Medebach. Im Vogelschutzgebiet Medebacher Bucht werden viele Wegränder nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. Doch was haben 608 Eichenpfähle damit zu tun?

Plant jemand einen kilometerlangen Zaun im Vogelschutzgebiet? Der Eindruck könnte entstehen, seit vielerorts hüfthohe Eichenpfähle entlang der Wegränder gesetzt wurden.

Wer keine Zeit zum Zählen hat: Es sind genau 608 Stück. Ein Zaun soll es aber nicht werden. Die Pfähle markieren die Punkte, an denen landwirtschaftliche Flächen enden und die Wegeparzellen beginnen.

Aus gutem Grund: Diese Randstreifen sollen nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden, sondern ungestört grünen und blühen. Das hatte die Stadt beschlossen, um Pflanzen, Insekten und anderen Wildtieren mehr Lebensraum zu verschaffen. Vor rund einem Jahr wurde das Gebiet deshalb genau vermessen, kürzlich folgten als sichtbares Zeichen die Pfähle.

Einfach nicht mehr mähen und fertig? So leicht, wie der Laie meinen könnte, ist es nicht. „Das Zauberwort ist Vielfalt“, erklärt Bettina Gräf von der Biologischen Station HSK. „Griffe der Mensch überhaupt nicht mehr ein, würde in unseren Breitengraden überall Wald entstehen.“ Genau das ist aber nicht der Plan, denn die Wegesäume sollen ja bunte, vielfältige Lebensräume werden.

Wie natürliche Lebensräume entstehen

Bettina Gräf erläutert, wie es in der Natur läuft: „Nehmen Sie zum Beispiel umgebrochenen Boden, also quasi braune Erde. Neben Äckern wachsen dann als Erstes Arten wie Kornblumen und Mohnblumen. Wird der Boden aber dann nicht mehr jährlich umgegraben, schließt sich die Grasnarbe. Und damit verschwinden diese Ackerarten. Stattdessen wachsen die Wiesenarten wie Wiesenbocksbart und Wiesenmargerite. Auf Brachen fallen auch Gehölzsamen und so bestimmen nach wenigen Jahren zum Beispiel Weißdorn, Rosen und Ebereschen das Bild. So entstehen erst Hecken und irgendwann Wald.“

Der kurze Exkurs macht bereits deutlich, wie schnell und komplex sich Lebensräume ohne menschlichen Eingriff verändern. „Und dann gibt es noch viele andere Faktoren, die bestimmen, was wo wächst: Viehtritt, Nährstoffgehalt, Trockenheit…“

Menschlicher Einfluss kann also durchaus Lebensräume nicht nur zerstören, sondern auch schaffen und erhalten. Das bedeutet für das Wegsäume-Projekt in der Medebacher Bucht, dass verschiedene Abschnitte unterschiedlich behandelt werden müssen. Auf manchen muss die Erde jährlich umgebrochen werden, andere sind gelegentlich zu mähen, wieder andere könnten sich ganz ungestört entwickeln.

Thema gewinnt an Bedeutung

Ökologie und Nachhaltigkeit nehmen in der politischen Diskussion in Medebach an Bedeutung zu. Verschiedene Anträge und Ideen liegen vor; inzwischen hat man sich geeinigt, dass nach der Kommunalwahl im September 2020 wahrscheinlich ein separater Umweltausschuss gegründet werden soll.

Ein fertiges Konzept, wo genau was geschieht, gibt es noch nicht. Es soll aber entstehen. Verantwortlich ist die Stadt, die sich dazu Fachwissen unter anderem von der Biologischen Station hinzuholt.

Nelken, Klee und Giersch

Sichtbar sind die ersten Veränderungen aber bereits: Neben den bereits gemähten Wiesen stehen die Gräser teilweise kniehoch und hier und da sind bunte Tupfer zu erkennen. Wilde Nelken in Pink, gelber Gewöhnlicher Hornklee und weißer Giersch können jetzt wachsen, wo sie vor einem Jahr noch gemäht worden wären. „Das Ganze ist ein gutes Projekt, denn gerade die Vernetzung solcher Lebensräume ist sehr wichtig und die Wegsäume durchziehen wie Adern ein großes Gebiet“, betont Gräf.

Die Landwirte und Grundbesitzer seien überwiegend kooperativ, lobt Bürgermeister Thomas Grosche. Manche brächten sogar eigene Ideen ein. Zwar gebe es auch einige, die die Pfähle „am liebsten wieder rausreißen“ wollten, aber er freue sich lieber über die, die mitmachen – wissend, dass das Projekt ohne die Kooperation der Landwirte kaum umzusetzen wäre. „Die Rückmeldungen der Bürger jedenfalls sind durchweg positiv.“

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Auch Bettina Gräf hat ein Lob für die Stadt übrig. Es sei ein Verantwortungsgefühl spürbar, das städtische Eigentum – dazu zählen die Wegesränder – für künftige Generationen zu erhalten. „Am Ende sind es Bürger, die Verantwortung übernehmen. Weil sie verstanden haben, dass es um unser aller Lebensgrundlage geht. So ist ein Katalog von Ideen entstanden.“