Winterberg. Dr. Martin Nieswand aus Winterberg will eine Sonder-Impfaktion starten – und scheitert. Er ist zornig. Der Booster-Turbo wird so nie gezündet.
Der Booster für alle kommt – und die Arztpraxen in Winterberg werden überschüttet mit Anfragen zur Corona-Impfung. Dr. med. Martin Nieswand, der seine Praxis in Winterberg betreibt, spricht von einem „riesigen“ Anstieg der Nachfrage – auf die er gerne reagieren möchte, aber nicht kann. So hatten er und ein Kollege eine spontane Impfaktion für alle offen am kommenden Wochenende geplant. Indes: Impfstoff bekommen sie dafür nicht. Der Ärger nach den Forderungen aus der Politik und dem steigenden Druck der Pandemie-Bekämpfung ist groß.
Dr. Nieswand in Winterberg kann Sonder-Impfaktion nicht durchführen
„Unser geschäftsführender Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fordert, dass wir die Menschen boostern und vermittelt, dass wir genügend Impfstoff dafür haben“, sagt Martin Nieswand. Vertragsarztpraxen können einmal pro Woche Impfstoff für die nächste Woche bestellen, so erklärt es nicht nur Martin Nieswand, sondern auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung. Die Bestellung geben die Ärzte nach einer gewissen Kalkulation, wie viel Dosen gebraucht werden, dann in der Apotheke auf, von der Sie üblicherweise ihren Praxisbedarf beziehen. Nur: Als Martin Nieswand für die spontane Aktion am Wochenende Impfstoff bestellen will, ist nichts zu machen. „Der Großhandel war nicht fähig, flexibel zu reagieren“, sagt Martin Nieswand. Trotz, wie der Arzt betont, großen Bemühungen durch den Apotheker, mit dem er zusammenarbeitet.
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Der Arzt ist verärgert. „Da gehen Wunsch und Wirklichkeit nicht Hand in Hand. An uns Hausärzte an der Front der Pandemie-Bekämpfung werden stetig Forderungen aus der Politik gestellt.“ Damit meint er die Verteilung der Impfungen – seien es Erst-, Zweit- oder Dritt-Impfungen. Er habe die Diskussion rund um die Reaktivierung der Impfzentren verfolgt und auch die Statements der Hausärzte im HSK gelesen, die mal mehr mal weniger betont haben, dass Impfungen in den Hausarztpraxen verteilt werden könnten. „Auch ich sage: Wir Hausärzte können das. Impfen ist unsere ärztliche Kernkompetenz. Aber wir können es deshalb eben nicht, weil das System den Impfstoff nicht zur Genüge zur Verfügung stellt.“ Martin Nieswand muss die Aktion absagen. Der Arzt verimpft am Samstag nun die übrig gebliebenen Impfdosen aus seiner Praxis, um die 100 Stück.
Pandemie fordert Flexibilität – auch von Hausärzten in Winterberg
„Von uns wird in der Pandemie gefordert, dynamisch zu reagieren. Wir wollen Sonderaktionen fahren, aber es ist nicht möglich.“ Diese Aktionen seien wichtig, um auch alle Menschen zu erreichen. Nicht jeder habe einen impfenden Hausarzt und müsse sich die Impfung anders organisieren. „Unser Telefon klingelt täglich von 7.30 Uhr bis 18 Uhr durch – schier, weil die Nachfrage so groß ist.“ Die Arbeitstage sind durch das Impfen lang. Denn nicht nur der Pieks muss gesetzt, sondern die Bürokratie die damit einhergeht nachgearbeitet werden, wie beispielsweise die Erstellung des QR-Codes für den digitalen Impfpass. „Die Wertschätzung für all das hat tatsächlich nachgelassen.“ Viele Patienten seien noch dankbar und freundlich. Manche seien unverschämt, fordernd, laut. Das hat Dr. Nieswand früher so nicht erlebt, wie er sagt. „Das ist schade für unsere Mitarbeiterinnen, die Überstunden ohne Ende machen.“ Wegen ihnen plant Martin Nieswand erst einmal keine neue Sonder-Impfaktion. „Ich kann mein Team nicht jedes Wochenende fragen, die brauchen Erholung und Zeit zum Abschalten.“
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Der Frust ist riesig. „Die Flexibilität, die von uns verlangt wird, verlange ich auch in der Verfügbarkeit des Impfstoffes“, sagt Dr. Martin Nieswand. Zwar sei es erlaubt, auch unter den Praxen den Impfstoff zu tauschen, aber nach drei Anrufen bei den Kollegen ist klar: In jeder Praxis ist der Impfstoff restlos verbraucht, spontane Nachlieferung nicht möglich. „Das ist nicht schön, wenn seitens der Politik nur gefordert wird, aber keine Voraussetzungen geschaffen werden, um flexibel auf die aktuelle Lage zu reagieren. Wir haben nur durch die Impfung die Chance, das Virus zu bekämpfen.“ Die Lage sei schwierig. „Es ist so, dass der Zug schon aus dem Bahnhof abgefahren ist und wir versuchen gerade, ihn auf der Strecke abzufangen. Im Bahnhof werden wir ihn aber nicht mehr kriegen.“ Auch im Sauerland werde die Inzidenz steigen, glaubt Nieswand. „Was wir dagegen tun können? Impfen!“