Hochsauerland. 174 Menschen im HSK sind 2018 am „Blitzschlag“ im Kopf gestorben. Heute ist Welt-Schlaganfalltag - und Corona belastet die Betroffenen doppelt.
Am 29. Oktober ist Welt-Schlaganfall-Tag. 2006 wurde er ins Leben gerufen, um das öffentliche Interesse für diese Erkrankung zu schärfen und um über Prävention und Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären. Gerade vom Schlaganfall Betroffene, deren Angehörige und Pflegende stellt die Corona-Pandemie zusätzlich vor schwierige Aufgaben. „Ein Schlaganfall ist aber vor allem keine Frage des Alters“, sagt Dr. Rüdiger Buschfort aus Olsberg im Interview. Er ist seit 2014 Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Aatalklinik in Bad Wünnenberg. 2018 starben allein im HSK 174 Menschen an einem Schlaganfall.
Merkmale und Symptome
Gibt es Merkmale, Symptome, die mich stutzig machen und Anlass für einen dringenden Arztbesuch sein sollten?
Ja, zu den Symptomen zählen Verschwommensehen oder Doppelbilder genauso wie Sprach- oder Sprechstörungen. Die Worte werden nicht gefunden oder nicht verstanden, der Betroffene spricht im Telegrammstil, verwaschen, undeutlich. Lähmungen und Taubheitsgefühle sowie ein einseitig hängender Mundwinkel, sind ebenfalls typische Symptome. Auch Schwindel oder ein torkelnder Gang können auftreten. Manchmal ist ein Sturzereignis vorausgegangen. Die Hirnblutung als Sonderform des Schlaganfalls kann sich durch heftigste Kopfschmerzen bemerkbar machen. Diese Symptomatik darf keinesfalls mit einer Migräneattacke verwechselt werden. Aber auch weniger spezifische Symptome wie Schwindel oder eine akute Verwirrtheit können Hinweise auf das Vorliegen eines Schlaganfalls geben. Tritt ein Schlaganfall auf, zählt jede Minute. „Time is Brain“ lautet das Motto. Und: Er ist ein Notfall, schnelles Handeln ist angezeigt!
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Unter dem Motto „My way“ gab es im März eine Ausstellung in der Aatalklinik in Bad Wünnenberg, in der Patienten ihren persönlichen Weg geschildert haben. wie sie mit dem Schlaganfall umgehen. Die Präsentation mit Fotos und Bildern war sehr bewegend. Berührt hat vor allem das Schicksal junger Menschen. Ist Schlaganfall nur eine Sache, die ältere Menschen befällt?
Nein, es gibt keine Altersgruppe, die nicht auch vom Schlaganfall betroffen sein kann. Ältere ab 60 Jahren sind zahlenmäßig am stärksten betroffen. Hier spielen insbesondere Gefäßrisikofaktoren neben Herzrhythmusstörungen die Hauptrolle. Bei Jüngeren kommen dagegen eher eine genetische Veranlagung oder Gerinnungsstörungen des Blutes in Betracht. Aber auch der Lebensstil und die Einnahme bestimmter Medikamente zum Beispiel der Antibabypille können eine Rolle spielen.
Chance auf Heilung
Wie ist es um die Heilungs-Chancen bestellt?
Die Behandlung des akuten Schlaganfalls hat sich rasant positiv entwickelt, so dass heutzutage die Chancen auf Milderung der Symptome deutlich gestiegen sind. Das hat etwas mit den spezialisierten Schlaganfalleinheiten bei zugleich verbessertem und spezialisiertem Rettungswesen zu tun. Andererseits sind auch die therapeutischen Möglichkeiten deutlich gestiegen. Voraussetzung ist jedoch immer: der Schlaganfall wird früh erkannt und es wird schnell gehandelt. Das kann nicht oft genug betont werden, denn der Schlaganfall führt zu einem Nervenzelluntergang, der nur durch spezielle Therapien gestoppt werden kann. Umso früher ein Patient mit Schlaganfallsymptomen die Spezialklinik erreicht, umso größer sind die Chancen auch einen „milden“ Verlauf. Umso weniger Nervenzellen geschädigt werden umso geringer sind die funktionellen Einbußen was auch im Hinblick auf eine anschließende Rehabilitation ein entscheidender Vorteil sein kann. Dieser Patient hat mehr „Ressourcen“, was sich in der Regel in einem besseren Rehabilitationsergebnis widerspiegelt.
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Was kann man präventiv tun, um zumindest die Möglichkeit, einen Schlaganfall zu bekommen, zu minimieren?
Wer seine Risikofaktoren für einen Schlaganfall kennt, kann daran arbeiten, diese zu vermindern oder sie zu optimieren. Zu den Risikofaktoren gehören Herzrhythmusstörungen, Bluthochdruck, Blutzuckererkrankung aber auch die Ernährung, Stress sowie der eigene Lebensstil. Es liegt an uns, daran etwas zu ändern falls erforderlich, um sein persönliches Risiko zu verringern. Bereits kleine Änderungen unseres Verhaltens bewirken viel, es fängt bei ganz einfachen Dingen an: sich ausreichend bewegen, auf sein Gewicht achten, einen Rauchstopp einlegen oder Alkohol in nur geringen Mengen zu genießen.
Neue Behandlungsformen
Was hat sich im Laufe der Jahre getan, um die Folgen eines Schlaganfalls zu therapieren. Gibt es in der Behandlung neue/andere Ansätze?
Bei Schlaganfällen, die durch eine Minderversorgung mit Blut und Sauerstoff zusammenhängen, hat sich viel getan. Neben der Blutpfropf auflösenden medikamentösen Therapie (Lysetherapie), die über viele Jahre die favorisierte Behandlungsmethode war, wird in den letzten Jahren in geeigneten Fällen vermehrt ein neues Therapieverfahren eingesetzt, die Thrombektomie. Hierbei wird mit einem Katheter der schädliche Blutpfropf im Hirngefäß lokalisiert, gefasst und anschließend entfernt. Dieses Verfahren zeigt in bestimmten Gefäßabschnitten erstaunlich gute Ergebnisse, also auch hier ist ein großer Fortschritt zu erkennen.
Stichwort Corona: Haben Sie Schlaganfall-Patienten gehabt, die zusätzlich an Corona erkrankt waren. Und wie hat sich der Befall mit dem Virus auf das Nervensystem ausgewirkt?
Corona spielt zurzeit überall herein wie auch in unser alltägliches Leben. Bei COVID-19 müssen wir in der Rehabilitation jedoch zwei verschiedene Aspekte unterscheiden, mit denen wir es zu tun haben. Einerseits sehen wir schwerstkranke Patienten, die eher von internistischer Seite (Lunge, Leber, Nieren) betroffen sind. Eine intensivmedizinische Behandlung oftmals mit Langzeitbeatmung ist die Folge. Es entstehen hierdurch schwerwiegende Schädigungen an der Muskulatur und am Nervensystem, woraus eine hochgradige Bewegungsunfähigkeit und Instabilität des autonomen Nervensystems resultieren. Diese Patienten müssen erst von der Beatmung entwöhnt werden und neu lernen, wie „Atmen“ geht. Grundlegende Fähigkeiten wie Schlucken, Bewegen und die Stabilisierung des autonomen Nervensystems müssen von Grund auf in der Rehabilitation neu erlernen werden. Das ist eine Mammut Aufgabe, nicht nur für die Patienten.
Corona und Stroke
Und was ist der zweite Aspekt?
Andererseits ist COVID-19 aber auch ein Virus, das speziell das Nervensystem trifft. Hierbei richtet sich das eigene Immunsystem unter Einfluss von COVID-19 gegen körpereigene Nervenzellen und schädigt sie. Früh bekannt war die Beeinträchtigung des Geruchs- und Geschmackssinns. Neuere Studien weisen jedoch auf eine viel größere Bandbreite neurologischer Symptome hin. Hierzu gehört das gehäufte Auftreten von Schlaganfällen und anderen Gefäßkomplikationen mit all ihren Folgen. Aber auch entzündliche Muskel- und Nervenerkrankungen mit Lähmungserscheinungen treten auf, psychiatrische Symptome und vieles mehr.
Noch einmal Corona: Wie wichtig ist für den Genesungsfortschritt der Patienten der Kontakt zu ihren Angehörigen? Und welche Auswirkungen haben die Abstand- Regeln auf die Therapie-Möglichkeiten?
Wir haben in der Rehabilitation mittlerweile sechs Monate Erfahrung in der Behandlung von COVID-19-Patienten und stellen fest, dass selbst junge Menschen zum Teil schwer betroffen werden. Bei ihnen liegen, wie bei den älteren Patienten auch, meist Schädigungen unterschiedlicher Organsysteme. Und die sind oftmals gepaart mit psychiatrischen Symptomen wie Depression oder Psychose. In ihrer Hilflosigkeit sind die Patienten stärker denn je auf die Begleitung und Unterstützung ihrer Angehörigen angewiesen, um die erforderliche Motivation und Perspektive während der langwierigen Rehabilitationsbehandlung aufrecht zu erhalten. Die Angehörigen geben als „emotionaler Anker“ Zuversicht und Selbstvertrauen und spiegeln nach langer Zeit im Krankenhaus etwas Alltag und Normalität wieder. Das hilft gegen die Angst.
Besuchsverbote und Genesungsprozess
Aber die Besuchsverbote in den Kliniken haben doch genau das gar nicht möglich gemacht?
Ja, wie Sie wissen, mussten auch wir zwischenzeitlich Besuchsverbote aussprechen, manch ein Patient war wochenlang ohne Angehörigenkontakt, worunter insbesondere die stark betroffenen Patienten litten. Zwar haben wir versucht, einen stetigen Kontakt zu den Angehörigen über technische Lösungen mit Videokonferenzen und ähnlichem herzustellen, jedoch der persönliche Kontakt ist durch nichts zu ersetzen. Von daher hoffe ich, dass uns ein erneuter „lockdown“ erspart bleibt und wir nicht erneut zu ähnlichen Maßnahmen greifen müssen. COVID-19 bedeutet ein Arbeiten am Limit unter schwierigen Bedingungen in jeder Hinsicht. Aber so lange alle mitziehen, bin ich ganz optimistisch, dass wir und unsere Patienten auch diese Aufgabe meistern. Ein besonderer Dank von mir gilt dem Personal in der Pflege, nicht nur in meinem Krankenhaus, die die Hauptlast der Mehrarbeit durch COVID-19 und auch das größte Risiko tragen. Sie machen mehr als nur einen tollen Job und von ihnen wird es meiner Meinung nach maßgeblich abhängen, wie wir diese Krise bewältigen und als wie stabil sich unser Gesundheitssystem erweist.
Sehen Sie durch Corona eine Gefahr für das Gesundheitswesen - oder konkreter gefragt: Besteht die Gefahr, dass es Verschiebungen bei den Leistungen zu Lasten von Schlaganfall-Patienten geben könnte?
Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Festzustellen ist, dass sich insbesondere ältere Menschen mehr und mehr scheuen, ihre Wohnungen zu verlassen, um sich bei einem Arzt oder im Krankenhaus vorzustellen. Die Fachgesellschaften haben auf diesen Punkt bereits hingewiesen und sehen dort durchaus ein Problem in der Früherkennung und adäquaten Behandlung des Schlaganfalls. In wieweit die Ressourcen, die eigentlich für die spezielle Behandlung von Schlaganfallpatienten vorgesehen sind durch COVID-19 Patienten aufgebraucht werden, ist zurzeit schwer beurteilbar. Ich hoffe das dies nicht geschieht. Ich glaube es auch nicht, da der Schlaganfall ein Notfall ist und er selbstverständlich auch so behandelt werden muss.