Brilon/Madfeld. Erneut ging es vor dem Gericht in Brilon um die Marihuana-Plantage in Madfeld. Im Mittelpunkt stand allerdings der Richter aus erster Instanz.

Weil der Richter am Amtsgericht Brilon bei dem Prozess im vergangenen Oktober den Angeklagten „in erheblicher Weise in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt“ hatte, ging es jetzt noch einmal um die auf einem Dachboden mitten in Madfeld angelegte Marihuana-Plantage. Dabei spielte allerdings der professionell betriebene Drogenanbau nur eine Nebenrolle. Vielmehr musste das Schöffengericht Brilon unter Vorsitz von Amtsgerichtsdirektor Hans-Werner Schwens das Verfahren prozessual wieder in die Spur bringen.

Denn das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hatte dem von dem Angeklagten eingelegten Antrag auf Revision stattgegeben - obwohl der damals noch in der Verhandlung auf Rechtsmittel verzichtet hatte.

„Sicherungsverteidiger“ ernannt

Rückblick. Als an jenem Oktobertag 2020 das Verfahren gegen den 21-jährigen Angeklagten im Amtsgericht aufgerufen wurde, glänzte sein Verteidiger, ein Rechtsanwalt aus Paderborn, durch Abwesenheit. Bereits ab dem frühen Morgen hatte es zwischen ihm und dem Gericht diverse Telefonate gegeben.

Anwalt des Vertrauens

Neben der unorthodoxen Bestellung des Sicherungsverteidigers beanstandete das Oberlandesgericht auch die Art und Weise des Verzichts auf Rechtsmittel in der ersten Instanz.Den hatte der Angeklagte zwar erklärt, aber: „Gelegenheit, diese Fragestellung vor Abgabe der betreffenden Erklärung mit dem von ihm gewählten und im Hauptverhandlungstermin nicht anwesenden Pflichtverteidiger zu erörtern, ist ihm nicht eingeräumt worden“, so das OLG. Nach Ansicht des OLG ist einem Angeklagten vor der Benennung eines neuen Verteidigers Gelegenheit zu geben, einen eigenen Vorschlag zu machen.

Schon geraume Zeit vorher hatte der Anwalt um eine Terminverschiebung gebeten, dessen Erfordernis nach Ansicht des Richters aber nicht hinreichend nachgewiesen. Und da der Anwalt die per Fax erbetene schriftliche Zusicherung, einen etwaigen Ersatztermin in jedem Fall wahrzunehmen, nicht lieferte, bestellte der Richter auf Antrag der Staatsanwaltschaft stante pede einen gerade im Gebäude anwesenden und deshalb greifbaren Rechtsanwalt zum sogenannten „Sicherungsverteidiger“.

Und zwar gegen die ausdrückliche Bitte des in Büren lebenden 21 Jahre alten Angeklagten, gerne bei seinem Anwalt bleiben zu wollen, auch wenn es, wie der junge Mann einräumte, noch kein Gespräch zwischen den beiden gegeben habe. Diese Steilvorlage nahm der Richter auf. Denn damit, so der Richter damals, liege ja „die gleiche Ausgangslage“ wie bei dem jetzt bestellten Sicherungsverteidiger vor.

Stoff für 17.600 Joints

Eine halbe Stunde Zeit räumte der Richter den beiden zur Vorbereitung der Verhandlung ein. In der äußerte sich der Angeklagte zunächst nicht zu den Vorwürfen. Allerdings machten seine Tante und sein Onkel als Zeugen reinen Tisch. Sie berichteten, wie sie sich Anfang 2020 über die hohe Gas- und Stromrechnung wunderten, die in dem Gebäude in Madfeld, das der Vater des Angeklagten für sie renovieren wollte, angefallen waren. Dabei hatte sich der Vater längst von der Familie in Büren getrennt und begonnen, sich in der Schweiz mit einer neuen Partnerin ein neues Leben aufzubauen.

Als sich die skeptisch gewordene Schwester das Haus bei einem Abstecher in den HSK näher anschaute, entdeckte sie die Plantage - und informierte die Polizei. An einem sich fast über einen ganzen Sonntag hinziehenden Einsatz hob die Kripo im Januar vergangenen Jahres die Plantage aus. 126 Töpfe mit überwiegend abgeernteten Marihuanapflanzen und insgesamt rund 2,4 Kilo Marihuana, Stoff für rund 17.600 Konsumeinheiten, kamen zusammen.

Vater (45) mit Bagger tödlich verunglückt

Tragisch: Vier Wochen vor dem Gerichtstermin im vergangenen Oktober war der Vater des Angeklagten bei einem Arbeitsunfall mit seinem Bagger in der Schweiz tödlich verunglückt, zwei Monate nach der Geburt des ersten Kindes mit seiner neuen Lebensgefährtin.

In der ersten Verhandlung räumte der Angeklagte am Ende der Beweisaufnahme ein, nur ab und zu auf Wunsch seines Vaters nach der vollautomatisierten Plantage gesehen zu haben.

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Diesmal ging sein beim ersten Termin abwesender Anwalt des Vertrauens gleich in die Offensive und bat die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und das Gericht um einen „Deal“. Dessen Ergebnis: Auch bei einem dieses Mal umfassenden Geständnis gemäß der Anklage sollte es trotz der hohen Rauschgiftmenge bei einer Jugendstrafe zur Bewährung bleiben. Die ist bei einem Heranwachsenden bei Reifeverzögerungen und dem Ausschluss etwaiger schädlicher Neigungen möglich - doch dafür, auch das hatte das Oberlandesgericht gerügt - genügten die in der ersten Verhandlung „auf drei Sätze beschränkten“ Feststellungen nicht.

Von Dauerarrest abgesehen

Nach einer umfangreichen Erörterung des Lebenslaufes und dem Gutachten der Jugendgerichtshilfe war dem Vorsitzenden Richter immer „noch nicht richtig klar, wo wir bei Ihnen dran sind“. Allerdings habe man bei ihm „keine schädlichen Neigungen feststellen können, die eine Freiheitsstrafe erforderlich machten“.

Deshalb verhängte das Gericht, wie von der Staatsanwaltschaft beantragt, wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Jugendstrafe, deren Höhe nicht festgelegt wurde, sondern von dem Verhalten in der auf zwei Jahre festgelegten Bewährungszeit abhängt; außerdem muss der 21-Jährige 1300 Euro an den Förderverein der Roman-Herzog-Schule zahlen.

Der ihm von dem erstinstanzlichen Richter aufgebrummte Dauerarrest von drei Wochen als erzieherische Maßnahme sowie die 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit bleiben ihm erspart.