Winterberg. Von der Corona-Geisterstadt zurück zum Tourismus-Magneten: Wie ist die Lage im Winterberger Einzelhandel?

Touristische Übernachtungen verboten und fast alle Läden geschlossen: Viele Wochen lang glich Winterberg einer Geisterstadt. Doch das ist erstmal vorbei. Die WP traf Marcel Pauly, den Vorsitzenden des Stadtmarketingvereins. Er sagt, es geht aufwärts.

Herr Pauly, was zeichnet den Einzelhandel in Winterberg gegenüber den anderen Altkreis-Städten aus?

Wir haben einen guten, gemischten Besatz, vom Lakritzladen bis zum Haushaltswarengeschäft, und Gott sei Dank noch viele kleine, inhabergeführte Läden. Sehr gut gefällt mir, dass wir es geschafft haben, alles sehr zentral zu bündeln. Auch Lebensmittel gibt es in der Mitte, dadurch ist das Einkaufserlebnis schön rund. Man kann einen Nachmittag hier verbringen und hat alles: Bummeln, Shoppen, das gastronomische Angebot. Das ist nicht einzigartig, aber es hebt uns in der Umgebung positiv heraus.

Welche Auswirkungen hat die Coronakrise – wie viel Prozent der Kunden sind weggefallen?

Am Anfang: alle. Es gab eine erste Schockstarre, als wir am 16. März geschlossen haben und in der ersten Zeit auch niemand mehr auf den Straßen zu sehen war. Auch als wir am 20. April wieder öffnen durften, war es anfangs sehr überschaubar. Mit geänderten Öffnungszeiten nur von 11 bis 17 Uhr hatten wir noch ein Minus von rund 80 Prozent. Das hat sich im Mai und Juni aber stabilisiert. Als die Touristen wieder kommen durften, sind auch unsere Zahlen deutlich gestiegen. Auch jetzt im Juli herrscht noch nicht wieder Normalität, aber es sind in den Ferien wieder viele Gäste da – erfreulicherweise auch die Holländer, die in der ersten Phase noch nicht kommen durften. Wir freuen uns über steigende Umsätze.

Wie intensiv ist der Kontakt unter den Einzelhändlern, besonders in der jetzigen Situation?

Da nutzen wir natürlich den Stadtmarketingverein. Der Einzelhandels-Stammtisch, den es seit Langem gibt, hat während der Krise weiterhin alle drei bis vier Wochen als Online-Konferenz stattgefunden. Auch kurz vor der Wiedereröffnung am 20. April haben wir uns mit den Einzelhändlern im Online-Meeting getroffen und die neuen Öffnungszeiten und alles weitere besprochen. Der erste Stammtisch, bei dem wir uns wieder physisch treffen, findet am 16. Juli statt.

Steckbrief: Marcel Pauly

54 Jahre, verheiratet, zwei Kinder

Inhaber eines Sport- und Bekleidungsfachgeschäfts. Selbstständig seit 1999, führt das Familienunternehmen in vierter Generation.

Vorsitzender des Stadtmarketingvereins Winterberg und seine Dörfer; in den Vorgängerversionen des Vereins bereits aktiv seit Mitte der 1980er Jahre.

Wie war die Stimmung im Einzelhandel und wie hat sie sich entwickelt?

Wir haben die Runden genutzt, um uns über Sorgen und Ängste auszutauschen. Grundsätzlich ist die Stimmung jetzt positiv. Wir haben festgestellt, wie stark unsere Abhängigkeit vom Tourismus ist. Es war im ersten Moment erschreckend, wie stark die Umsätze eingebrochen sind. Die erste Zeit war entsprechend hart. Positiv ist, dass wir im Stadtmarketingverein alle Branchen zusammen haben, Gastronomie, Einzelhandel, produzierendes Gewerbe… Da schauen wir nach vorn, wie der Ort sich entwickelt und wie wir ihn nachhaltig interessant machen können für Bürger und Gäste. Da gibt es noch viele Dinge, die angepackt werden müssen: Digitalisierung, Verkehrskonzepte, Barrierefreiheit. Damit zum Beispiel die älteren Menschen, die einen Rollator benutzen, sicher durch den Ort kommen. Zum Aspekt Sicherheit gehören auch Zebrastreifen und ausgeweitete Tempo-30-Zonen. Außerdem müssen die Radwege sichtbarer gemacht werden. Gäste und Einheimische sind hier viel mit dem Fahrrad unterwegs, da werden wir noch was unternehmen müssen, um die Stadt für Fußgänger und Radler lebenswerter zu machen.

Wird Winterberg durch die Coronakrise Läden verlieren?

Ich hoffe nicht. Der Anfang der Krise war schlimm durch den massiven Einbruch. Aber ich sehe unsere Stärke in der Zukunft, dass das Geschäft gerade durch den Inlands-Tourismus stabil laufen wird. Darin sehe ich eine Chance für uns, auch perspektivisch für die nächsten Jahre. Wir haben sehr viele Gäste aus Gegenden, die sonst nicht ins Sauerland gefahren sind. Ich habe noch nie so viele Auto-Kennzeichen aus Baden-Württemberg und Bayern hier gesehen wie jetzt.

Im Bereich Digitalisierung gibt es in Winterberg eine eigene Arbeitsgruppe. Hat sich zu dem Thema während der Krise viel getan?

Es gab Sofortmaßnahmen wie Gutscheine, die man kaufen konnte und die den Gewerbetreibenden zugutekommen sollten. Auch der neue, lokale Onlinemarktplatz www.handelspforte.de ist während der Krise online gegangen [am 1. April, d. Red.]. Letztendlich ist es aber so, dass in dem Moment, als die Menschen sich wieder frei bewegen durften und es erste Schritte Richtung Normalität gab, diese Instrumente nicht mehr stark genutzt wurden.

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Für viele gehört ein realer Bummel sicher zum Urlaubserlebnis. Bedeutet das, dass Winterberg die Konkurrenz durch den Onlinehandel weniger trifft als Städte, in denen hauptsächlich die Einwohner einkaufen?

Schwer zu sagen. Ich denke, dass Corona ein Katalysator war in Richtung Onlineshopping. Weil gerade die Risikogruppe der Älteren, die sich vielleicht vorher nicht so damit auskannte, sich das wegen Corona jetzt hat erklären lassen und es nutzt.

Ist das eine persönliche Einschätzung aus Ihrem Umfeld oder kennen Sie Zahlen dazu?

Das ist mein Gefühl zu dem, was ich in meinem Umfeld mitbekommen habe. Durch Corona haben Leute das Medium Internet kennengelernt und genutzt, die es vorher nicht genutzt haben – und vielleicht hinterher auch nicht mehr nutzen. Aber es könnte dazu führen, dass ein paar Prozentpunkte vom Umsatz an den Onlinehandel abgegeben werden müssen, und das betrifft einen Urlaubsort mit Sicherheit genauso stark wie jede andere Stadt.

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Sie erwähnten den neuen Onlinemarktplatz Handelspforte.de. Welchen Start hat er hingelegt und sind Sie mit Ihrem Geschäft dort vertreten?

Ich bin mit meinem Geschäft dort nicht vertreten, weil wir die Digitalisierung bisher eher stiefmütterlich betrieben haben. Wir sind aber dabei, das nachzuholen. Die Plattform selbst wurde von den Händlern angenommen, aber nicht so, wie man es vielleicht erwartet hätte. Das liegt nicht immer daran, dass die Händler es nicht wollen, sondern oft zum Beispiel auch an fehlenden Warenwirtschafts-Systemen. Es ist Glück, dass wir die vielen kleinen, inhabergeführten Geschäfte haben, aber die sind technisch manchmal noch nicht so weit.

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Könnte das nicht in Zukunft ein großes Problem werden?

Wir arbeiten durchaus daran, den örtlichen Handel online sichtbar zu machen und das Thema auszuweiten.

Können Sie einschätzen, bei wie viel Prozent der Winterberger Einzelhändler man bereits online bestellen kann?

Das kann ich nicht beziffern. Es ist für jeden Händler eine Abwägung von Kosten und Nutzen. Einige sind seit Langem online vertreten – die haben dann aber auch die Größe, dafür Personal abzustellen. Aber für kleinere Händler rechnet sich ein Onlineshop nicht, auch nicht für meinen eigenen Betrieb. Unser Ziel ist eher die Sichtbarkeit im Netz, also eine Art Online-Schaufenster zu bieten.

Mit welchen Veränderungen im Winterberger Einzelhandel rechnen Sie in den nächsten fünf Jahren?

Corona hat jedem ausreichend Zeit gegeben, über das eigene Unternehmen und dessen Perspektiven nachzudenken. Ich bin daran interessiert, dass Winterberg sich qualitativ beständig und nachhaltig weiterentwickelt und wir neue Konzepte umsetzen.

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Eine Idee, wie ein solches neues Konzept aussehen könnte?

Nein, noch nicht. Dinge, die in die Zeit passen und das Interesse der Leute abbilden.

Aber die Entwicklung wird sich eher im individuellen Bereich abspielen?

Ich denke schon. Für Winterberg ist ein gutes Gleichgewicht wichtig von Freizeitbetrieben und attraktiver Innenstadt, die wiederum Synergien zwischen Gastronomie und Einzelhandel schafft. Ein positives Beispiel ist die Umgestaltung der Neuen Mitte und die baldige Eröffnung eines Café Extrablatt. Das ist schon eine Marke und positiv für die Stadt.