Hallenberg. Ein Steinbruch wird zur Bühne. Die Bühne zum Meilenstein in der Sauerländer Kulturgeschichte. Die Freilichtbühne Hallenberg wird 75 Jahre alt.

Krisen machen erfinderisch. Ausgerechnet als der Burschenverein vor 75 Jahren sein 200-jähriges Bestehen mit einem Theaterstück feiern will, ist die Bühne im Wirtshaus nicht bespielbar. Was tun? Die Hallenberger suchen draußen nach einer geeigneten Spielstätte. Aber nichts passt so richtig. Laut Anekdote soll ein Passant gefragt haben: „Wo wollt ihr denn hin?“ – „Wir suchen einen Platz für unser Jubiläumsstück.“ – „Was wollt ihr spielen?“ – „Dreizehnlinden.“ - „Dann geht doch ins Steinknäppchen, da gibt es dreizehn Eichen!“ So steht es im Jubiläumsbuch, das am Sonntag vorgestellt wird. Und das war offenbar die Geburtsstunde der Freilichtbühne.

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Eine Erfolgsgeschichte

„Es war für uns eine Seligkeit. Tagsüber waren wir auf dem Feld, der Haushalt musste gemacht werden und dann noch die Proben. Abends sind wir in einer langen Reihe zurück in die Stadt gelaufen und haben unterwegs gesungen.“ Vor fünf Jahren erinnerte sich die inzwischen 92-jährige Maria Winter an die Anfänge der Bühne. Der Steinbruch wurde damals eigens als Theater hergerichtet. Nichtbühnenmitglieder bekamen für die Maloche 65 Pfennig Stundenlohn. Zum Vergleich: Die Westfalenpost, die ebenfalls vor 75 Jahren aus der Taufe gehoben wurde, kostete 20, ein Glas Bier 30 Pfennige. Mit einem Lkw wurden die Kostüme bei einem Verleih im westfälischen Ahlen abgeholt. Sie kosteten 786 Reichsmark. Und dann wurde „Dreizehn Linden“ gespielt. Es kübelte wie aus Eimern bei der Premiere. Trotzdem waren es zum Saisonende 7000 Besucher bei fünf Aufführungen. Und damit war klar, die Erfolgsgeschichte muss fortgeschrieben werden.

1946: So sah die Eintrittskarte für das Heldenepos
1946: So sah die Eintrittskarte für das Heldenepos "Dreizehnlinden" aus. Zwei Reichsmark kostete der Eintritt. © WP | WP

Zum 70-jährigen Bestehen schrieb die WP: „Die Akteure gründeten nach dem Erfolg einen eigenen Bühnenvorstand und engagierten einen Regisseur aus Hamm-Heesen. Dessen Lohn: Freie Kost und Logis, die von Haus zu Haus erbettelt wurde. Im Gegenzug wurden die Spieler manchmal ganz schön hart angegangen. Maria Winter: ,Einmal haben wir etwas nicht sofort begriffen, da hat er gesagt: Ihr seid so doof. Euch haben sie mit der Brotkruste aus dem Urwald geholt.‘ Kein schöner Umgang. Aber das hat sich grundlegend geändert.

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Nach und nach hat die Bühne Profi-Regisseure nach Hallenberg geholt, die wiederum durch ihre eigenen Netzwerke Musik- und Tanzprofis mit in die Nuhnestadt brachten und damit der Arbeit immer wieder neue Impulse gaben. Vorbei sind die Zeiten, als von der „Laienspielschar“ gesprochen wurde. Die Übergänge sind fließend geworden, mancher vermeintliche Laie könnte heute auch an anderen Bühnen arbeiten.

Freilichtbühne Hallenberg: Kein Platz für Diven

Ob Dschungelbuch oder Passion, ob My fair Lady oder Pippi Langstrumpf - ich habe sie alle gesehen. Seit mehr als 35 Jahren begleite ich und begleitet mich die Arbeit der Freilichtbühne Hallenberg. Und meine Begeisterung für das Theater und die Menschen dort ist ungebrochen.

Von der ersten Stunde an haben mich die Euphorie und der Zusammenhalt vor, auf und hinter der Bühne fasziniert. Anders als auf Profibühnen ist hier für männliche und weibliche Diven kein Platz. Die Hauptdarsteller kommen gehetzt von der Arbeit, das Butterbrot auf der Hand und eilen zur Probe. Morgen hilft er oder sie beim Streichen, übermorgen beim Kulissenbau. Hier arbeiten Menschen Hand in Hand, Jahr für Jahr auf ein gemeinsames Ziel hin: Theater machen und andere unterhalten.

Der Applaus des Publikums ist hier noch der sprichwörtliche Lohn für all die Mühen. Denn kein Darsteller, kein Techniker, keine Maskenbildnerin, kein Platzanweiser bekommt auch nur einen Cent für die unzähligen Stunden, die hinter jeder Inszenierung stecken. Aber er und sie bekommen viel mehr: Anerkennung, Wertschätzung und Zusammengehörigkeitsgefühl. Und für Groß und Klein gibt es kaum einen besseren Ort, um soziales Miteinander und Verantwortungsbewusstsein zu lernen bzw. zu praktizieren.

Auf die Freilichtbühne kommen spannende Jahre zu. „Dreizehn Linden“ oder „Die Donareiche“ kann ein modernes Theater von heute nicht mehr spielen. Es ist eine große Herausforderung, eine neue Klientel zu gewinnen und das Stammpublikum zu halten.

Ich bin optimistisch, dass das gelingt. Herzlichen Glückwunsch, liebe Freilichtbühne, zum 75. Geburtstag! Thomas Winterberg

Immer mehr Professionalität

Überhaupt ist der gesamte Ablauf professioneller geworden. Das Theater ist schon seit Jahren überdacht und verfügt über jede Menge Licht- und Tontechnik. Von kleinen Mikro-Ports, deren Sender man sich in die Tasche stecken kann, dürften die Pioniere damals geträumt haben. Die Bühne hat ein eigenes Heimstudio, wo im Winter geprobt werden kann. In der Schneiderei mit großem Fundus entstehen Kostüme, die auch das ganze Jahr über an andere Theater oder an Privatleute verliehen werden. Aber der Verein hat nicht nur in Steine investiert, sondern sich immer wieder neu ausgerichtet.

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Das spiegelt der Spielplan wider. Auf das riesige Bühnenareal kommen nicht nur unterhaltsame Schenkelklopfer. „Ich denke, dass es viele gute Stücke im Standardrepertoire gibt, die man neu adaptieren und immer noch spielen kann. Parallel dazu glaube ich aber auch, dass wir hier und da neue Stücke ausprobieren und auch mal ein Wagnis eingehen dürfen“, sagt Bühnensprecher Georg Glade. Er selbst ist seit Jahren auf schräge Rollen abonniert und mag die Diversität des Ensembles. „Hier treffen sich viele unterschiedliche Menschen, die aber alle dasselbe Ziel haben. Und ich kann nur für mich sprechen: Es ist ein sehr schönes Gefühl, wenn man beim Schlussapplaus ins Publikum und in begeisterte Gesichter schauen darf.“

Tag der offenen Tür

An diesem Sonntag, 3. Oktober, feiert die Bühne mit einem Tag der offenen Tür für Freunde und Mitwirkende des Theaters ihren Geburtstag. Mit einem Gottesdienst um 10.15 Uhr geht es los; danach Begrüßung und Frühschoppen mit der Stadtkapelle „Concordia“. Von 12 bis 15 Uhr stehen Bühnenführungen, Kinderschminken, Kinderrallye und ein Medley aus den drei Inszenierungen dieses Jahres auf dem Programm (Der gestiefelte Kater, Charleys Tante und Die Drei von der Tankstelle). Danach klingt das Fest, an dem die 3-G-Regeln gelten, gemütlich aus. Und neben den Theater-Häppchen muss auch niemand verhungern oder verdursten.