Marsberg. Corona hat im Einzelhandel tiefeSpuren hinterlassen. David Wegener, Vorsitzender des Gewerbevereins Marsberg, über die Krise, Ängste und Chancen.

Die Corona-Pandemie hält die Welt und die Menschen seit März in Atem. Der Lockdown mit seinen Einschränkungen ist zumindest im HSK (vorerst?) vorbei. Aber er hat Spuren hinterlassen. Welche, das wird wohl erst in absehbarer Zeit wirklich abschätzbar sein. Auch in den Innenstädten. Karstadt schließt viele Filialen in vielen Städten. Wirklich gut ging es ihnen aber auch vor Corona nicht.

In Marsberg ging 2018 die 100-jährige Kaufhausära Henke zu Ende. Ist der Online-Handel der große Gewinner der Krise? Für unseren Themenschwerpunkt „Hier kaufe ich gern“ nehmen wir die Situation des Einzelhandels gezielt unter die Lupe, lassen Einzelhändler, Experten und Kunden zu Wort kommen. Was macht den stationären Einzelhandel vor Ort aus. Wie groß ist die Bedrohung durch Corona und den Online-Handel? Die WP sprach mit Daniel David Wegener, Vorsitzender des Gewerbevereins Marsberg und Inhaber des Schuhgeschäftes in der Marsberger Hauptstraße in fünfter Generation.

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Herr Wegener, Sie sind mit ihrem Schuhgeschäft vor elf Jahren aus der Bäckerstraße in die Hauptstraße umgezogen. Damals haben Ihre Eltern noch das Geschäft geführt. War der Umzug der richtige Schritt?

David Wegener: Der Schritt war und ist richtig gewesen. Wir konnten unsere Fläche im Vergleich zum alten Standort vergrößern. Das jetzige Ladenlokal ist übersichtlicher und heller als der vorherige Standort.

Wie lief Ihr Geschäft vor Corona?

David Wegener
David Wegener © Privat | Privat

Wir sind zufrieden gewesen.

Viele Einzelhändler klagen ja landauf, landab, dass weniger Kunden den Weg in die Geschäfte finden. Und wenn welche kommen, bleiben sie nicht lange, auch wegen des Mund-Nasen-Schutzes. Haben Sie ein verändertes Kaufverhalten bemerkt, kaufen die Kunden vielleicht gezielter ein?

Ja, das Kaufverhalten der Kunden hat sich verändert. Die meisten Kunden haben eine genauere Vorstellung von dem was benötigt wird, sind entsprechend bereit zu kaufen und die Verweildauer im Geschäft fällt somit kürzer aus. Die Kundenfrequenz hat sich seit dem Lockdown spürbar verringert und noch nicht wieder erholt. Diejenigen, die vorher nur stöbern wollten, sind auf ein Minimum zurückgegangen. Der Mund-Nasen-Schutz mag, insbesondere bei warmen Wetter wie in den vergangenen Tagen, nicht angenehm sein. Wenn wir aber so und mit den geltenden Hygienemaßnahmen eine (erneute) Ausbreitung in Grenzen halten können, ist es die Anstrengung auch über einen längeren Zeitraum in jedem Fall wert. Einen zweiten Lockdown, wie man es

Steckbrief

Name: David Wegener (27)

Familienstand: Ledig

Ausbildung: Textilbetriebswirt BTE Einzelhandelskaufmann

Ehrenamt: Gewerbeverein Marsberg e.V.

Stadtmarketing Marsberg e.V.

aktuell im Kreis Gütersloh mitbekommt, ist weder flächendeckend noch regional begrenzt wünschenswert. Falls dies so kommen sollte, sehe ich für sehr viele Standorte, egal ob Metropole oder Kleinstadt, schwarz. Zusätzlich zu den circa vier Wochen im März und April wird dies das Aus für einige Geschäfte, die momentan am Zittern sind und mit zwei blauen Augen davonkommen würden, besiegeln. In der Folge werden auch zahlreiche (Innen)Städte nachhaltig verändert und im schlimmsten Fall veröden.

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Und wie liefen Ihre Geschäfte und die Ihrer Gewerbevereinsmitglieder mit Corona?

Die Kunden kaufen gezielter ein. Je nach Branche haben sich die Geschäfte sehr unterschiedlich entwickelt. Spannend wird es unter anderem im Mode- und Textilhandel. Die Ware aus der aktuellen Frühjahr-/Sommersaison ist in der Regel noch nicht so verkauft worden, wie es geplant wurde. Mieten sind zum Teil für den Herbst gestundet worden und werden fällig. Die neue Ware für die Herbst-/Wintersaison wird teilweise schon ausgeliefert. Im Bereich Tourismus und Gastronomie wird die spannende Frage werden, ob und wenn ja mit welchen Einschränkungen gereist werden darf. Aktuell sieht die Entwicklung positiv aus. Generell bleibt es aber spannend, wie sich die Gesamtsituation entwickeln wird. Das hängt maßgeblich vom Verhalten von uns allen ab.

Wie schätzen Sie die Situation der Filialisten ein?

Ich schätze die Situation von überregionalen Filialisten schwieriger ein, als die von einem kleinen, inhabergeführten Fachhändler mit ein oder vielleicht zwei Geschäften. Bei großen Filialisten fehlt oft der von Kunden wertgeschätzte persönliche Kontakt zum Inhaber. Filialisten sind zudem oft nicht im Eigentum tätig, sondern haben je nach Standort zum Teil erhebliche Mietkosten. Wenn hier keine Übereinkunft mit dem Vermieter gefunden werden kann, wird es für viele Standorte und Unternehmen schwierig. Insbesondere große Filialisten entscheiden bezüglich ihrer Kosten noch stärker zahlenorientiert als ein dem Standort verbundener Händler, für den es meistens um mehr geht als nur um „ein Geschäft“. Ein Vorteil von großen Filialisten kann sein, dass sie unter Umständen einfacheren Zugang zu Bürgschaften von Investoren kommen können.

Wird sich unsere Hauptstraße in Marsberg durch Corona verändern?

Wir unterliegen, wie alle anderen Städte auch, einer stetigen Veränderung. Ich gehe aber davon aus, dass manche Veränderungen sich durch Corona beschleunigen werden.

Kommt genug Unterstützung, egal von welcher Seite, ob vom Land oder Stadt, den Verbänden oder den Kunden?

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Von Kundenseite bekommen wir sehr viel Unterstützung und Zuspruch. Dies war besonders in den rund vier Wochen der Schließung deutlich zu spüren. Dafür sind wir äußerst dankbar. Die schnellen Soforthilfen für laufende Kosten vom Bund und dem Land NRW waren gut, wenngleich nicht absehbar ist, ob die Höhe auch mittel- und langfristig ausreichend ist. Bezüglich notwendiger Überbrückungskredite habe ich von vielen bereits mitbekommen, dass diese zum Teil abgelehnt worden sind. Hier ist es wünschenswert, dass den Banken von der Regierung mehr Sicherheiten angeboten werden, sodass auch in Fällen, die „gerade so“ keine Bewilligung bekommen haben, positiv über eine Kreditvergabe entschieden werden kann und Unternehmen so gerettet werden können. Generell wird sich erst in einigen Monaten zeigen, ob die bisher verabschiedeten Unterstützungen ausreichend sind. Es muss ebenfalls abgewartet werden, wie sich das am vergangenen Montag beschlossene Konjunkturpaket des Bundes auf die Entwicklung nach und die Erholung von der Krise auswirken wird.

Wie sind die Aktionen der Einzelhändler während des Lockdowns wie die Bringdienste oder Gutscheinaktionen angekommen?

Die Initiativen der Händler sind während des Lockdowns unterschiedlich angenommen worden. Bei vielen konnten sie aber bestimmt über das aller Gröbste hinweghelfen. Und haben auch dafür gesorgt, dass die Bindung zu den Kunden gestärkt werden konnte.

Was wünschen Sie sich von den Kunden?

Ich wünsche mir von unseren Kunden, dass sie uns als Gewerbetreibenen und der Stadt Marsberg als Kunde treu bleiben. Dass vor dem nächsten Klick auf „jetzt bestellen“ lieber noch einmal überlegt wird, ob ich das Produkt nicht auch in Marsberg vor Ort bekomme. Am einfachsten ist, den Warenkorb noch einen Tag offen zu lassen, bei einem Händler anrufen und nachfragen. Oftmals können Produkte auch besorgt werden, die nicht im Geschäft vorrätig sind. Viele Händler sind gerne bereit Produkte im Stadtgebiet kostenfrei zu liefern, falls die eigene Zeit zu knapp ist, oder man lieber noch zu Hause bleiben möchte.

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Ist der Online-Handel das Modell der Zukunft?

Ich glaube nicht, dass der reine Onlinehandel das Modell der Zukunft ist. Ich erwarte, dass sich der Onlinehandel und der stationäre Handel in einigen Jahren in ihren jeweiligen Umsatzanteilen eingependelt haben. Corona ist hierfür bestimmt ein Beschleuniger. Allerdings gehe ich in diesem Zuge auch davon aus, dass sich der stationäre Handel verändern wird. In Metropolen und bestimmten Segmenten ist es bereits heute üblich nur noch eine kleine Auswahl an Artikeln im Geschäft zu zeigen, das kann man sich wie eine Art Ausstellung vorstellen. Andere Größen, Schnitte und Materialien werden im Lager vorrätig gehalten oder werden direkt vom Geschäft aus zu den Kunden nach Hause versandt. Dies geht einher mit einer stärkeren Präsenz digitaler Tools im Verkaufsprozess. Ich gehe davon aus, dass uns das direkte und persönliche Beratungsgespräch auch in Zukunft begleiten wird.