Winterberg. Fast 10.000 Corona-Fälle gab's bisher im HSK. Winterberg-Altenfeld ist aber coronafrei. Zu Besuch im Ort, in dem Menschen aufeinander aufpassen.
Das Leben auf dem Land hat seine Vorteile. Man kennt sich. Jeder greift dem Anderen unter die Arme, wenn mal Not ist. Im März vergangenen Jahres zieht die Not in Deutschland ein – die Corona-Pandemie breitet sich rasant über alle Landesteile aus. Rund 10.000 nachgewiesene Corona-Fälle gab es bislang im HSK. Während sich in fast ganz Deutschland tagtäglich Meldungen mit Neuinfektionen häufen, bleibt ein Ort mitten im Sauerland verschont. Und bleibt es bis heute. Denn im kleinen DorfAltenfeld bei Winterberg hat es bis zum heutigen Tag nicht eine nachgewiesene Infektion mit dem Coronavirus gegeben. Ein Besuch im Zero-Covid-Dorf.
Für „Wally“ ist die Sache klar. Walburga Fladung kennt jeden in dem 187 Menschen zählenden Ort an der Grenze zu Schmallenberg. Entweder man trifft sich im Schützenverein, ist in der freiwilligen Feuerwehr aktiv oder sieht sich einfach nur auf einer der drei Straßen, die die kleine Ortschaft durchziehen. „Ich kenne keinen, der Corona hatte“, sagt sie. Inzidenzwert null: Sie muss es wissen.
So ganz zu belegen ist das aber nicht. Dafür sind die Zahlen der Stadtverwaltung in Winterberg nicht konkret genug. „Seit dem 19. November kam es zu keiner Infektion“, kann Pressesprecherin Rabea Kappen auf Anfrage aber versichern. Die Durchsicht der Daten aus den Monaten zuvor sei zu aufwendig. Sollte es zu einer Infektion gekommen sein, sollte das Ortsvorsteher wissen.
Quarantäne in der Nachbarstadt
Seit einer gefühlten Ewigkeit ist das Frank Fladung. Er ist der Mann von Walburga Fladung und wohnt seit 1988 im Ort. Auch ihm ist keine Corona-Infektion in Altenfeld bekannt. Lediglich der Sohn des Nachbars habe sich einmal infiziert. Also doch nicht coronafrei? „Er ist ohnehin kaum hier und hat sich bei einer Feier mit Freunden in Hallenberg angesteckt“, sagt Franz-Josef Uelsberg.
Er ist der Vater des ehemals Infizierten und versichert, dass sich sein Sohn unmittelbar nach der Infektion in Quarantäne bei seiner Freundin in Hallenberg begeben hat. „Wir mussten ihn aber nicht verbannen“, sagt er. Lediglich einmal kurz ist sein Sohn im Ort, um ein paar Sachen für die Quarantäne in Hallenberg abzuholen – ohne jeglichen Kontakt zum Rest des Dorfs.
Das Dorf Altenfeld halten die Bewohner nach eigener Ansicht als belebt. Jung und Alt beteiligen sich aktiv am Vereinsleben. „Bis auf drei Einwohner ist jeder in einem der drei Vereine“, sagt Uwe Lübke. „Die meisten“, sagt der Vorsitzende des Schützenvereins, „sind eigentlich in allen dreien.“ Inmitten der Pandemie kommt aber auch im Schützenverein, dem Verkehrsverein und der freiwilligen Feuerwehr das Leben zum Erliegen.
Der Dorffunk funktioniert auch ohne Handy
Auf der Suche nach den Gründen, warum es eine weltweite Pandemie nicht nach Winterberg-Altenfeld geschafft hat, fällt schnell das Wort Glück. „Anders kann ich mir das eigentlich nicht erklären“, sagt Frank Fladung. Beim Gespräch auf der Straße grüßt er eine Frau, die am Straßenrand in einem Korbstuhl sitzt freundlich. „Hier brauche ich kein Whatsapp, um zu erfahren, wie es den Leuten geht“, sagt er. Der Dorffunk funktioniert auch so.
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Deswegen sind sich er und seine Frau Walburga auch sicher, dass sie von einer Corona-Infektion Wind bekommen hätten. „Wir haben hier mehr Kühe als Menschen im Ort“, sagt er und lacht. Fünf landwirtschaftliche Betriebe und zwei Gaststätten zählt Altenfeld. Ansonsten gibt es nur Wohnhäuser, in denen verschiedene Generationen einer Familie noch gemeinsam leben – was sich zu Hochzeiten der Pandemie bezahlt machte. „Da ist dann eben nur einer pro Haus zum Aldi gefahren und hat eingekauft“, sagt Walburga Fladung.
„Wer Hilfe brauchte, konnte sie hier finden“
Wo sonst Gespräche auf der Straße oder bei gemeinsamen Nachmittagen stattfanden, beschränkte sie sich in den vergangenen 16 Monaten vor allem auf den Kontakt über das Handy. Das Handy, was ihr Mann nicht benötigt. „WhatsApp oder wie das heißt“, sagt der. Seine Frau nutzte den Messenger, um in einer Gruppe schnell so viele Altenfelder wie möglich zusammen zu bekommen. „Wer Hilfe brauchte, konnte sie hier finden“, sagt sie. Masken wurden genäht und verteilt, Einkaufshilfen angeboten. „Und wenn mal jemand was nicht im Haus hatte, wurde einfach beim Nachbar gefragt“, sagt sie.
Die Altenfelder wollten so sicherstellen, dass keiner unnötig oft in Kontakt mit Menschen außerhalb des Dorfs treten muss. Die Arbeit aber ist für viele in Altenfeld ein Grund, für den sie auch in der Pandemie ihren Ort verlassen mussten. „Außer den Bauern arbeiten hier die meisten in der näheren Umgebung“, sagt Frank Fladung. Wie er selbst auch.
Aus reinem Eigeninteresse
Als Notar und Rechtsanwalt arbeitet er in seiner eigenen Kanzlei in Medebach, fährt jeden Tag 30 Minuten zur Arbeit. Allein schon aus reinem Eigeninteresse habe er penibel darauf geachtet, sich bloß nicht zu infizieren. Ein Stück weit wird er das aber auch für sein Dorf gemacht haben. Man kennt sich eben – und passt aufeinander auf.