Marsberg. Das Raumausstattergeschäft Böddicker gibt es seit fünf Generationen. „Krisen gab es immer“, sagt die Familie.

Angesagt sind aktuell Schals mit zarten Blümchenmotiven für die Wohnzimmerfenster genau so wie großflächige knallbunte Dekostoffe. Bistro-Scheibengardinchen fürs Küchenfenster gehen immer. Faltstore oder Plissees bieten nicht nur Sichtschutz, sondern auch Sonnenschutz. Die Geschäfte von Raumausstatter Böddicker in diesen Corona-Zeiten laufen wieder an. „Zwar verhalten, aber wir sind zufrieden“, sagt Raumausstattermeister Jörg Böddicker (47) bescheiden.

So wie ihm steckt der Lockdown dem Einzelhandel noch tief in den Knochen. Zu Beginn der Corona-Pandemie lagen das öffentliche Leben, der Einzelhandel und die Wirtschaft brach. Ab Montag, 23. März bis Montag, 20. April, waren die Läden dicht. Die Innenstädte glichen Geisterstädten. Ein Zustand, der Jörg Böddicker kalte Schauer über den Rücken laufen lässt.

Traditionsgeschäft

Er betreibt sein Geschäft in der Hauptstraße in fünfter Generation. Seine Eltern Renate (75) und Josef (75) stehen noch jeden Tag mit hinter der Ladentheke, beraten die Kunden, verkaufen Gardinen und Heimtextilien. Jörg Böddicker arbeitet hauptsächlich in der Werkstatt, näht die Gardinen, polstert Sitzmöbel auf oder fertigt Insektenschutz für Fenster und Türen nach Maß.

Seit fünf Generationen dreht sich das Familienleben voll und ganz ums Geschäft. Seniorchef Josef Böddicker holt eine handgeschriebene Rechnung hervor, ausgestellt 1857 von Gustav Heinz an die Schützengesellschaft über 25 Mark für Trommelfellbezüge. Gustav Heinz war der Urgroßvater vom Renate Böddicker. Er gründete den Familienbetrieb als Sattlerei, damals noch in der Klosterstraße. Wann genau, dass ist heute nicht mehr bekannt.

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Der Großvater hieß ebenfalls Gustav und führte die Sattlerei weiter. Sie könne sich noch genau erinnern, erzählt Renate Böddicker, wie immer erzählt wurde, dass ihr Opa zu Fuß mit Rucksack und Werkzeug zu den Bauern in den Dörfern im weiten Umkreis ging, um die Pferdegeschirre zu reparieren. „Einmal im Jahr wurden die Rechnungen geschrieben.“ Renate Böddicker kann sich heute kaum mehr vorstellen, wie die Familie früher damit auskommen konnte. 1929 wurde das Haus in der Hauptstraße gekauft.

Aufgeben gab es nie eine Option

Ihr Vater Bernhard stieg ebenfalls in die Sattlerei ein. Er wollte die Meisterprüfung machen, dann kam der Zweite Weltkrieg. 1946 kam er aus der Kriegsgefangenschaft heim und starb schon fünf Jahre später mit nur 43 Jahren. Ihre Mutter Margret stand plötzlich allein da mit zwei kleinen Kindern und der Werkstatt. Großvater Gustav stand ihr zunächst noch zur Seite. Wenige Jahre später verstarb auch er.

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Aufgeben gab es nicht. Margret Heinz baute die Näherei auf und stellte einen Gesellen ein. Sie nähte für die Kundschaft Gardinen und Tischdecken maß- und fachgerecht. In den 1970er Jahren kamen Lederwaren hinzu. Tochter Renate stieg ins Geschäft ein und lernte Einzelhandelskauffrau.

Ihren späterer Ehemann Josef Böddicker lernte sie in der Berufsschule in Brilon kennen. Der gebürtige Briloner lernte ebenfalls Einzelhandelskaufmann. Sie verliebten sich, heirateten und führten das Traditionsgeschäft gemeinsam in Marsberg weiter.

„Die Familie hat in allen Generationen Höhen und Tiefen erlebt“, sagen die beide. „Aber so etwas wie diese Corona-Krise hat es noch nie gegeben“, fügt Renate Böddicker mit leiser Stimme an. „Der Lockdown war gespenstisch“, so Jörg Böddicker. Keine Kundschaft. Keine Arbeit. Kein Einkommen.

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Die Soforthilfe des Staates für Einzelunternehmer über 9000 Euro kam prompt und hat geholfen. Ein Vorteil: „Wir brauchen keine Miete zahlen.“ Die Böddickers senior wohnen über dem Geschäft, Böddickers junior mit drei Kindern im Hinterhaus. Während des Stillstandes haben auch sie Haus und Werkstatt erst einmal auf Vordermann gebracht.

Werkstätten nicht dicht

Dabei hätte während des Lockdowns bei ihnen gar nicht alles stillstehen müssen. Das Handwerk durfte die Werkstätten weiter betreiben. Jörg Böddicker: „Wir hätten auch während des Lockdowns mit einer Musterauswahl an Gardinen- oder Polsterstoffen zu den Kunden kommen können und hätten vor Ort beraten. Das war erlaubt.“

Die Gardinen oder Jalousien werden dann in der Werkstatt genäht und später in der Wohnung des Kunden aufgehängt. „Aber die Kunden waren vorsichtig. Manche wussten auch einfach nicht, dass das möglich war.“ So haben sie ihnen jedenfalls jetzt erzählt. Aber die Böddickers können auf ihre Stammkundschaft zählen. Josef Böddicker: „Wir sind erst einmal froh, dass das Geschäft überhaupt wieder läuft.“

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Jetzt hofft die Familie, dass es nicht zu einem zweiten Lockdown kommt. Weil die Folgen dann einfach nicht absehbar wären. Und wenn doch, „dann hoffen wir, dass uns die Kunden treu bleiben werden, und dann die Möglichkeit nutzen, sich zu Hause von uns beraten zu lassen.“