Arnsberg/Brilon/Winterberg. In Brilon wird ein Mann für einen ausgeklügelten Betrug zu einer Haft verurteilt. Das Urteil fällt kurz vor Mitternacht. Jetzt gibt es Zweifel.
Das Landgericht Arnsberg hat das mitternächtliche „Betreuer-Urteil“ des Schöffengerichts Brilon vom Oktober vergangenen Jahres kassiert. Nach Ansicht der 1. Kleinen Kammer hat das Gericht den Angeklagten nämlich wegen einer gar nicht angeklagten Tat hinter Gitter geschickt. Das will die Staatsanwaltschaft so nicht im Raum stehen lassen. Wie ihr Sprecher Thomas Poggel sagte, werde man gegen das Urteil Revision einlegen. Damit gibt es am Oberlandesgericht Hamm eine vierte Verhandlungsrunde.
Stimmt das Urteil mit der Anklage überein?
Drei Jahre und neun Monate sollte der heute 54 Jahre Angeklagte wegen Betrugs in einem besonders schweren Fall brummen. Nach Ansicht des Gerichts unter Vorsitz von Richter Dietmar Härtel hatte der Mann aus dem Raum Winterberg mit einer gefälschten Vorsorgevollmacht die Lebensversicherung seines 67 Jahre alten Mündels in Höhe von 200.000 Euro gekündigt und das Geld auf ein Gemeinschaftskonto überweisen lassen.
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Unstrittig ist: 180.000 Euro leitete der 54-Jährige auf sein eigenes Konto weiter. Für 27.900 Euro schaffte er sich davon einen gebrauchten Audi Q5 an, außerdem tilgte er mit 74.498.32 Euro ein Haus-Darlehn.
Und genau diese 102.398,32 Euro hatte die Staatsanwaltschaft zum Gegenstand ihrer Anklage gemacht. Die lautete nämlich auf Untreue zum Nachteil des Mündels. Das Schöffengericht allerdings hatte die Lebensversicherungsgesellschaft als Geschädigte angesehen. Der hatte der Angeklagte bei der Vertragskündigung nämlich eine 2010 ausgestellte Vorsorgevollmacht vorgelegt, die Passagen erhielt, die erst 2014 in Kraft getreten sind. Grund für die Fälschung laut Gericht: Damit habe der Angeklagte die wegen eines Korsakow-Syndroms aufgetretene Geschäftsunfähigkeit seines Mündel verschleiern wollen.
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Das allerdings war erst während der Beweisaufnahme in der ersten Prozessrunde im Herbst 2018 am Schöffengericht Brilon unter Vorsitz von Hans-Werner Schwens aufgefallen. Dabei hatte das Gericht dem Angeklagten angesichts der zunächst unklaren Beweisauflage angeboten, es bei einer Bewährungsstrafe zu belassen, falls er die beiden Veruntreuungen einräume und den Schaden wiedergutmache. Das hatte der heute 54-Jährige allerdings abgelehnt. Bei der dann weitergehenden Beweisaufnahme war der Täuschungsversuch mit der offenkundig rückdatierten Vollmacht aufgefallen. Weil es damit nach Ansicht des Gerichts nicht mehr nur um die angeklagten 102.398,32 Euro, sondern um den gesamten Versicherungsbetrag und damit um ein höheres, nicht mehr von einem Schöffengericht zu verhängende Strafe ging, hatte das Gericht das Verfahren an das Landgericht abgegeben.
Genugtuung beim Verteidiger
Das jedoch hatte die Sache nach Brilon an das Schöffengericht zur Neuverhandlung unter einem neuen Vorsitzenden zurück verwiesen. Und die hatte es in sich. Bereits am ersten Verhandlungstag im vergangenen Herbst bombardierte Verteidiger Dr. Patrick Gau (Dortmund) mit Befangenheits- und Beweisanträgen, Erklärungen und Beschwerden. Sechs Stunden dauerte das Prozess-Scharmützel zum Auftakt.
Das toppte allerdings der Schlusstag: Der endete erst um 23.12 Uhr. Den ganzen Tag über hatte Richter Härtel das Verfahren durchgezogen und die zahlreichen Anträge, mit denen die Verteidigung nach Ansicht des Richter den Prozess „torpedieren und verschleppen“ wollten, pariert.
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Ein wenig Genugtuung klingt durch, wenn Verteidiger Dr. Gau die jetzt am Landgericht erlebte Bauchlandung auf die Prozessführung schiebt: Dem Richter, so Dr. Gau, sei aufgrund der ungewöhnlichen Zeit ein ungewöhnlicher Fehler unterlaufen: „Das kommt nicht einmal im Promille-Bereich vor.“ Offenbar habe der „trotz der fortgeschrittenen Zeit noch ein Urteil fällen“ wollen. Davon sei auch die Verteidigung überrascht worden. Er selbst, sagt Dr. Gau, sei an diesem Tag gar nicht in Brilon gewesen, weil die Plädoyers erst für den nächsten und insgesamt vierten Verhandlungstag vorgesehen waren.
Automatisch ein Freispruch?
Der Jurist findet es „total spannend“, wie es jetzt weitergeht. Seiner Ansicht nach habe das Briloner Schöffengericht seinen Mandanten mit seinem Betrugs-Urteil vom Anklage-Vorwurf der Untreue freigesprochen. Schließlich sei der 54-Jährige deswegen ja nicht verurteilt worden.
Das sieht die Staatsanwaltschaft anders. Prozessual, so Thomas Poggel, seien beide Vorwürfe von der Anklage erfasst und hätten damit auch beide abgeurteilt werden können.