Marsberg-Westheim. Kein Schützenfest, keine Feier, 70 Prozent Umsatzrückgang. Die Brauerei Westheim bei Marsberg stoppt die Fassbierproduktion. Das sagt der Chef.

Keine Schützenfeste, keine Stadt- oder Kreisschützenfeste, keine sonstigen Vereinsfeiern, keine privaten Geburtagsfeiern oder Hochzeiten. Kein Brauereifest. Alles abgesagt, wenigstens bis zum 31. August. Wegen Corona. Restaurants und Gaststätten sind noch zu. Der Fassbierabsatz bricht der Brauerei Westheim bei Marsberg weg. Das Coronavirus und seine Folgen trifft auch die Brauerei Westheim in Mark und Bein. Die Privatbrauerei steht vor der wohl größten Herausforderung ihres 158-jährigen Bestehens.

Die Fassbierproduktion ist komplett zum Erliegen gekommen.

Einzigartig in der Firmengeschichte – 70 Prozent Umsatzrückgang

„Das hat die Brauerei noch nie erlebt“, sagt Moritz Freiherr von Twickel. Gemeinsam mit seinem Vater Josef Freiherr von Twickel führt er die Privatbrauerei in sechster Generation. Mit einem Bierausstoß von 45.000 Hektoliter im Jahr liegt der Wert über Jahre hin nahezu konstant. Das wird in diesem Jahr anders sein. Moritz von Twickel spricht gegenüber der WP von einem Umsatzrückgang von 70 Prozent. Das Fassbier macht über 50 Prozent des Geschäftsanteils aus.

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Die Großbrauereien seien nicht so arg betroffen. Bei denen sei der Anteil an Fassbier viel geringer, bei Veltins beispielsweise liege er nur bei 17 Prozent, weiß der Juniorchef. Er hat die meisten Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt.

Hauseigener Fahrdienst boomt

Gebraut wird momentan nur das Flaschenbier auf Nachfrage für den Einzelhandel und den Getränkeheimdienst. Und der laufe im Moment „richtig gut“, freut er sich. Der hauseigene Fahrdienst bringt den Kunden die Bierkisten aber auch Wasser und Limonaden direkt bis an die Haustür. Vor Corona bei Bedarf auch gleich bis in den Keller. Aus Sicherheitsgründen wird in Corona-Zeiten darauf verzichtet. „Da hat jeder Verständnis“, sagt Moritz von Twickel.

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Bisher hätten vor allem die ältere Kundschaft gern den Bringdienst genutzt. Doch jetzt seien viele neue, auch jüngere Kunden hinzugekommen, die es schätzen würden, wie ihm immer wieder berichtet werde, dass sie nicht mehr die schweren Kisten vom Einkauf nach Hause schleppen müssen. Moritz von Twickel ist dankbar: „Wir bekommen viel Zuspruch aus der Kundschaft und viel Solidarität. Wir merken, dass sich viele in diesen schwierigen Corona-Zeiten für heimische Produkte entscheiden.“ Das gibt Hoffnung. Geplant werde müsse momentan ohne die Fassbierproduktion. „Wir müssen schauen, dass wir die Kosten im Griff haben.“

Brauereichef: Muss irgendwie weitergehen

Lieferservice boomt

Drei Heimdiensttouren der Westheimer Brauerei bringen den Gerstensaft, aber auch das Mineralwasser und der Sprudel direkt bis vor die eigene Haustür der Privatkundschaft.

Jeden Tag sind die Fahrverkäufer im Einsatz und bringen das Westheimer an die Kunden im Raum Lichtenau, im Raum Bad Wünnenberg, Büren, Bigge-Olsberg, Diemelsee, Diemelstadt, Bad Arolsen, Warburg, Willebadessen und im Raum Marsberg.

Neu: Die Kunden können jetzt auch die Getränke online bestellen unter brauerei-westheim.de/liefersho

Moritz von Twickel ist „zuversichtlich, dass es irgendwie weitergeht.“ Gleiches hofft er für die Gastronomie. Deren Nöte und Ängste sind quasi auch seine. Seitens der Politik müsse mindestens ein Fahrplan erstellt werden, damit die Gastronomie wisse, wie es weitergehen soll, fordert er. Öffnungszeiten mit Einschränkungen müssten doch machbar sein. „Aber wenn die Restaurants, Cafes oder Gaststätten nicht jetzt bald Umsatz machen können, dann ist bald gar keine Gastronomie mehr da“, so seine düstere Vorahnung. „Es ist extrem wichtig, dass die Gastronomie weitere Hilfen bekommt.“

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Gleiches hofft er für die Hopfenbauern im Hallerhau. Die Hallertau auf der Grenze zwischen Nieder- und Oberbayern ist das größte Hopfenanbaugebiet der Welt. Von dort bezieht die Westheimer Brauerei ihren Hopfen. „Hochwertiger und feinster Aromahopfen“, so umschreibt es Moritz von Twickel, der dem Bier seinen unverwechselbaren charaktervollen Geschmack gebe. Auf Qualität und beste Zutaten setze die Brauerei seit jeher.

Hilferuf von den Hopfenbauern aus der Hallertau

Die Brauerei erreichte jetzt ein Hilferuf der Hopfenbauern. Denn genau so wie in der Landwirtschaft fehlt es ihnen in diesen Corona-Zeiten an Erntehelfern. Juniorchefin Cristina von Twickel: „Für den fast ausschließlich von kleinen Familienbetrieben in der Hallertau betriebenen Hopfenanbau eine Katastrophe, gerade jetzt, wo es auf jede Hand ankommt.“ Mit den Jahrzehnten sei so eine starke Verbundenheit zwischen der Brauerei und den Hopfenbauern gewachsen, „da sind wir natürlich sofort zur Stelle, wenn vor Ort Hilfe nötig ist.“ Die beiden Westheimer Auszubildenden Jost Knapp und Robin Dirks werden ab dem 4. Mai in der Hallertau beim Hopfenanleinen mithelfen.

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Gegen Ende April schießen die ersten Hopfentriebe aus dem Boden. Dann geht es ans Anleiten. Dabei werden jeweils drei etwa gleich große frische Triebe im Uhrzeigersinn um die senkrecht in den Himmel weisenden Drähte gespannt. „Das ist nur ein Handgriff“, erklärt Christina von Twickel. Den brauche es aber viele hunderttausend Male, damit der Hopfen Halt findet und sich an manchen Tagen bis zu 30 Zentimeter in die Höhe rankt. Keine Pflanze auf heimischen Böden wachse schneller. An haushohen Gerüsten aus Holzstangen und Drähten rankt sich der Hopfen in eine Höhe von sieben bis acht Metern.