Medebach. . Entlang der Wirtschaftswege in einem Teil des Vogelschutzgebiets soll seltener gemäht werden. Wo das funktionieren könnte, wird bald vermessen

Wenn in den nächsten Wochen ein junger Mann einsam und mit gesenktem Blick durch die Felder um Medebach streift, ist es wahrscheinlich Klaus Wullenweber. Der 23-Jährige hat aber keinen Anfall von Melancholie. Er kartiert. Bewaffnet mit Tablet und GPS-Gerät geht der Student die Wirtschaftswege in einem 300 Hektar großen Bereich des Vogelschutzgebiets Medebacher Bucht ab, südöstlich des Gewerbegebiets Holtischer Weg. Seine Aufgabe: Herausfinden, wo genau die Grenzen der Wirtschaftswegeflächen verlaufen. Diese gehören der Stadt, die angrenzenden Felder und Wiesen Privatleuten. Nun sind aber die Wegeparzellen meist etwas größer als die Wege an sich, links und rechts gehören noch Randstreifen dazu. Genau um die geht es.

Diese Streifen könnten eine wichtige Rolle für den Naturschutz spielen. Bisher werden sie von den Landwirten, die die angrenzenden Flächen bewirtschaften, einfach mit genutzt. Also zum Beispiel bis zu viermal im Jahr gemäht. Mit schweren Folgen für die Artenvielfalt: Wo ständig gemäht wird, blüht außer Löwenzahn praktisch nichts mehr. Keine Futterpflanzen heißt keine Insekten, keine Insekten heißt keine Bestäubung und keine Vögel. Die Folgen sind bereits heute im Vogelschutzgebiet unübersehbar.

Deshalb möchte die Stadt die Randstreifen künftig selbst nutzen – um sie nicht zu nutzen. Viel seltener als bisher gemäht könnten sie wieder zu einem artenreichen Lebensraum werden, Futter, Unterschlupf und Nistplätze bieten. Das ist eine der Ideen aus dem Elf-Punkte-Plan, den Medebach 2018 beschlossen hat, um dem Artensterben entgegenzuwirken.

Der Wille der Stadt ist klar und die Wegränder gehören ihr. Dennoch sieht Bettina Gräf, Gebietsbetreuerin der Biologischen Station HSK für das Vogelschutzgebiet, noch viel Abstimmungsbedarf auf die Beteiligten zukommen. Denn wichtiger als ihr Recht ist der Stadt Medebach das Einvernehmen mit den Eigentümern der Flächen – immerhin über 100 Personen. Ein Infoschreiben ist schon rausgegangen, nach dem Abschluss der Arbeiten soll es auch eine Präsentation geben. Gräf erwartet keinen einstimmigen Beifall für das Projekt: Immerhin gehen den Landwirten Flächen verloren; auch wenn ihnen diese nicht gehören und sie sie nur gewohnheitsmäßig mitnutzen durften.

„Die Landwirte stehen unter einem enormen Kosten- und Konkurrenzdruck. Das eigentliche Problem sind nicht sie, sondern die Agrarpolitik. Dort müsste ein grundsätzliches Umdenken stattfinden, damit Landwirte nicht mehr für die Zerstörung, sondern für den Erhalt von Lebensräumen belohnt würden“, wünscht sich Gräf.

Sie betreut Klaus Wullenweber bei seiner Arbeit. Der 23-Jährige studiert Landschaftsentwicklung an der Hochschule Osnabrück und macht das Projekt zum Thema seiner Bachelorarbeit. „Ich hatte bei der Biologischen Station angefragt, ob ich einen Beitrag leisten könne. Und die Wegränder haben viel Potenzial; sie ziehen sich wie Adern durch die Landschaft.“ Neben der Größe erfasst Wullenweber auch den Zustand der Ränder. So kann er zum Beispiel Bereiche identifizieren, die vergleichsweise artenreich sind. Schnittgut von dort könnte anderswo als Starthilfe dienen.

Ganz ohne Pflege geht es nicht

Untersucht wird auch, wie die Wegränder künftig gepflegt werden könnten. Denn völlig sich selbst überlassen würden sie schnell verbuschen – offene Landschaften gibt es in Mitteleuropa nur durch menschliche Eingriffe.

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich zahlreiche Pflanzen- und Tierarten an das Leben in den offenen Bereichen angepasst.

Dass etwas passiert, dafür ist es laut Bettina Gräf allerhöchste Zeit: „Der Mensch ist dabei, sich die eigene Lebensgrundlage zu entziehen. In den letzten 20 Jahren ist es wirklich dramatisch geworden.“ Viele seien inzwischen schon sensibler für das Thema. So gebe es Anrufe von Eigentümern, die fragen, was sie für den Naturschutz konkret tun können. Die einfachste Antwort: Ein bisschen mehr nichts tun. Die Naturschützer hoffen, dass 2020 die Umsetzung des Projekts beginnen kann.

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