Brilon. Der Abriss von Gebäuden ist deutlich leichter geworden. Das Stadtbild in Brilon verändert sich elementar – nicht in allen Fällen ist das positiv.

Als er vor kurzem mal wieder durch die Kurpromenade kam, staunte Jürgen Kürmann nicht schlecht. Kurpromenade, diesen Namen hatte die für den Durchgangsverkehr gesperrte Niedere Straße, die Verbindung von der Derkeren Straße zur Niederen Mauer in Brilon, im Zuge der Stadtkernumgestaltung Ende der 80er Jahre erhalten. Und ganz oben in der Einbahn-Anliegerstraße war Jürgen Kürmann die frische Baubrache ins Auge gefallen.

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An zentraler Stelle im Stadtkern war wieder einmal ein Stück vertrauter alter Briloner Bausubstanz verschwunden - und das hatte ihn doch ein wenig irritiert. Denn als Vorsitzendem des Bauausschusses sind ihm infrastrukturelle Entwicklungen in der Stadt ein besonderes Anliegen. Was ihn auf seine Nachfrage bei der Stadtverwaltung aber noch mehr verwunderte: „Im Prinzip kann man einen ganzen Straßenzug abreißen, ohne dass die Stadtverwaltung Bescheid weiß.“

 Diese Baubrache in der Niederen Straße, die einst als Kurpromenade geplant war,  
Diese Baubrache in der Niederen Straße, die einst als Kurpromenade geplant war,   © Jürgen Hendrichs

Zumindest dann, wenn es sich bei der Bebauung um frei stehende Häuser der sogenannten „Gebäudeklassen 1 und 3“ handelt.

Denn für deren Beseitigung sieht die aktualisierte Landesbauordnung von NRW seit Juli nicht einmal mehr eine Anzeigepflicht mehr vor. Dabei hatte die erst Anfang 2019 die Genehmigungspflichtigkeit abgelöst.

„Stolpersteine“ bereits entfernt

Begrenzt ist der freie Abbruch durch eine Höhenbegrenzung von sieben Metern. Dabei bezieht sich dieses Limit jedoch nicht auf die Decke eines Geschosses, sondern - so definiert es das Gesetz - auf die „Fußbodenoberkante des höchstgelegenen Geschosses, in dem ein Aufenthaltsraum möglich ist“.

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Ein nicht ausgebautes Dach zum Beispiel, so erklärt es Fachbereichsleiter Bauen, Marcus Bange, zähle deshalb nicht bei der Berechnung. Allerdings sind bei den sieben Metern Gebäude mit drei Geschossen zum ankündigungslosen Abriss freigegeben. Bis 2019 mussten Abrissvorhaben sogar bei der Bauaufsichtsbehörde beantragt und von ihr genehmigt werden. Marcus Bange: „Jeder Antrag war individuell zu prüfen.“ Welcher Verwaltungsaufwand dafür angefallen war, lasse sich im Nachhinein nicht mehr erstellen. Versagt worden seien Abrisswünsche jedenfalls nicht.

Nach Umstellung auf Anzeigepflicht Anfang 2019 sind nach Auskunft der Briloner Bauaufsicht 14 Abbruchvorhaben mitgeteilt worden. Einen Überblick über die seitdem tatsächlich erfolgten Gebäudebeseitigungen habe man nicht.

Seit Juli gültige Landesbauordnung

Die seit Juli gültige Landesbauordnung hat neben der Gebäudeklasse 1 - das ist die bereits erwähnte Sieben-Meter-Limit - auch den Abbruch von Objekten in der Gebäudeklasse 3 verfahrensfrei gestellt. Dabei handelt es sich um „sonstige Gebäude mit einer Höhe bis zu sieben Metern“. Außerdem können „sonstige Anlagen, die keine Gebäude sind, mit einer Höhe bis zu 10 Metern“ ohne weiteres beseitigt werden. Das trifft zum Beispiel auf Sendemasten oder sonstige technische Anlagen zu.

Am markantesten sind in den vergangenen Jahren die Derkere Straße und der Steinweg verändert worden. In der Springstraße rottet nach dem Scheitern des Stadthotel-Projekts eine gut 2000 Quadratmeter große Baubrache vor sich hin.

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Im Vorgriff auf den Abbruch des Hauses Schulstraße 10 in Brilon hat die Stadt bereits die dort verlegten Stolpersteine entfernen lassen. Klaus Wrede, Leiter des Ordnungsamtes und als Jugendparlament-Koordinator mit der Aktion, die an die deportierten jüdischen Mitbürger erinnern soll, befasst: „Wir wollten nicht, dass die Steine mit dem Bauschutt verschwinden.“

In dem Haus lebten bis zu ihrer Deportation die Familien Kahlenberg und Mansberg. 12 Stolpersteine hatte der Kölner Initiator der längst internationalen Aktion, Gunter Demnig, 2015 dort verlegt. Die Stolpersteine aus der Schulstraße standen gestern Abend auch im Mittelpunkt der Gedenkfeier anlässlich der November-Pogrome auf dem Platz der ehemaligen Synagoge an der Kreuziger Mauer.