Braunshausen/Züschen. In den 80ern überfällt ein Täter eine Bank in Braunshausen im HSK dreimal. Er sticht auf einen Bankkaufmann ein. Die WP trifft das Opfer heute.
Banküberfall in Braunshausen? Gab’s da denn überhaupt mal eine Bank? Ja, Braunshausen, ein beschauliches Dorf bei Hallenberg im Hochsauerlandkreis, hatte bis zum Jahr 2000 eine Filiale der Sparkasse im heutigen Dorfgemeinschaftshaus. Im Sommer 1986 wird diese Filiale bundesweit bekannt, als sie gleich dreimal von einem bewaffneten Bankräuber überfallen und zwei Angestellte schwer verletzt werden. Eines der damaligen Opfer, Wilfried Hesse, erinnert sich im Gespräch mit der WP an die Raubserie.
Wilfried Hesse aus Züschen ist einer dieser Angestellten; der heute 79-Jährige war Jahrzehnte als Berater in den Filialen Hallenberg, Hesborn und Braunshausen tätig. Dienstagvormittags und donnerstagnachmittags hatte die Braunshäuser Sparkasse damals geöffnet.
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Drei Überfälle binnen weniger Wochen
Als er am 5. Juni 1986 gerade eine Kundin bedient, stürzt ein Mann mit Maske und Pistole herein und schreit: „Überfall, Geld her!“ Wilfried Hesse, der sich hinter einer Panzerglasscheibe befindet, behält die Ruhe und weigert sich. Als der Mann jedoch die Kundin packt und mit der Pistole bedroht, gibt er 4.000 DM heraus und herrscht den Räuber an, dass er verschwinden soll.
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Gut zwei Monate später, am 12. August 1986, das gleiche Spiel. Doch dieses Mal ist kein Kunde da. Wilfried Hesse schreit laut um Hilfe und ruft die Polizei, so dass der Mann ohne Beute wieder wegrennt. „Es war der gleiche Täter wie im Juni und er kommt wieder“, erinnert sich Willi Hesse noch heute. Er setzt damals durch, dass ihn ab sofort ein Kollege beim Ankommen und Verlassen der Filiale so lange begleitet, bis er sicher hinter dem Panzerglas oder im Auto ist.
Sieben Messerstiche
Wilfried Hesse behält Recht: Schon zwei Tage später – einem Donnerstag – lauert der Räuber bereits beim Betreten des Kassenraums, in den er vorher durch ein gekipptes Oberlicht eingestiegen ist. In der Kasse hat er zuvor kein Geld, dafür aber ein als Werbegeschenk gedachtes Taschenmesser mit neun Zentimeter langer Klinge gefunden. Beide Sparkassenmitarbeiter haben keine Chance mehr, sich hinter das sichere Panzerglas zu retten.
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Willi Hesse hat Dokumente zu dem Fall noch in Aktenordnern griffbereit. Die Ermittlungsbehörden hatten seinerzeit folgenden Tathergang rekonstruiert: Der Räuber sticht Wilfried Hesse, der wie immer einen Koffer mit Bargeld-Kassette und Bankunterlagen bei sich hat, beim Eintreten in den linken Oberarm und verletzt den Kollegen ebenfalls am Arm. Beim Versuch, an das Geld zu kommen, wehrt Wilfried Hesse sich heftig gegen den Angreifer und kassiert sechs weitere Stiche – davon einen ins rechte Handgelenk, der die Nerven vom kleinen und Ringfinger durchtrennt, und einen fünf Zentimeter tiefen Stich in den Bauch. Der Bankräuber greift den Geldkoffer mit 20.000 Mark darin und schließt die beiden Verletzten ein. Dann flieht er über den Dorfplatz in den Hirtenweg, wo er eine Tasche für die Beute deponiert hat.
Wilfried Hesse und sein Kollege können sich trotz der schweren Verletzungen durch das Fenster befreien. Draußen ruft eine Nachbarin den Rettungswagen und die Polizei. Diese sucht mit einem Großaufgebot ein Waldgebiet zwischen Braunshausen und dem hessischen Nachbarort Rengershausen, in dem der Täter von Zeugen gesehen wurde, mit 170 Einsatzkräften bis in den späten Abend hinein ab. Das THW Hesborn, das sich gerade auf einem Ausflug zu den Karl-May-Festspielen in Elspe befindet, wird zurückbeordert, um den Wald auszuleuchten.
Bundesweite Fahndung
Es dauert nicht lange, bis es in Braunshausen vor Medienvertretern wimmelt. Doch der Bankräuber wird nicht gefunden, obwohl er ganz nah ist: Nach seiner Flucht - teilweise durch einen Bach - harrt er über 16 Stunden in sechs Metern Höhe auf einem Baum aus und beobachtet die Suche unter ihm. Im Morgengrauen, als dichter Nebel die Fahndung behindert, schleicht er sich samt Beute gut 10 Kilometer weiter zu seinem an der Hallenberger Pastorenwiese abgestellten Auto. Weil er im Radio von der bundesweiten Fahndung hört, fährt er nicht zu seiner Wohnung nach Werl, sondern mit der Bahn weiter nach Kleve, um sich in die Niederlande abzusetzen.
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Zollstreife nimmt den Täter fest
Durch Fingerabdrücke weiß die Polizei mittlerweile, wer der vermutliche Täter ist: ein 35-jähriger Mann, der bisher fast ein Drittel seines Lebens hinter Gittern verbracht hat. Nach einer verkorksten Kindheit mit einem alkoholkranken Vater und einer verstorbenen Mutter landet der gebürtige Bochumer nach einer Odyssee durch verschiedene Heime bei einer Pflegefamilie in Wittgenstein. Einen Schul- und Lehrabschluss macht er nie. Und weil er Geld für eine neue Identität im Ausland braucht, reift sein Plan für die Überfälle der Sparkasse in Braunshausen, von der er weiß, dass sie keinen Tresor hat und nur mit einem Mitarbeiter besetzt ist. Als sich der Täter am Freitagabend in Kleve von einem Taxi ins Hotel bringen lassen will, gerät er in eine Zollstreife. Die Beamten kennen die Fahndung und nehmen ihn Fest. Von der Beute sind noch knapp 14.000 DM vorhanden. Ende März 1987 wird der 35-Jährige wegen schwerer Körperverletzung und räuberischer Erpressung zu neun Jahren Haft verurteilt.
Körperliche und seelische Wunden
Die körperlichen Wunden von Wilfried Hesse sind nach einigen Wochen verheilt, so dass er nach rund einem Vierteljahr seinen Dienst wieder aufnimmt – in der Bankfiliale in Braunshausen. Er arbeitet dort bis zu Rente, die er in seinem Heimatort Züschen genießt Geblieben sind ihm lange Zeit Alpträume und zwei bis heute bewegungsunfähige Finger an der rechten Hand.