Brilon. Der Gedenkstein an der Mordstelle in Brilon ist wieder hergerichtet worden. Die traurige Geschichte hinter der blutigen Tat rückt in den Fokus.
Auch wenn die Schnade in diesem Jahr coronabedingt nicht stattfindet: Der Heimatbund Semper Idem hat den Gedenkstein an der „Mordstelle“ aufgefrischt. Besuch erhält die Stätte gleichwohl am 22. Juni: In der Wünnenbecke trifft sich die offizielle Delegation der Stadt und der Schützen, um von dort in kleinem Kreis den symbolischen Grenzbegang zum Frühstücksplatz an der Dinkbuche und zum Lagerplatz Sommers Seite zu starten und dort, so Bürgermeister Dr. Christof Bartsch, „in alter Schnademanier“ die Grenzsteine zu begrüßen.
Viele Briefe des Täters ausgewertet
Die „Mordstelle“ befindet sich unmittelbar an der Stadt- und Kreisgrenze, nur wenige Meter von der B 251 entfernt. Unmittelbar an der Grenze zu Rüthen gelegen, erinnert der Findling an die beiden am 27. Juli 1919 von Wilderern erschossenen Förster Karl Seffen aus Brilon und Hugo Birkenfeld aus Rüthen. Heimatbund-Vorstandsmitglied Helmut Mengeringhausen hat die verblasste Inschrift in feinsäuberlicher Handarbeit erneuert. Er hat seine besondere Beziehung zu der Stelle und ihrer verhängnisvollen Geschichte. Zwei Aktenordner voller zeitgenössischer Dokumente hat der Heimatbund zusammengetragen, darunter zahlreiche Briefe, die der als Haupttäter verurteilte Theodor Dodt an Behörden und an seine Familie geschrieben hat.
Großvater nahm am Prozess teil
Und auch in Familienerzählungen ist der Vorfall immer wieder mal zur Sprache gekommen: Der Großvater von Helmut Mengeringhausen hatte den Prozess gegen die beiden Täter, Theodor Dodt aus Brilon und Gregor Ester aus Brilon-Wald, vor dem Landgericht Arnsberg mitverfolgt. Das hat seine Sicht auf die „ruchlose" Tat, als der sie damals angeklagt war, verändert. Wilderei, das war damals keineswegs „harmlose Heimat-Romantik", wie der Esloher er Heimat- und Sozialforscher Peter Bürger in seinem 2018 erschienenen Buch "Krieg im Wald" dargestellt hat. Wilderei, das waren „blutige Verteiligungskämpfe um Fleisch und Holz". Wilderer seien “„fast immer arme Schlucker" gewesen, die beteiligten Forstbediensteten hätten aber ebenfalls nur selten zu den Bessergestellten gehört.
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So auch Theodor Dodt. 13 Mal war der damals 34-Jährige bereits wegen Wilderei und Körperverletzung mit Todesfolge vorbestraft. In Brilon nannte man ihn „Puh", was - wie Helmut Mengeringhausen vermutet - den Knall eines Schusses lautmalen sollte. Sein Zeigefinger jedenfalls saß locker. Das wusste auch Stadtförster Karl Seffen. Der jedenfalls soll in der Stadt erzählt haben, Theodor Dodt „ohne Gnade und ohne Anruf über den Haufen zu schießen", sollte er ihn je im Wald erwischen - So jedenfalls hat es Winfried Finke in seinen „Geschichten aus Scharfenberg" zitiert.
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Nach Ende des Ersten Weltkriegs hatten die Veteranen wie Dodt und Ester ihre Waffen nicht abgeben brauchen. 1000 Schuss Militärmunition stellte die Polizei einmal bei einer Hausdurchsuchung bei Dodt sicher. Der wohnte damals in der heutigen Mariengasse - in jenem Fachwerkhaus, in dem sich später bis kurz nach der Jahrtausendwende die Gaststätte „Zum Wilddieb" befand. Auch wenn die kleine, schummerige Kneipe seit vielen Jahren leer steht: Das alte Wirtshausschild an der Fassade erinnert immer noch an die alten Zeiten.
Angst vor den Förstern
Aus Furcht vor Förster Seffen mied Theodor Dodt eigentlich immer das Revier in der Wünnenbecke. An jenem 27. Juli allerdings lässt er sich von seinem Komplizen überreden, dort doch auf einen Bock zu gehen. Was beide nicht ahnen: Für jenes Wochenende planen die Förster dort eine verstärkte Wilderer-Streife. An der Stadtgrenze, unweit der Möhnestraße, der heutigen B 516, treffen beide Seiten aufeinander. Die Förster eröffnen das Feuer, Dodt und Ester schießen zurück. Karl Seffen erhält, so ist es damals vermerkt, mehrere Brust- und einen Bauchschuss, Hugo Birkenfeld einen Kopfschuss.
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Unmittelbar nach der Tat rennen die beiden Wilderer nach Brilon, denn sie wissen: Ihr Alibi ist umso besser, je früher sie dort gesehen werden. In, so staunt auch Helmut Mengeringhausen, gerade einmal einer Stunde legen sie den gut zehn Kilometer weite Strecke zurück - und sind bereits in der Sonntagsmesse, als die Polizei anklopft. Beide leugnen die Tat, allerdings war Dodt bei dem Beschuss von mehreren Schrotkugeln getroffen worden. Beim Röntgen werden mehrere Körner festgestellt, die mit denen aus den Flinten der Förster übereinstimmen. Dodt wird zum Tode verurteilt, Ester erhält acht Jahre Zuchthaus. Später wird die Todesstrafe in lebenslange Haft umgewandelt. Anfang der 30er Jahre stirbt Dodt in Haft, sein ehemaliger Kumpel läuft derweil, so Winfried Finke in seinem Buch, in SA-Uniform herum von schlechtem Gewissen keine Spur.
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