Brilon. Das Verfahren im Streit, wer wie lange im Rat Brilon reden darf geht vor dem Oberverwaltungsgericht in die nächste Runde. Darum geht's:

Der Rechtsstreit um die Redeordnung im Rat Brilon geht nach einem Jahr Pause in die nächste Runde. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 5. Dezember 2019 „wegen der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache“ jetzt zugelassen. Und die wollen die Kläger, fünf Ratsmitglieder von BBL, FDP und Die Linke, auch durchziehen. Eine für Dienstag dieser Woche von Bürgermeister Dr. Christof Bartsch einberufene Telefonkonferenz, um mit den Sprechern aller Ratsfraktionen eine einvernehmliche außergerichtliche Lösung zu finden, ließen sie jedenfalls platzen.

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Und das nicht nur der Sache wegen, die – so Dr. Alexander Prange (FDP) zur WP - „bislang weder landes- noch bundesweit“ geklärt worden sei und mit der „juristisches Neuland“ betreten werde. Sondern auch deswegen, weil CDU und SPD auch nach der Kommunalwahl weitermachten wie bisher und die kleinen Fraktionen von der politischen Mitwirkung ausschlössen oder ihre Arbeit erschweren wollten. Dr. Prange: „Pluralität und breit gefächerte Meinungsbildung sind offenbar nicht erwünscht.“

Auslöser: Konflikt um Krankenhaus

Zur Erinnerung: Im Juli 2017 hatte der Rat mit den Stimmen von CDU und SPD die Redezeit in Rats- und Ausschusssitzungen von bis dahin drei Wortbeiträgen von jeweils maximal 10 Minuten pro Ratsmitglied auf zwei Beiträge von höchstens fünf Minuten reduziert. Anlass: Die Spannungen rund um die damalige Geschäftsführung des Krankenhauses und die damit verbundene Wahrnehmung der Kontrollfunktion durch die kommunalen Gremien hatten einen tiefen, auch auf andere Themenbereiche übergreifenden Riss zwischen CDU und SPD auf der einen sowie den fünf Stadtverordneten von Briloner Bürgerliste (BBL), FDP und Die Linke verursacht.

"Ermüdungsreden"

Folge waren umfangreiche Fragenkataloge und Wortbeiträge aus Reihen dieses Quintetts, die „immer häufiger dazu genutzt wurden, die Sitzungen (…) unnötig in die Länge zu ziehen, ohne dass die meisten dieser Wortmeldungen zu konstruktiven Lösungen oder Erkenntnisgewinnen beigetragen hätten“. So jedenfalls begründete die CDU seinerzeit ihren Antrag, derartige „Ermüdungsreden“ durch eine Reduzierung der Redezeiten zu unterbinden. Dem schloss sich die SPD an, und gemeinsam setzten beide Fraktionen die Änderung der Geschäftsordnung durch.

Keine "geordnete Debattenkultur" mehr

Woraufhin die fünf Stadtverordnete von BBL, FDP und Die Linke gemeinsam beim Verwaltungsgericht Arnsberg eine Klage wegen „Verletzung ihrer Mitgliedsrechte als Ratsmitglied“ einreichten: Mit einer derartigen Beschränkung sei eine „sachgerechte Auseinandersetzung“ mit den anstehenden Themen und eine „geordnete Debattenkultur“ nicht mehr möglich und die neue Redeordnung sei „mit allgemein demokratischen Gepflogenheiten nicht mehr vereinbar“.

Verwaltungsgericht differenziert zwischen Rat und Ausschüssen

Zum Teil gab die 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Arnsberg den Klägern Recht. Im Rat könne eine derartige Deckelung zwar zweckmäßig sein, in den Ausschüssen, in denen die Themen auf- und für den Rat vorbereitet werden, reichten zwei Wortmeldungen für eine angemessene sachgerechte Erörterung kommunal relevanter und komplexer Angelegenheiten jedoch nicht aus.

Mit dem daraufhin von Bürgermeister Dr. Bartsch vorgelegten Kompromissvorschlag, es im Rat bei den zweimal fünf Minuten zu belassen, für die Ausschüsse jedoch drei Wortmeldungen von bis zu sieben Minuten zuzulassen, und darüber hinaus Verständnisfragen zuzulassen, konnten sich zwar die Kläger anfreunden, nicht jedoch mit der Forderung der CDU, vor einer Beschlussfassung formell die Klage zurückzunehmen. Dieses Druckmittel wollte die Union nicht aus der Hand geben. Außerdem lehnte die CDU es ab, Verständnisfragen von den Wortmeldungen auszuklammern. Woraufhin auch die SPD die Einigung als betrachtete und beide Lager in die Berufung gingen.

Vorwurf: Nur die Verwaltung vorführen

Eberhard Fisch, Vorsitzender der CDU-Ratsfraktion und von Beruf Richter, erhofft sich von der jetzt erneut vorzunehmenden Beweisaufnahme eine andere Bewertung des Tatbestandes. Vor dem Verwaltungsgericht, so Fisch zur WP, sei nicht deutlich geworden, dass die Neufassung der Redeordnung mit einer Beschneidung der Mitwirkungsrechte der kleinen Parteien „nichts zu tun“ gehabt habe, sondern nur als Mittel angesehen wurde, um der „missbräuchlichen Ausnutzung“ der Rede- und Fragerechte durch BBL-Ratsherrn Reinhard Loos und dessen ständigen Versuchen, „den Rat und die Verwaltung vorzuführen“, Einhalt zu gebieten.

Auch im neuen Rat brechen alte Wunden auf

Die CDU wäre auf die nun erneut von Bürgermeister Dr. Bartsch ausgearbeiteten Kompromiss eingegangen. Auch die SPD, so ihr Sprecher Hubertus Weber, hätte eine gütliche Einigung „mitgetragen“, um im neuen Rat „in Ruhe und mit Vernunft“ zusammenarbeiten zu können. Weber: „Aber das ist offenbar nicht gewollt.“

Prüfung: Ausgeschiedene Ratsmitglieder noch klageberechtigt?

Von den fünf Klägern gehören nur noch drei dem neuen Rat an. Die beiden langjährigen BBL-Mandatsträger Christiana Kretzschmar und Reinhard Loos hatten nicht mehr kandidiert und arbeiten nur in Ausschüssen mit. Noch dabei sind die beiden klagenden FDP-Ratsmitglieder Dr. Alexander Prange und Torsten Klaholz sowie Reinhard Prange von der Linken. Zu der Telefonkonferenz hatte Bürgermeister Dr. Bartsch als Fraktionsvertreter Dr. Alexander Prange und Reinhard Prange eingeladen – und beide gaben dem Bürgermeister einen Korb. Wie beim FDP-Sprecher hat sich auch bei Reinhard Prange nach der Wahl der Eindruck verfestigt, dass CDU, SPD und der Bürgermeister weiterhin „die kleinen Parteien aus dem Boot drängen“ wollen. Als Beispiel führte Reinhard Prange gegenüber der WP die weitere Verkleinerung von kommunalen Aufsichtsgremien, konkret die Brilon Wirtschaft und Tourismus GmbH, an.

Gremien gegenüber dem Rat weisungsgebunden

Das personelle Herunterfahren hatten Verwaltung, CDU und SPD allerdings ganz pragmatisch begründet: Da die Vertreter der Stadt in diesen Gremien ohnehin gegenüber dem Rat weisungsgebunden seien, reiche – wie als erstes in der Gesellschafterversammlung der Krankenhaus gGmbH nur ein einziger Vertreter aus, um die Interessen des Trägers, eben der Stadt, wahrzunehmen.

Ob Reinhard Loos und Christiana Kretzschmar nach ihrem Ausscheiden aus dem Rat formal überhaupt noch klageberechtigt sind, werde in diesen Tagen geklärt, so Reinhard Loos auf Anfrage der WP. Wie Reinhard Prange sieht er den Zeitpunkt für eine einvernehmliche Einigung als verstrichen an, nachdem es auch nach der Wahl weiterhin von CDU, SPD und Bürgermeister Dr. Bartsch „zahlreiche Ansätze“ gegeben habe, die Mitwirkungsmöglichkeiten der kleinen Fraktionen einzuschränken. Darüber hinaus bestehe „ein allgemeines und weit über Brilon hinaus reichendes Interesse an der Klärung der wesentlichen kommunalrechtlichen Frage, in welchem Umfang Mehrheiten im Rat Rücksicht auf Minderheiten nehmen müssen oder deren Mitwirkungsrechte einschränken dürfen“.

In Hallenberg und Winterberg noch kürzere Redezeiten

Dass zum Beispiel in Hallenberg die Redeordnung nur drei bis zu drei Minuten lange Wortbeiträge vorsieht und in Winterberg sogar nur zwei von jeweils drei Minuten, sei, so Loos, kein Problem, solange diese Beschränkung von allen Ratsmitgliedern so gewollt sei: „Das bedeutet nicht, dass dies unter Demokratiegesichtspunkten auf andere Städte übertragbar oder gar gerecht ist.“ Für Reinhard Loos kann das Klageverfahren eine „allgemein und weit über Brilon hinaus interessierende Frage“ klären, nämlich: „Wie weit darf die Mehrheit in einem Rat die Mitwirkungsmöglichkeiten der Minderheit einschränken?“ Dazu gebe es bisher keinerlei Rechtsprechung. Loos: „In sehr vielen anderen Kommunen waren zwar bisher keine solchen Bestrebungen wie in Brilon zu beobachten, aber das könnte sich ändern, wenn das Briloner Beispiel Schule macht.“

Streitwert: 50.000 Euro

Bürgermeister Dr. Bartsch hätte ein öffentliches Berufungsverfahren gerne vermieden, weil das nicht nur viel Zeit, Energie und Geld koste – der Streitwert liegt bei 50.000 Euro – sondern auch, weil dadurch erneut eine Außenwirkung erzielt werde, die er als peinlich empfände. Das sieht FDP-Fraktionsvorsitzender Dr. Prange anders: „Das ist juristisches Neuland und deshalb bedeutsam. Das ist eine Berufungszulassung erster Klasse.“