Hochsauerlandkreis. Der Lockdown Light trifft die Kulturbranche im HSK hart. Kulturschaffende sind verzweifelt. Gisbert Kemmerling über die Lage und Forderungen:
Deutschlands sechstgrößter Wirtschaftszweig steht unmittelbar vor dem Kollaps. Es ist die Veranstaltungswirtschaft. Deren einflussreichsten, mitgliederstärksten Initiativen und Verbände haben in den letzten Wochen ihre Kräfte gebündelt. Das Bündnis „#AlarmstufeRot“ handelt im Interesse von rund 9.000 Unternehmen, über 200.000 Beschäftigten und mehr als 10.000 Auszubildenden in ganz Deutschland. Auch Thomas Mester, Leiter des Kulturbüros „Brilon Kultour“ unterstützt die Forderungen und Bedenken der Branche. Mester: „Ich war echt schockiert, dass jetzt wieder eine komplette Branche auf Null gesetzt wurde.“
#AlarmstufeRot“ sieht schwarz
Die Initiative stellt konkrete Forderungen an die Regierung, um die Veranstaltungsbranche bzw. deren Arbeitsplätze zu retten. In einer aktuellen Presse-Info erklärt das Bündnis: „Die Bundesregierung gibt vor, die besonders von Corona betroffenen Branchen retten zu wollen. Gleichzeitig werden im Kleingedruckten bewusst komplexe Hürden eingebaut, sodass wirklich Betroffene weiterhin keinerlei Finanzhilfen bekommen.“
Immer wieder Stars in die Region geholt
Gisbert Kemmerling holt auch beim Willinger Open Air die Stars in die Region. Die Planungen für die nunmehr auf den 6./7. August 2021 verschobene Großveranstaltung laufen trotz Viruswelle weiter. Neben Sarah Connor und Max Giesinger sind nun als weiterer Top-Act „Die Fantastischen Vier“ angekündigt.
Das Rettungsprogramm der Regierung gleiche einem Eisberg. Für die breite Öffentlichkeit gut sichtbare Bereiche wie Theater, Kinos und Gastronomie erhielt jetzt Gelder aus dem Novemberprogramm: 75 Prozent des Novemberumsatzes 2019 sollen den Betrieben ausgezahlt werden. Die riesige Zahl nicht sichtbarer Zulieferer und Dienstleister in der Veranstaltungswirtschaft ertrinke indessen unter der Wasseroberfläche. Sie würden geopfert, indem unrealistische Zulassungshürden in das Novemberprogramm eingefügt worden seien. Mit detailreichen Formulierungen werde der Kreis der antragsberechtigten Unternehmen bewusst klein gehalten. Fast 90 Prozent der Betriebe der deutschen Veranstaltungswirtschaft werde jede Hilfe verwehrt.
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In einem YouTube-Video, das er auf seinen Social-Media-Kanälen hochgeladen hat, appelliert der Jazz-Trompeter und Fotograf Till Brönner, der 2016 beim JazzFest in Brilon spielte, für einen anderen Umgang mit der Kulturbranche in Zeiten von Corona. Er könne als einer der Gutverdiener die Pandemie gut überleben, aber viele andere Kolleginnen und Kollegen nicht. Das erste Mal in seinem Leben gebe er ein derartiges Statement ab, weil er das Gefühl habe, handeln zu müssen.
„Mit voller Wucht auf Null gesetzt“
In den nächsten Tagen lassen wir in loser Reihenfolge Kulturschaffende aus unserer Region zu Wort kommen. Den Auftakt macht heute Gisbert Kemmerling, jahrelanger Wirt der Szene-Kneipe „Kump“ in Brilon und Konzertveranstalter, der schon viele namhafte Künstler ins Sauerland geholt hat.
Was bedeutet es für Sie (Stichwort Wertschätzung), dass ein erneutes Berufsverbot ausgegeben wurde?
Kemmerling: Das erneute Berufsverbot ist für unsere Branche wieder einmal das extremste, mögliche Szenario, das man sich vorstellen kann. Schlimmer geht’s nicht mehr! Keine Gastronomie, keine DJ-Tätigkeiten, keine Liververanstaltungen. Es ist extrem hart, da in der Veranstaltungsbranche alles erneut mit voller Wucht auf Null gesetzt wird. Ich habe den Eindruck, dass die politischen Entscheider nicht wissen,was sie uns damit überhaupt antun. Unserer Branche fehlt einfache eine starke Lobby in der Gesellschaft und somit spricht Till Brönner mir und uns aus der Seele.
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Wie gehen Sie persönlich damit um, momentan auf dem Abstellgleis zu stehen?
Ich persönlich fühle mich mit dem Begriff „Berufsverbot“ vorverurteilt. In einer Branche wie unserer, wo wir bundesweit bis zu 1,5 Millionen Beschäftigte haben und bis zu 100 Milliarden Umsatz generieren, bin ich im Moment in einer „Stand by“-Warteschleife, die nicht enden will, und auch keine Perspektiven aufzeigt. Zwar stellt die Bundesregierung Hilfen in Aussicht, wofür wir auch sehrdankbar sind. Aber längerfristig werden bei vielen Kleinstselbstständigen die Lichterausgehen. Wie lange soll der Stillstand noch dauern?
Vielleicht Open Air im Sommer
Wo sehen Sie persönlich für sich Ihre Perspektiven?
Wir hoffen mit guten Hygienekonzepten auf einen Neustart im Frühjahr 2021. Auch „Open Airs“ im Sommer sollten wieder möglich sein. Für Hallenkonzerte über 1.000 Besucher sehe ich allerdings schwarz. Die Corona-Zahlenwerden auch weiterhin unser Handeln bestimmen. Ohne einen Impfstoff wird es kein uneingeschränktes Konzerterlebnis geben.
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Ihre Einschätzung: Wie wird die Kulturlandschaft nach Corona aussehen?
Sicherlich sind die Menschen danach ausgehungert, und wollen wieder Konzerte, Partys, Theateraufführungen und Kunstausstellungen besuchen. Das hoffen und verlangen wir auch. Es wäre schön, wenn dann alle Veranstaltungen immer ausverkauft wären. Damit ließe sich prima planen, allerdings ist dies sicherlich ein Wunschgedanke. Fakt ist: Aufgrund der vielen Ausfälle wird es danach eine Flut an Events geben. Allein schon die Nachholkonzerte machen zum jetzigen Zeitpunkt eine weitere Planung schier unmöglich.