Brilon. Der ehemalige Geschäftsführer einer Jugendhilfeorganisation im Raum Brilon veruntreut fast 100.000 Euro. „Ich schäme mich“, sagt er. Darum gehts:
„Der Betrieb war unser Blut,“ sagte der Angeklagte (65) kleinlaut. Und: „Ich schäme mich.“ Der Betrieb, das war seine Jugendhilfeeinrichtung im Raum Brilon. 60 bis 80 Stunden pro Woche habe er über Jahre in deren Aufbau und Organisation gesteckt. Irgendwann war dabei die Wahrnehmung von Mein und Dein aus dem Gleichgewicht geraten. 92.611,64 Euro zweigte der ehemalige Geschäftsführer zwischen 2011 und 2017 für private Zwecke ab: Jährliche Kreuzfahrten mit seiner Gattin auf der „Aida“ beglich er ebenso mit der Firmen-Kreditkarte wie Handwerkerrechnungen für umfangreiche Sanierungsmaßnahmen an seinem Wohnhaus oder kostspielige Konzertbesuche.
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Insgesamt 47 Fälle von Untreue und Betrug hielt Staatsanwältin Pia Humpert dem 65-Jährigen vor. Und die räume er „vollumfänglich und ohne Einschränkungen“ ein, wie sein Verteidiger, Rechtsanwalt Hofheinz (Marsberg) erklärte.
Verständigungsgespräch hinter verschlossenen Türen
Dabei wollte es der Vorsitzende des Schöffengerichts, Richter Neumann, allerdings nicht belassen. Ein wenig sollte sich der Angeklagte in der Verhandlung schon mit den Vorwürfen auseinandersetzen, wie Vorsitzender Richter Neumann sagte. Etwa wie es zu dem Griff auf das Unternehmenskonto überhaupt gekommen war. „Das frage ich mich selber“, sagte der 65-Jährige. Das habe er auch schon versucht mit einem Psychiater aufzuarbeiten. Seine Gattin habe sich um den pädagogischen Bereich der Einrichtung gekümmert, er um den geschäftlichen.
Um von der enormen Arbeitsbelastung abzuschalten, habe er begonnen, für sich und seine Gattin Kreuzfahrten zu buchen - „Das macht man ja ein bis zwei Jahre im voraus.“ Bis zur Fälligkeit des Reisepreises, so habe man gehofft, werde man das mit den Kosten „schon hinkriegen“. Und was der Angeklagte auch beteuerte: „Wir wollten uns nicht bereichern.“
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Ob denn die abgezweigten enormen Summen nicht aufgefallen seien, wollte der Vorsitzende Richter wissen. Konnten sie offenbar nicht. Denn der Angeklagte verwaltete die Konten, und ihm gelang es, die Rechnungen stets rechtzeitig aus der Post zu ziehen und vor den Augen seiner Mitarbeiter zu verbergen.
In einem Verständigungsgespräch hinter verschlossenen Türen vereinbarten Staatsanwältin und Verteidiger mit dem Gericht einen Deal: Bei einem vollumfänglichen Geständnis und der Zusage, den Schaden wiedergutzumachen, könne der Angeklagte mit einer Bewährungsstrafe zwischen einem und zwei Jahren rechnen.
Anderthalb Jahre Freiheitsentzug wegen gewerbsmäßiger Untreue
Damit ersparte der Angeklagte dem Gericht eine umfangreiche und - so Richter Neumann - angesichts der Fülle der angeklagten Fälle „eine hier und da sicher problematische Beweisaufnahme“.
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Staatsanwältin Humpert bewertete die Vergehen wegen der Höhe des Schadens und der sich über sechs Jahre hinziehenden Tatdauer als gewerbsmäßige Untreue von besonders schwerem Umfang. Zudem habe der Angeklagte der Einrichtung einen „immensen Schaden“ zugefügt und sie in eine existentielle Krise gestürzt. Angesichts der Bereitschaft, den Schaden wieder gut zu machen - die finanziellen Möglichkeiten seien durch den Verkauf des Hauses vorhanden - und der günstigen Sozialprognose forderte sie eine Gesamtstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. Außerdem beantragte sie die Zahlung von 10.000 Euro an eine soziale Einrichtung in Brilon.
Neue Existenz am aufbauen
Sein Mandant „steckt den Kopf nicht in den Sand“, sagte Verteidiger Hofheinz in seinem Plädoyer: „Er steht dazu.“ Die Staatsanwältin habe die Verfehlungen seines Mandanten „sachgerecht“ gewürdigt. Das Strafverfahren, dass ihn vorübergehend sogar in Untersuchungshaft gebracht hatte - der 65-Jährige war im Frühjahr zu dem schon damals angesetzten Prozess nicht erschienen - habe ihn sichtlich beeindruckt. Derzeit sei er dabei, sich an seinem neuen Wohnort gemeinsam mit seine Ehefrau eine neue Existenz aufzubauen.
Das Urteil des Schöffengerichts: Anderthalb Jahre Freiheitsentzug wegen gewerbsmäßiger Untreue in besonders schwerem Umfang. Die Strafe wurde für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Hinzu kommt die Geldauflage in Höhe von 10.000 Euro. Die Verteidigung nahm das Urteil an, die Staatsanwältin wollte noch mit ihrer Behörde Rücksprache halten.