Bigge. Jede Viertelstunde meldet sie sich zu Wort. Gerhard Kieseheuer hat sich in Bigge auf die Spur der „Caritasglocke“ begeben. Das ist ihr Geheimnis.

Im Turm der Bigger Pfarrkirche hängen vier mächtige Glocken. Doch es gibt noch eine kleine, unscheinbare Glocke, der man ihre große Geschichte nicht ansieht. Jede viertel Stunde meldet sie sich mit ihrem Glockenschlag. Auf die Spur dieser „Caritasglocke“ hat sich jetzt Gerhard Kieseheuer begeben und hat dabei einiges entdeckt, was lange in Vergessenheit geraten war.

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56 Stufen bis zum Turm

56 Stufen führen - durch das Kreuzzimmer - hinauf in den alten Turm der Bigger St.-Martinus-Kirche. Gerhard Kieseheuer beschäftigt sich seit vielen Jahren intensiv mit der Geschichte der Gemeinde. Dabei ist er auf Unterlagen gestoßen, die aus dem Archiv von Heinz Lettermann stammen. Und darin fanden sich viele Informationen zu der alten Bigger Glocke aus dem Jahr 1545. „Sie ist in Vergessenheit geraten, denn die Menschen, die ihre Geschichten kannten, sind verstorben. Es handelt sich dabei um die älteste und wertvollste Glocke, die Caritasglocke“, erzählt Gerhard Kieseheuer.

Er berichtet, dass die 430 Kilogramm schwere Glocke 1545 für die Klosterkirche gegossen wurde, die sich innerhalb der Wallanlage auf dem Borberg befand. Als die Klosterkirche aufgegeben wurde, bekam die Martinus-Gemeinde die Glocke geschenkt. Das war im Jahr 1640. Aufgrund einer Inschrift trägt sie den Namen Caritas-Glocke, die die Menschen zu Frieden und Gebet aufruft. Gerhard Kieseheuer hat auch das weitere Schicksal der Caritas-Glocke zusammengetragen.

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Zu Kanonen eingeschmolzen

Demnach besaß die Martinus-Kirche drei Glocken, die die Gläubigen zum Gottesdienst riefen. Bis 1917 läuteten in Bigge drei Glocken, berichtet Gerhard Kieseheuer. Doch dann wurden zwei davon abtransportiert, um sie zu Kanonen einzuschmelzen. Sie gehörten zur Kategorie A und mussten abgliefert werden. Zurück blieb nur die alte Glocke von 1545. Gerhard Kieseheuer berichtet: „Die Caritasglocke wurde der Kategorie C zugeteilt. Diese Gruppe galt als geschützt und weil die Kirche die kleinste Glocke behalten durfte, blieb sie hängen.“

Bis 1921 war sie einzige Glocke im Turm. In diesem Jahr - also heute vor 100 Jahren - wurde von der Kirchengemeinde Langendreer eine gebrauchte große Glocke gekauft. Die Glockengießerei Junker und Edelbrock aus Brilon goss 1926 eine mittlere Glocke für die Martinus-Kirche. „Doch die Freude an den Glocken hielt nicht lange an“, berichtet Gerhard Kieseheuer. So mussten 1942 die drei Glocken zu Kriegszwecken abgebaut werden und wurden per Bahn nach Hamburg gebracht - diesmal wurde auch die kleine Caritasglocke nicht verschont. Sie wurde am 22. Mai ausgebaut und zum Bigger Bahnhof gebracht, von dort sollte sie ein paar Tage später abtransportiert werden.

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„Aber die Bigger gaben noch nicht auf, die Caritasglocke zu retten“, so Kieseheuer. Allerdings eurde ein entsprechender Antrag wurde abgelehnt. „Doch was keiner ahnte: Es sollte doch ein Happy-End geben“. freut sich der Bigger. Im Juli 1947 bekam die katholische Kirchengemeinde einen Brief vom Erzbischöflichen Generalvikariat in Paderborn. Darin wurde mitgeteilt, dass im Hafen von Münster Kirchenglocken aus Hamburg angekommen waren, die jetzt auf dem Marmorwerk Flora lagerten und abgeholt werden sollten. Und so kam die Caritasglocke am 16. September 1947 wieder ins Sauerland zurück. Allerdings hatte sie einen Riss. Was also tun?

Über 400 Jahre alt

Der Kirchenvorstand holte sich daraufhin Rat bei Prof. Dr. C. Mahrenholz in Hannover, der die Rückführung der Glocken organisierte. Der schrieb: „Da ihre Glocke eine der schönsten ist, die vor der Kriegsvernichtung bewahrt blieb und da sie bereits über 400 Jahre alt ist, steht sie unter Denkmalschutz und darf nicht eingeschmolzen werden. Jedoch wäre auch ohne diese Schutzbestimmung das Einschmelzen eines ehrwürdigen Zeugnisses spätmittelalterlicher Gießerkunst ein rechter Jammer. Wir möchten deshalb sehr empfehlen, die Glocke schweißen zu lassen“.

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Das nahmen sich die Bigger zu Herzen und ließen ihre Caritasglocke in Nördlingen in dem Glockenschweißwerk Hand Lachenmeyer reparieren. Kosten: 387 DM. „Und so war die wertvolle, schöne mittelalterliche Glocke gerettet“, freut sich Gerhard Kieseheuer. Und deshalb schlägt sie nun seit 1953 wieder zu jeder viertel Stunde...