Brilon. „Michi’s Salon“ in Brilon öffnet. Was der Friseur über erste Termine, Schwarzarbeits-Angebote im Lockdown und Angst vor der Dritten Welle sagt.
Vera Sombert ist die zweite. Ihr Mann war der erste. Sie geht nach zehn Wochen Lockdown als eine der ersten mit einem frischen Haarschnitt aus „Michi’s Salon“ in Brilon. Er öffnet seit heute seinen Salon wieder – wie alle anderen Friseurmeister, die wegen des Corona-Lockdowns wochenlang schließen mussten. Für mindestens einen Monat ist er ausgebucht – und freut sich auf die langen Arbeitstage, die ihn aus dem Trott der letzten Wochen holen.
Michael Wendel kennt seine Kunden seit Tag eins nur mit Maske
„Wann warst du gleich das letzte Mal da?“, fragt Michael Wendel. Er rasiert die langen Strähnen in Vera Somberts Nacken vorsichtig ab. „November!“, ist die Antwort – in einem Ton, der alles sagt: Michael Wendel und seine Schere wurden vermisst. Schmerzlich. Sein Salon ist klein, nur ein Kunde nimmt auf dem pythongemusterten Stuhl vor dem Spiegel Platz. Michael Wendel fragt Vera Sombert nach der Arbeit. Wie es in der Familie läuft. Sie kennen sich, Stammkundin ist sie. Ein kleiner Tratsch, als wäre nie Lockdown gewesen.
„Es war so aufregend, wieder aufzumachen. Als wäre ich wieder vor der Gesellenprüfung“, sagt Michael Wendel. Er freut sich auf die Kunden.
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Auf 12-Stunden-Arbeitstage und das Gefühl, am Abend nach Hause zu gehen und etwas sinnvolles getan zu haben. Im Mai 2020 hat seinen Salon eröffnet, kurz nach dem ersten Lockdown. „Es ist seltsam, ich kenne meine Kunden von Tag eins nur mit Maske. Ist natürlich für die Typberatung schwieriger, weil ich nicht erkennen kann, ob ein Kinn spitz ist oder wie der Mund aussieht. Das Gesamtpaket habe ich noch nie gesehen.“ Er kommt aus Werl, ist für die Liebe nach Brilon gekommen, hat diese Entscheidung noch kein einziges Mal bereut. Mit seinem Salon ist er gerade dabei, sich einen Kundenstamm aufzubauen – einen Sommer lang. Vor Weihnachten kommt der Lockdown. Der zweite.
250 Euro für einen Haarschnitt in Schwarzarbeit
An dem Wochenende vor Weihnachten hätten die Kunden alles getan, um noch einen Termin zu bekommen.
„Dem konnte ich nicht gerecht werden.“ Nach einem Wahnsinns-Wochenende legt der die Schere auf den Tisch, dreht die Heizung ab und geht heim. Für Wochen. „Erstmal fand ich den Lockdown erholsam. Mein Körper ist runtergefahren. Aber nach einer Woche fühlt sich der Lockdown nicht wie Urlaub an.“ Er vermisst die Arbeit. Viele kümmern sich um ihn. Seine Mutter bietet ihm finanzielle Hilfe an. „Ich bekomme immer noch Gänsehaut, so sehr hat mich ihr Angebot gerührt. Ich war Gott sei Dank nicht in einer Position, in der ich diese annehmen musste“, sagt er. Er versteht allerdings die Verzweiflung, die in der Branche herrscht. Hat die Diskussion um die weinende Friseurin aus Dortmund mitverfolgt. Ihm wurden im Lockdown sogar 250 Euro für einen Haarschnitt geboten, in Schwarzarbeit. Er lehnt ab, natürlich. „Im Salon ist man mit bis zu 80 Euro für schneiden und färben dabei. An diesem Angebot sieht man doch, wie wichtig es den Menschen ist, zu zeigen, dass ihre Haare toll sind. Die Frisur ist immens wichtig geworden, um in der Gesellschaft aufgenommen zu werden.“
Im Lockdown selbst die Haare gekürzt
„Hat dein Mann schon gut gemacht, wirklich“, sagt Michael Wendel und lacht verschmitzt. Vera Sombert nickt. In den Wochen seit ihrem letzten Termin hat ihr Mann hier und da die Spitzen geschnitten. „Sonst hält man das ja nicht aus.“
Michael Wendel kann eigentlich nicht verstehen, dass er aufmachen darf und dass Kosmetik- und Nagelstudios zu bleiben. „Die haben ein wesentlich sichereres Hygienekonzept, weil sie schlicht nicht so nah am Menschen arbeiten wie ich.“
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Er kennt viele, die weiterhin im Lockdown bleiben müssen. „Ich kenne mindestens zehn Menschen, die genauso bitterlich weinen würden, wie es die Friseurin in ihrem Video auf Instagram getan hat.“ Er sagt aber auch, dass jetzt jeder an sich denken muss. Dass es weitergehen musste. Es freut ihn, dass der Lockdown gezeigt hat, dass Friseure wichtig sind. Es herrsche mehr Wertschätzung. „Wir werden als systemrelevant eingestuft. Wir haben an Ansicht gewonnen und jeder bemerkt endlich, dass wir eine Dienstleistung im Handwerk bringen, die entsprechend bezahlt werden muss.“
Er versucht, optimistisch durch die Pandemie-Gegenwart zu gehen.
Stolz, den Menschen Lebensqualität wiedergeben zu können
Vera Sombert dreht den Kopf hin und her. Michael Wendel hält den runden Spiegel vor, damit sie ihre Frisur auch von hinten bewundern kann. Schwarz, kurz, modern. Es gefällt. „Wo gehst du jetzt noch hin?“, fragt Michael Wendel. „Einkaufen, ist ja die einzige Gelegenheit, sich zu zeigen.“ Die beiden lachen. „Wenigstens ist uns der Humor geblieben“, sagt Vera Sombert. Nach dem Bezahlen steht sie vor der Kasse, streicht sich hier und da ein paar kleine Haare aus dem Nacken. „Wann kann ich wiederkommen?“ April wird es. Fast sechs Wochen nach diesem Termin. Der nächste Termin ist ohnehin erst Anfang April zu bekommen. Einen Monat ist er ausgebucht.
Michael Wendel hat Angst. Davor, dass die Dritte Welle kommt, wie sie überall schon angekündigt wird. Dass er wieder zumachen muss. „Alles ist sehr sehr ungewiss“, sagt er. „Es ist eine Frage der Zeit, wann wir wieder zumachen müssen. Jedenfalls habe ich große Bedenken.“ Er sagt aber auch: „Ich bin jeden Tag froh, dass ich arbeiten darf. Ich bin stolz, dass die Menschen herkommen und ich ihnen ein Stück Lebensqualität wiedergeben darf. Hoffen wir, dass wir die Normalität noch erhalten können.“