um „das System künftig zu verbessern.“ Vielmehr seien alle Menschen gefragt, etwas zu verändern. Das fange beim Verbraucher an, der seine Kaufentscheidungen kritisch hinterfragen sollte, gehe über die Industrie, bis hin zur Politik, die die Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion wieder rentabel und umwelt- sowie vor allem tierfreundlich gestalten müsse.

„Gertrud“ ist die Chefin

Sabine und Thomas Potapski haben die sechs Bauwagen-Bewohnerinnen an einem zentralen Treffpunkt im Kreis Olpe in Empfang genommen. Die erste Nacht im Bauwagen war, so erinnern sich die beiden, recht turbulent: „Die haben ganz schön gegackert und gemeckert. Aber dann war offenbar ziemlich schnell geklärt, wer die Chefin ist. Es ist die größte Henne. Wir haben ihr den Namen Gertrud gegeben“, erzählt die 49-jährige Brilonerin. Die anderen fünf haben noch keinen Namen, „weil sie sich so ähnlich sehen“. Das soll sich aber ändern: Bald bekommen sie farbige Ringe zur Unterscheidung und dann auch einen eigenen Namen.

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Viele Tiere „körperlich und psychisch am Ende“

Die Vorstellung, wie ihre Hennen und mit ihnen zig Millionen Artgenossinnen in Deutschland gehalten werden, lässt Sabine Potapski erschaudern: „Wenn man sich damit beschäftigt, dann denkt man anders nach über die Eier, die man isst. Ich finde es schrecklich, dass Hühner aus diesen Haltungsformen noch nie das Tageslicht gesehen haben, nicht in kleinen Gruppen leben, so wie es ihnen entspricht und oft ganz kahl sind, weil sie gegenseitig das Gefieder ausrupfen. Das ist purer Stress für die Tiere“. Nach Angaben des Hühnerretter Vereins NRW sind die Tiere in den Großbetrieben in der Regel etwa ein Jahr bis eineinhalb Jahre in einem Betrieb und werden dann „ausgestallt“ und geschlachtet. Auf der Homepage des Vereins heißt es: Ist das Huhn am Ende dieser Laufbahn als Hochleistungseierproduzentin angekommen, ist es körperlich und psychisch am Ende seiner Kräfte – ausgezehrt, abgemagert und oftmals federlos.“

Ziel: Ein artgerechtes Hühnerleben

Die Hühnerrettung NRW e.V. übernimmt Legehennen aus der Massentierhaltung und vermittelt diese an tierliebe Menschen, die ihnen erstmalig die Möglichkeit geben, ein artgerechtes Hühnerleben zu führen.

Wer selbst nicht die Möglichkeit hat Tiere zu halten, kann auch über die Hühnerrettung NRW e.V. eine Patenschaft für eines der geretteten Tiere übernehmen. Weitere Infos: www.huehnerrettung.de

Gemütliches Nest im Bauwagen

Federlos waren die sechs Hennen, die in Brilon ein neues Zuhause gefunden haben, zum Glück nicht. Ihr körperlicher Zustand sei nicht ganz so schlecht gewesen, wie sie befürchtet hätten, aber man habe gemerkt, dass sie ein „gestörtes Verhalten“ zeigen.

Sabine Potapski hat im Bauwagen einen Schrank als gemütliches Nest für die „Damen“ eingerichtet. Sie erzählt: „Dort schlafen sie alle zusammen eng aneinander gekuschelt“. Vorher bekommen sie einen leckeren „Gemüsemix“ als Abendessen. „Am liebsten mögen sie Gurken und Sellerie“, berichtet ihr Mann Thomas. Zur Familie gehört auch Hündin Wanda, die die neuen tierischen Mitbewohnerinnen „sehr spannend“ findet. Auch früher schon hatte die Familie einige Haustiere, Erfahrung in der Hühnerhaltung hatten sie bisher allerdings noch keine. Doch die beiden Tierliebhaber erzählen, dass sie sich inzwischen viel Wissen angelesen und durch den Austausch mit dem anderen Haltern gelernt haben. Auch von Seiten der Hühnerrettung haben sie Tipps bekommen.

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Ruhiger Lebensabend

Auf die Idee, in ihrem großen Garten in Brilon Hühner zu halten, sind die Potapskis im Urlaub gekommen. Und als sie über eine Bekannte von der Hühnerrettung hörten, stand für sie schnell fest, dass sie Tiere aus diesem Projekt aufnehmen möchten. Inzwischen können sie sich gut vorstellen, den Bestand noch etwas zu erweitern. „Hühner sind richtig freundliche und fröhliche Lebewesen. Es macht Spaß, sie zu beobachten“, erklärt Sabine Potapski. Dass sie auch noch Eier legen, findet sie ebenfalls super. Das sei für sie aber nicht entscheidend. Die Briloner Halterin verspricht: „Selbst wenn sie mal keine Eier mehr legen, dürfen sie hier bei uns ihren Lebensabend verbringen.“