Medebach. Sophia Kaufhold ist sicher: Wohnen verändert sich. Für ihre Architektur-Masterarbeit entwickelt sie etwas, das es in Medebach noch nicht gibt.

„Es wird auf Dauer nicht gehen, dass jede Generation ihr eigenes Haus baut.“ Sophia Kaufhold ist sich sicher: Die Wohnformen der Zukunft werden andere sein als die von heute. Wegen des gesellschaftlichen Wandels, aus Klima- und Umweltschutzgründen. „Ich erwarte, dass künftig mehr im Bestand gebaut und Bestand umgenutzt wird, dass sich die Innenstädte wieder beleben und keine neuen Wohngebiete am Stadtrand mehr entstehen.“

Die 25-Jährige schreibt ihre Masterarbeit in Architektur an der Universität Kassel. In Kooperation mit der Stadt Medebach will die gebürtige und begeisterte Düdinghäuserin ihre Heimat zum Gegenstand ihrer Arbeit machen. Arbeitstitel: „Ein gemeinschaftliches Wohnprojekt für Medebach“. Noch bis zum 8. November läuft deshalb eine Umfrage, an der alle Medebacher teilnehmen können, um möglichst viel über individuelle Wohnbedürfnisse und -wünsche zu erfahren.

Link zur Umfrage

Teilnehmen an der Umfrage unter https://www.soscisurvey.de/wiewohntmedebach dürfen alle, die im Stadtgebiet Medebach wohnen, auch als Studenten oder Wochenend-Pendler. Bis zum Wochenende hatten sich laut Sophia Kaufhold rund 250 Personen beteiligt.

Die Teilnahme ist anonym und bis Sonntag, 8. November, möglich. Das Ausfüllen dauert etwa 15 Minuten.

Auch die Stadtverwaltung, die den Fragebogen mit konzipiert hat, erhofft sich aufschlussreiche Antworten.

Das oder die Gebäude, die dabei „als Gedankenspiel und Diskussionsgrundlage“ entworfen werden, sind noch nicht konkret zur Umsetzung vorgesehen. Aber sowohl die Umfrage als auch der Entwurf sollen das Thema neue Wohnformen in die Köpfe bringen.

Ein Thema, das Sophia Kaufhold fachlich, aber auch privat beschäftigt. Denn die 25-Jährige sieht ihre persönliche Zukunft auch nach dem Studium in Medebach, findet dort aber wenige Wohnformen, die sie als junge Singlefrau, die auch privat gern Menschen um sich hat, attraktiv findet.

Viele denken traditionell

In ihrem Freundeskreis bemerkt sie, wie stark der traditionelle Wunsch nach einem Eigenheim ist: Manche jungen Leute mit Mitte 20 zögen direkt aus dem Eltern- ins eigene Einfamilienhaus. „Aber wenn ich die frage, wie ihr Haus entstanden ist, sagen sie: ,Das hat der Architekt geplant.‘“ Was Kaufhold schade findet. Der Wunsch stehe offenbar so sehr im Fokus, dass das Wie zweitrangig werde.

Sie selbst hat während des Studiums in Wohnungen und Wohngemeinschaften gelebt und ist sich sicher: Wenn die Menschen sich mehr mit ihren eigenen Wohnwünschen und -bedürfnissen auseinandersetzten, „würden viele erkennen: Ich benötige nicht unbedingt ein eigenes Haus.“

Ein Schwerpunkt in Sophia Kaufholds Studium war umweltbewusstes Planen und Bauen.
Ein Schwerpunkt in Sophia Kaufholds Studium war umweltbewusstes Planen und Bauen. © Privat

Keines zu besitzen, bringe schließlich auch Vorteile. Das kann Luxus sein: „Nehmen Sie das Projekt Poolhaus in Wien. Es hat einen Pool auf dem Dach, den sich viele allein sicher nicht leisten könnten.“ Oder Flexibilität: Kaufhold berichtet von Projekten, in denen die Bewohner einzelne Zimmer zur eigenen Wohnung hinzufügen können – beispielsweise, wenn Kinder geboren werden. Zimmer, die wieder abgegeben werden können, wenn die Kinder ausziehen.

Außer geteiltem Komfort und Luxus sieht Kaufhold in flexiblem, gemeinschaftlichem Wohnen auch einen Nutzen für die Gesellschaft. Für alte Menschen, die nicht mehr allein viel zu große Häuser halten müssen. Für Migranten oder andere sozial Schwache, die integriert würden, statt in Ghettos zu leben.

„Wir kamen historisch vom Modell der Großfamilie unter einem Dach, gingen über zum Modell Vier-Personen-Familie im Einfamilienhaus und jetzt gehen wir in Richtung gemeinsames Wohnen für mehrere Generationen und verschiedenste Konstellationen. Es gibt keine Grenze des Denkbaren.“

Zumal die veränderte Arbeitswelt mit Homeoffice und Telearbeit vielen Menschen ein Leben in Medebach ermöglichen könnte, die früher dort keinen Job gefunden hätten.

Problem mit Neubaugebieten

Die Nutzerprofile, an denen sie ihren Entwurf ausrichtet, sollen deshalb vielfältig sein: Wohnraum für Junge und Alte, Alleinlebende mit und ohne Kinder, Paare mit und ohne Kinder. Aus den Bedürfnissen all dieser Gruppen soll ein Entwurf entstehen. Wie genau der dann aussieht, das erarbeitet Kaufhold nach der Auswertung der Umfrage. Noch sei der Wunsch nach dem Einfamilienhaus vor allem in ländlichen Raum sehr stark. „Es würde mich wundern, wenn bei der Umfrage etwas anderes herauskommt.“

Doch auch auf dem Land stößt das Modell an Grenzen: Während viele Dörfer zusehends leerer werden, ist die Nachfrage nach Bauplätzen in der Medebacher Kernstadt so groß, dass zwei Neubaugebiete in Planung sind.

Weil das Fläche verbraucht und Anlieger ärgerlich macht, hätte die Stadt lieber zuerst Baulücken im Zentrum verfügbar gemacht. Doch kaum Eigentümer waren zum Verkauf bereit. Ebenso scheiterte ein Versuch, mittels Fördergeld Bauwilligen Bestandsimmobilien schmackhaft zu machen. Sophia Kaufhold sieht hier noch viel Gesprächsbedarf; sowohl Stadt als auch Bürger müssten miteinander reden wollen und die Beweggründe des Gegenübers verstehen.

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Neubaugebiete jedenfalls seien keine Dauerlösung: „Solange die geplant werden, gibt es wenig Anreiz, andere Optionen zu durchdenken. Neubaugebiete können bei uns nur deshalb noch geplant werden, weil Platz verfügbar und die Preise relativ günstig sind.“ Andernorts sieht das bereits ganz anders aus und der Wandel werde auch den ländlichen Raum erfassen. „Je mehr Infos und konkrete Beispiele es gibt, desto schneller und besser wird der Wandel gelingen.“