Hallenberg. Die Ära Michael Kronauge geht zu Ende. Ob er im Kump weitermacht, was er mit der neuen Hängematte anstellt und was er ganz gewiss nicht tun wird:
Eine große Fete hatte er geplant. Die vielen Wegbegleiter seiner 26-jährigen Amtszeit wollte er einladen. Ordentlich einen drauf machen. Am nächsten Morgen wach werden. Und nicht mehr Bürgermeister von Hallenberg sein. Einen Tag später sah er sich eigentlich mit seiner Frau auf einem Schiff übers Meer schippern. Doch aus all dem wird nichts. Am Samstagnachmittag gibt es eine kleine offizielle Abschiedsfeier. Draußen auf dem riesigen Freilichtbühnengelände. Dabei werden auch langjährige Ratsmitglieder verabschiedet. Statt heißen Essens gibt es warme Worte hinter Mundschutz, statt Bier vom Fass vielleicht ein Mineralwasser aus der Flasche und jede Menge Abstand. Statt der Kreuzfahrt wird ab nächste Woche zu Hause das Badezimmer renoviert. Wasser-Rauschen auf andere Art. Heute endet die Ära von Bürgermeister Michael Kronauge.
„Ich will, dass es hier reibungslos weiterläuft“
„Ich hatte mir das alles anders vorgestellt“, sagt der 66-Jährige und meint damit nicht nur seinen Abschied. Eigentlich sollte die CDU auch nach seinem Ruhestand die Mehrheit im Rat haben und eigentlich sollte der neue Bürgermeister auch ein schwarzes Parteibuch besitzen. Doch es kam anders. „Das Wahlergebnis hat mich in dieser Heftigkeit überrascht. Wenn lediglich der Spitzenkandidat das Nachsehen gehabt hätte…Aber dass die gesamte CDU solche Verluste einfahren musste, war schmerzhaft.“ Jedoch: Der Blick ist nach vorn gerichtet. Kronauge kennt seinen Nachfolger Enrico Eppner (FDP) seit dessen Kindertagen. „Ich kann mich nur ärgern, dass ich ihn nicht für uns angeworben habe. Aber jetzt ist es so und jetzt müssen die Neuen liefern. Ich bin und bleibe Hallenberger und habe den Ehrgeiz, dass es hier reibungslos weiterläuft. Dazu habe ich meine Unterstützung angeboten. Wir haben und auch schon ein paar Mal getroffen und bin jederzeit bereit zu helfen, wenn man meinen Rat wünscht.“
Dass im Leben nicht alles planbar ist, hat Michael Kronauge mehrfach erfahren. Eigentlich will er Bankkaufmann werden. Denn die sechs Wochen Ferienarbeit in der Schaumstoff-Abteilung bei Kusch hatten ihn eines gelehrt: das ist nicht meine Welt. Nach der Handelsschule in Korbach bewirbt er sich bei einem Geldinstitut. Doch daraus wird nichts. So landet er bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse in Frankenberg, durchläuft mehrere Stationen, erklimmt den Chef-Sessel und glaubt: „Jetzt brauchst Du nur noch Rentner werden.“ Weit gefehlt.
Hallenberger Verhältnisse
Wackelige Mehrheitsverhältnisse sorgen damals dafür, dass es in der Hallenberger Lokalpolitik drunter und drüber geht, der Ruf der Stadt auf dem Spiel steht. „Da haben wir mit einigen Leuten beschlossen: wir wollen da Ruhe reinkriegen.“ Nicht einmal im Traum hat Kronauge daran gedacht, Bürgermeister zu werden. Und dann kommt der Wahlsieg der neuen jungen Wilden und plötzlich zeigen alle auf ihn: „Du musst das machen!“
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Sein Schreibtisch im Rathaus steht heute dort, wo er im 8. und 9. Schuljahr in der Ecke an einem Vierertisch gesessen hat, denn das Verwaltungsgebäude war vorher die Volksschule. Seine persönlichen Bilder, die ihm Künstler geschenkt haben, hat er bereits abgehängt. Ab Montag hat er keinen Schlüssel mehr fürs Rathaus, wo er manchmal auch an Wochenenden gesessen hat. All das ist schon komisch für ihn. „Die Vielschichtigkeit der Arbeit hat mich damals als Newcomer erschlagen. Plötzlich musste ich in 15 Organisationen die Stadt vertreten und als Jüngster in der Runde mitreden. Die Verantwortung war und ist sehr groß“.
Freud und Leid eines Bürgermeisters
Nachts um 3 Uhr raus, weil eine Zwangseinweisung unterschrieben werden muss, den Besitzer eines freilaufenden Hundes ausfindig machen, unbeliebte Entscheidungen treffen, jedes Wochenende zu Festen und Veranstaltungen und in der Kneipe nie mehr Privatmann sein – all das steckt im Bürgermeisteramt einer kleinen Stadt. „Viele sehen nur das Repräsentieren, das Redenhalten und Schnittchenessen – das sind vielleicht zwanzig Prozent. Aber ansonsten habe ich hier eine ganze Stadt verwaltet.“
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Der 66-Jährige weiß, dass er es nicht allen recht machen kann und konnte. Mit Kritik verstehe er umzugehen, wenn sie denn konstruktiv sei. Trotzdem ist das „dicke Fell“, das man in so einem Job braucht, nicht wirklich üppig gewachsen. „Du wirst kritisiert, wenn Du nichts machst. Aber wehe, Du machst etwas!“ Die Entscheidung, ein Naturbad zu bauen, einen Ruhewald anzulegen oder auch den Kump zu kaufen und umzubauen – das waren so Projekte, die sich in der Bevölkerung erstmal setzen mussten. „Aber ich hatte immer eine gute Truppe und habe unterm Strich viel Positives erfahren.“
Gerade der Kump ist für Michael Kronauge zur Herzensangelegenheit geworden. Der Erfolg des Begegnungszentrums, in dem sich die Großen aus Kunst und Kultur getroffen haben und treffen, ist in vorderster Linie ihm zu verdanken. Kronauge hatte keine Berührungsängste Günter Grass, Armin Mueller-Stahl, Otto Waalkes, Frank Zander, Klaus Voormann, Suzanne von Borsody oder weltberühmte Disney-Zeichner anzusprechen. Die meisten kamen und kommen gerne. Sie schätzen Hallenberg, weil die Atmosphäre stimmt und weil der Gastgeber Kronauge beharrlich und authentisch ist. „Der Erfolg hat mich überrascht und ich bin dankbar, so viele tolle Menschen kennengelernt zu haben.“
Eigenverantwortung behalten
Aber es gibt auch dunkle Stunden im Leben eines Bürgermeisters. Zwei Unfall-Todesfälle – der des stellvertretenden Bürgermeisters und der eines städtischen Mitarbeiters – wird Kronauge nie vergessen. Auch der Brand des Rathauses war ein schwerer Schlag. Dass es mit dem geplanten Kletterwald nicht geklappt hat und dass das Projekt „Bergdorf“ immer noch nicht voran gekommen ist, ärgert ihn. „Da hätte ich gern noch das rote Band durchgeschnitten.“
Michael Kronauge ist sich sicher, dass auch eine kleine Stadt wie Hallenberg ihre Eigenverantwortlichkeit behalten wird. „Hier und da macht es Sinn, interkommunal zusammenzuarbeiten. Aber große Zusammenlegungen sind allein schon wegen der räumlichen Distanz nicht möglich. Und wenn es so viel effektiver wäre, alles in große Einheiten zu verfrachten, müsste es großen Städten besser gehen als kleinen. Aber da ist ja nicht der Fall.“
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Und wie gestaltet der Pensionär Kronauge seinen Alltag: „Wenn wir denn spielen können, mache ich bei der Freilichtbühne mit. Ansonsten halte ich es erstmal wie ein berühmter amerikanischer Präsident: Erst mal vier Wochen auf der Veranda im Schaukelstuhl sitzen – und dann fange ich an zu schaukeln.“ Geht auch Hängematte? Die haben ihm die Rathausmitarbeiter gestern zum Abschied geschenkt. Alles Gute beim Schaukeln und Abhängen!