Brilon/Winterberg. Ein Mann (70) sitzt vor dem Schöffengericht Brilon. Er soll Mädchen begrapscht haben. Der Prozess stockt. Dann greift der Richter zu einem Trick

Es hatte was von Slapstick: „Nehmen Sie doch Ihr Hörgerät einmal raus!“ forderte Richter Neumann mit ordentlich Druck in der Stimme den Angeklagten auf. Bis dahin musste dem 70-Jährigen in der Sitzung des Schöffengerichts Brilon alles zwei- und dreimal lautstark erklärt werden, weil er kaum etwas mitbekam, wie er immer wieder deutlich machte.

Irgendetwas stimme mit seinem Hörgerät nicht, meinte der 70-jährige Rentner, dabei sei das doch neu. Auch die während der Verhandlung eigens aus dem Auto geholte neue Batterie - „Ich bin in acht Minuten wieder da.“ - brachte keine Besserung.

Ohne Hörgerät versteht der Mann den Richter plötzlich

Auf die Aufforderung des Vorsitzenden Richters hin pulte der Angeklagte den Winzling aus dem rechten Ohr und hielt ihn hoch. „Haben Sie auch im anderen Ohr eins?“ wollte der Richter wissen. Die Antwort kam reflexartig und wie aus der Pistole geschossen: „Nein.“

Das mussten alle erstmal sacken lassen.

Stau auf der B7 verzögert Prozessbeginn

Zu der Verhandlung war auch ein Zeuge erschienen, der in Fußfesseln vorgeführt wurde.

Der junge Mann befindet sich in zurzeit in Haft.

Ihn hatte eine der belästigten jungen Frau nach der Tat angerufen und um Hilfe gebeten.

Die Verhandlung hatte mit gut 20 Minuten Verspätung begonnen, weil der Angeklagte erst in der Baustelle zwischen Brilon und Altenbüren lange im Stau gestanden hatte und er sich zudem im Umfeld des Gerichts einen Parkplatz suchen musste, da am Gericht selbst wegen Bauarbeiten der Parkplatz verknappt ist.

Bereits zum zweiten Mal befasste sich das Schöffengericht in Brilon mit dem Fall. Der Rentner aus dem Raum Winterberg soll im Sommer 2018 in einer Gartenlaube zwei heranwachsende Frauen unter den Pulli und in die Hose gegriffen und sexuell belästigt haben.

Der Angeklagte streitet die Vorwürfe rundherum ab: „Da ist nichts von wahr.“ Er habe die ihm unbekannten Jugendlichen in der Laube an der Neger zufällig getroffen, als er nach den dort stehenden „kapitalen Forellen“ gucken wollte.

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Die beiden hätten dort gesessen und geraucht - „Aber das waren keine normalen Zigaretten“, vermutet der Angeklagte.

Damals alkoholabhängig

Er selbst sei angetrunken gewesen. Er habe einem der Mädchen 20 Euro gegeben, damit sie Rum und Cola besorgen sollte. Damals habe er lange ein Alkoholproblem gehabt, nach einer Therapie vor anderthalb Jahren sei er jetzt allerdings „absolut trocken“.

Bereits die erste Verhandlungsrunde war wegen der Hörprobleme des Angeklagten abgebrochen worden. Und auch am Donnerstag wieder gab es ein lautstarkes Hin und Her zwischen dem Vorsitzenden Richter und der Staatsanwältin Schlothmann.

Künftig mit Mikro und Headset

Ein Platztausch mit seinem Verteidiger, der den Angeklagten näher an den Richtertisch rücken ließ, brachte nicht viel. Noch näher, meinte die Staatsanwältin, könne man wegen der Corona-Auflagen allerdings nicht rücken. Und „anschreien“ gehe ja auch nicht.

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„Jetzt höre ich Sie ganz gut“, sagte der Angeklagte, nachdem er die Hörhilfe aus dem Ohr genommen hatte; das sei manchmal so. Darauf wollte sich Richter Neumann - „Das kommt mir komisch vor.“ - allerdings nicht verlassen.

Für die nächste Verhandlungsrunde sollen professionelle Kommunikationshilfen wie Headset oder Kopfhörer und Mikrofone besorgt werden.

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Dann wird vielleicht auch die zweite der beiden jungen Frauen dabei sein, die als Opfer und Zeuginnen aussagen sollen und die zum Auftakt der Verhandlung vermisst wurde. Auf Bitte des Vorsitzenden Richters nahm die mit ihrer Bekannten telefonisch Kontakt auf. Und was musste sie dem Gericht mitteilen? „Sie kommt nicht. Sie hat Wichtigeres vor.“