Brilon/Marsberg. Eine 43 Jahre alte Frau will in Marsberg aus einem Krankenhaus flüchten. Sie legt Feuer in ihrem Zimmer und nutzt das Chaos nach dem Feueralarm.

Zwei Psychiater, eine Patientin - und zwei konträre Diagnosen: Während der eine Leitende Oberarzt der LWL-Klinik Marsberg die 43 Jahre alte, seit ihrer Kindheit unter Persönlichkeitsstörungen leidende Angeklagte als schuldunfähig einstufte, betrachtete der andere sie als schuldfähig - und das war auch ganz im Sinne der Frau selber. Denn sie hatte nach 15 Jahren von Marsberg „die Schnauze voll“. Selbst jetzt, in der U-Haft in der Justizvollzugsanstalt Köln, fühle sie sich wohler als in der Klinik im Sauerland. Im September fasste sie einen Plan: Gemeinsam mit ihrer Zimmergenossin wollte sie türmen. Ihr Plan: In ihrem Zimmer ein Feuer zu legen, das dadurch entstehende Tohuwabohu ausnutzen und durch die bei Feueralarm sich automatisch öffnenden Fluchttüren abzuhauen.

Wegen versuchter schwerer Brandstiftung vor Gericht

Das Vorhaben ging nicht auf. Wegen versuchter schwerer Brandstiftung musste sich die 43-Jährige jetzt vor dem Schöffengericht Brilon verantworten. Ihr Glück: Es war bei einer angekokelten Matratze und ein paar verbrannten Kleidungsstücken geblieben. Die aber hatten für jede Menge Qualm gesorgt und den Rauchmelder ausgelöst. In dem Durcheinander auf der Station konnte die Patientin tatsächlich entwischen, allerdings kam sie nur bis ins Treppenhaus. Dort konnte sie ein Pfleger aufhalten.

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Was der Frau vor Gericht gebracht hatte: Ein paar Tage vor der Tat hatte sie einer Krankenschwester gesagt, dass sie „die ganze Station abfackeln“ werde. Das sei ihr „so rausgerutscht“, sagte sie jetzt in der Verhandlung: „Ich wollte weg. Ich wollte doch keinen umbringen.“

Zwei Gutachter – zwei unterschiedliche Einschätzungen

Schon im Alter von zehn Jahren hatten sich bei dem in schwierigen häuslichen Verhältnissen aufwachsenden Kind erste Persönlichkeitsstörungen gezeigt. Es folgten eine desolate Schullaufbahn, Drogen jeglicher Art und für ein paar Wochen ein Job auf einer Putzstelle. 2002 kam sie in die LWL-Klinik. Zeitweise lebte sie dort im Wohnverbund, aber seitdem sind auch 22 Aufenthalte im stationären Bereich angefallen. Für den einen Arzt stand eine schwere schizophrene Psychose bei der Tat im Vordergrund. Der Angeklagten fehlten jegliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, bei ihr träten heftigste Stimmungsschwankungen auf, ihr Wunsch, ein „ganz normales Leben führen zu wollen, sei nicht zu erfüllen. Dieser Arzt hielt die 43-Jährige für schuldunfähig.

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Der andere Psychiater dagegen sagte, dass die Frau trotz ihrer Schizophrenie und der eingeschränkten Steuerungsfähigkeit die Tat immerhin gezielt geplant und ausgeführt habe, „um abhauen zu können“. Anders wäre es, wenn ihr zum Beispiel ominöse Stimmen befohlen hätten, das Feuer zu legen. Die Tat, sagte er, sei nicht aus einem Impuls heraus passiert. Er hielt die Angeklagte für schuldfähig, sagte aber auch, dass sie einen „geschützten Rahmen“ brauche.

Rechtsgespräch hinter verschlossenen Türen

Für Richter Neumann stellte sich die Frage, ob die bisher nicht straffällig gewordene Angeklagte „nur raus“ oder tatsächlich „die Station abfackeln“ wollte: Ein Urteil und die Strafe hänge „von der Absicht ab“. In einem Rechtsgespräch hinter verschlossenen Türen erörterte das Gericht mit dem Verteidiger, Rechtsanwalt Oliver Brock (Brilon) und Staatsanwalt Henning Michels, das weitere Vorgehen.

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Heraus kam ein sogenannter Deal, da nicht nur der Verteidiger sondern auch der Vertreter der Anklage eher zu dem Gutachter, der die Schuldfähigkeit attestiert hatte, tendierten. Deshalb sollte die Tat als versuchte schwere Brandstiftung in einem minderschweren Fall abgeurteilt werden. Dabei sollte ein Strafmaß zwischen einem Jahr und zehn Monaten und zwei Jahren und zwei Monaten ohne Bewährung im Raum stehen.

In seinem Plädoyer sagte Staatsanwalt Michels denn auch, dass das Feuer „nur Mittel zum Zweck“ gewesen sei, nämlich abzuhauen. Ihr sei es nicht darauf angekommen, die Station abzufackeln: „Gottseidank gab es keine Verletzten.“ Allerdings gehe von der Angeklagten „eine hohe abstrakte Gefahr“ aus. Seine Strafforderung: zwei Jahre ohne Bewährung - dafür gebe es angesichts des bisherigen Lebensweges keine günstige Sozialprognose. Dem schloss sich auch der Verteidiger an, der darauf hinwies, dass die Therapie auch in der Haft fortgesetzt werden müsse.

Das Gericht folgte den Anträgen. Für „wahnhafte Störungen“ habe es keine Anhaltspunkte geben. Eine gewisse Steuerungsfähigkeit sei gegeben, die Tat sei auch nicht im Affekt begangen worden, schließl habe es Alternativ-Pläne für die Flucht gegeben. Richter Neumann: „Sie wollten in die Freiheit. Das ist menschlich nachvollziehbar.“

Und was sagte die Angeklagte zu dem Deal? „Ich nehme das an. Was willste machen?“ Für eine Zeitlang erfüllt sich damit ihr Wunsch: Hauptsache nicht Marsberg.