Volkmarsen/Kassel. Der Angeklagte schweigt. Noch vor Weihnachten soll das Urteil gefällt werden. Beim Rosenmontag in Volkmarsen war er in den Umzug gerast.
Eine lebenslange Freiheitsstrafe fordert die Staatsanwaltschaft in dem Prozess um die Amokfahrt von Volkmarsen. Außerdem wurde beantragt, die besonders Schwere der Schuld festzustellen, was eine Haftentlassung nach 15 Jahren ausschließt.
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Darüber hinaus beantragt die Staatsanwaltschaft, dass das Gericht bei seiner Strafzumessung den Vorbehalt einer späteren Sicherungsverwahrung ausspricht. Die würde nur dann nicht greifen, wenn der Angeklagte während seiner Haft aktiv am Abbau seiner Persönlichkeitsstörung arbeitet.
Dem 30-jährigen Angeklagten, der sich seit Anfang Mai vor dem Kasseler Landgericht verantworten muss, wird vorgeworfen, sein Auto am 24. Februar 2020 mit voller Absicht in den Rosenmontagszug gesteuert zu haben, um auf diese Weise eine möglichst große Anzahl von Menschen zu töten.
Wie durch ein Wunder wurde bei dieser schrecklichen Tat aber niemand getötet. Dafür aber wurden rund 90 Zuschauer und Festzugteilnehmer teilweise so schwer verletzt, dass sie über Monate in Krankenhäusern behandelt werden mussten.
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Staatsanwalt Dr. Tobias Wipplinger von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wertet die Amokfahrt als versuchten Mord in 89 tateinheitlichen Fällen und gefährliche Körperverletzung in 88 Fällen sowie als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. In seinem 80-minütigen Plädoyer sprach er von einem „Mordanschlag auf feiernde Kinder.“
180 Zeugen vernommen
Die Beweisaufnahme und die Befragung von rund 180 Zeugen an 24 Prozesstagen hätten eindeutig ergeben, dass der Angeklagte, der unmittelbar nach der Tat von Polizeibeamten in Zivil am Steuer seines Mercedes Kombi festgenommen wurde, bei seiner Tatausführung planvoll, ruhig und besonnen vorgegangen sei und weder unter Drogen noch Alkoholeinfluss gestanden habe. Es hätten sich keine Hinweise auf eine extremistische oder politische Motivation ergeben. Auch eine Beziehungstat sei auszuschließen, weil der Angeklagte keinerlei soziale Interaktion gezeigt habe. Das psychiatrische Gutachten habe zudem ergeben, dass der junge Mann zur Tatzeit die volle Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seiner Tat besessen habe und deshalb auch voll schuldfähig sei.
Die gleichzeitig bescheinigte Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und narzisstischen Zügen habe wahrscheinlich seinen tiefen Hass auf andere Menschen ausgelöst und seinen Wunsch reifen lassen, sich an seinen Mitmenschen zu rächen. Seine Äußerung gegenüber einer Nachbarin, er werde bald in der Zeitung stehen, deute darauf hin, dass der Angeklagte nach Beachtung strebte. Denkbar sei auch, dass er sich von der Amokfahrt etwas Nervenkitzel und Adrenalin in seinem ansonsten eher von Langeweile geprägten Leben zu erleben.
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All das seien Motive, die das Mordmerkmal der „niederen Beweggründe“ erfüllten. Aber auch die Mordmerkmale der Heimtücke und der Verwendung eines gemeingefährlichen Mittels seien einschlägig, warum der Angeklagte aus Sicht der Staatsanwaltschaft auf jeden Fall wegen versuchten Mordes zu verurteilen sei.
Die Gesellschaft schützen
Weil die vom Gericht beauftragte Gutachterin zudem festgestellt habe, dass bei dem Angeklagten eine Wiederholung der Tat nicht auszuschließen sei, beantragte Staatsanwalt Dr. Wipplinger, dass das Gericht den Vorbehalt ausspreche, wonach der Angeklagte nach Verbüßung seiner Freiheitsstrafe in Sicherungsverwahrung genommen werden könne. Nur so könne die Gesellschaft vor weiteren Taten des Mannes geschützt werden, der über keinerlei sozialen Bindungen verfügt.
Angeklagter schweigt
Der wegen der Amokfahrt von Volkmarsen angeklagte Mann schwieg trotz mehrfacher Aufforderungen durch die Opfer der Amokfahrt während der gesamten Prozessdauer. In seinem Plädoyer hatte Staatsanwalt Dr. Wipplinger deutlich gemacht, dass ein voll umfängliches Geständnis verbunden mit einem Wort der Einsicht und Reue bei der Strafzumessung hätte berücksichtigt werden können.
Nun bleibt abzuwarten, ob der Angeklagte doch noch sein Schweigen bricht und über seine Beweggründe spricht. Schließlich hat der Angeklagte das letzte Wort, bevor sich das Gericht zur Beratung zurückzieht.
Die drei Nebenklagevertreter, die die Interessen von drei der insgesamt rund 90 Verletzten vertreten, verwiesen in ihren Plädoyers auf die immer noch anhaltenden Folgen der Amokfahrt. Viele der Opfer sind noch in psychologischer Behandlung, klagen über Schlafstörungen, leiden in vielfältiger Weise im Alltag.