Hallenberg/Streetsboro. Nicht überall in USA hat sich die Corona-Krise so zugespitzt wie in New York. In Ohio fühlen sich Patrick und Isabel Mause aus Hallenberg sicher.
Die Entfernung ist groß: 9000 Kilometer liegen zwischen Hallenberg und der 16.000-Einwohner-Stadt Streetsboro im US-Bundesstaat Ohio. Zwölf Flugstunden trennen zwei Welten, die aber in Zeiten von Corona auf einmal ähnliche Sorgen und Probleme haben: Hamsterkäufe beim Klopapier und Ebbe beim Desinfektionsmittel. Jenseits des großen Teiches lebt Patrick M. Mause mit seiner Frau Isabell. Die beiden Hallenberger sind 2010 in die Staaten gezogen und besitzen seit zwei Jahren neben der deutschen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. „Man liebt oder man hasst das Land. Es gibt nur diese Möglichkeiten. Ich bin beruflich sehr schnell, sehr erfolgreich geworden. Ich finde es einfach klasse hier.“
Über den technisch-versierten Sauerländer hat unsere Zeitung schon einmal berichtet. Damals ging es um eine Raffinesse: elektronische Mausefallen, die der 44-Jährige zusammen mit einer Allendorfer Firma entwickelt hatte: Maus in der Falle, SMS kommt aufs Handy: Nager gefangen, Mensch kann tätig werden. Seine Mäuse verdient der Software-Entwickler und Wirtschaftsinformatiker heute anders: Es geht um Klima-, Licht- und Heizungssteuerungen, um Kontrollmechanismen z.B. für Krankenhäuser. Daher ist sein Job systemrelevant, aber auch Patrick Mause arbeitet zurzeit im Homeoffice.
Social Distance unmöglich
„Ja, hier bei uns herrscht stay-at-home-order. Man darf in Lebensmittelläden, Apotheken, an die Tankstelle und zum Wandern an die frische Luft. Daran halten sich auch die meisten. Aber kein Ordnungshüter käme auf die Idee, jemanden auf offener Straße zu ermahnen, der das nicht tut.“ Zum Einen wolle sich auch der Sheriff nicht infizieren. Aber eine weitaus wichtigere Rolle spiele die US-Constitution – die Verfassung. „Und die besagt, dass jeder ein freier Bürger ist, der sich in seiner Bewegungsfreiheit nicht eingrenzen lässt. Das sitzt hier ganz tief verwurzelt und daran würde niemand rütteln.“
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Die USA sind das Land, das derzeit weltweit die meisten Infektionen und Todesfälle zu beklagen hat. „Hier bei uns sind die Zahlen vergleichbar mit Deutschland. Ohio ist d e r Krankenhaus-Staat in den USA, die Cleveland-Klinik zählt zu den weltbesten. Daher sind wir hier noch entspannt. Aber ich bin ein paar Mal in New York gewesen. Dort kann man eine ,social-distance` einfach nicht einhalten. Es ist zu voll dort und dadurch hat sich das Virus auch so stark verbreitet“, sagt Mause. Die Gegend, wo er und seine Frau wohnen, sei ländlich.
Kanada ist nahe bei, die Niagarafälle, die Großen Seen und der Cedar Point-Freizeitpark in Sandusky mit der spektakulärsten Achterbahn der Welt. Auch er ist geschlossen. „Aber es ist nicht ländlich im Sinne vom Sauerland. „Zu Hause musste ich weit fahren, um zum Beispiel in ein großes Elektrofachgeschäft zu kommen. Hier gibt es davon gleich fünfzehn in einem Radius von zehn Minuten. Und in sechzig Sekunden bin ich auf der Autobahn.“
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All das hilft den Mauses aber auch nicht, wenn sie z.B. Schutzmasken oder Desinfektionsmittel kaufen wollten. „Es gibt keine Mundschutzpflicht, aber neunzig Prozent der Bürger trät die Masken inzwischen. Zwei Stück, zwei Dollar. Vor einer Woche trugen alle Handschuhe. Desinfektionsmittel gibt es schon lange nicht mehr, aber die Lage an der Klopapier-Front hat sich zumindest entspannt.“
Einschnitte in der Gastronomie
Sichtbare Einschnitte hat Corona in der Gastronomie hinterlassen: „Die Amerikaner gehen sehr gerne essen – von günstig bis teuer. Ich habe Kollegen, die sind jeden Abend im Restaurant. Jetzt sind alle zu. Einige verkaufen Essen zum Mitnehmen oder liefern aus. In der Nachbarstadt gab es sonst keinen Parkplatz wegen der vielen Restaurants – das erinnert jetzt an eine Geisterstadt.“ Die Schulen, so Patrick Mause, haben in Ohio seit März und bis nach den Sommerferien geschlossen. „Das Home-Learning ist aber hier auch schon sehr lange verbreitet. Ein Laptop hat sowieso jeder Schüler, die Internetverbindungen sind sehr gut, der Unterricht läuft daher normal weiter. Da habe ich noch keine Klagen gehört.“
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Anders sieht es bei der Schulverpflegung aus. „Über ihre Abgaben zahlen die Bürger quasi die Schulspeisung für ihre Kinder mit. Als die zu Hause bleiben mussten, war der Unmut anfangs groß. Vor allem bei den Leuten mit geringerem Einkommen. Inzwischen läuft es so, dass die Eltern das Mittagessen in der Schule abholen können.“
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In USA wird gewählt
Noch, so die Einschätzung von Patrick Mause, hält ein Großteil der Amerikaner die Füße still, wenn es um das Stichwort Lockerung der Auflagen gehe. Aber man spüre schon, dass in diesem Jahr Wahlen anstehen. „Es gibt eine Petition, die vom Gouverneur eine Aufhebung der Sperren fordert. Und auch Donald Trump gerät zunehmend unter Druck und will etwas unternehmen, damit die Wirtschaft nicht den Bach runtergeht. Er setzt voll auf das Medikament Cloroquin.“
Kein Smalltalk mehr
Der Umgang der Menschen untereinander ist anders geworden, hat Patrick Mause festgestellt: „Wenn man sonst ein Glas Gurken im Supermarkt aus dem Regal genommen hat, dann gab es bestimmt einen weiteren Kunden, der einen angesprochen hat: ,Ja, die schmecken gut.` So eine Kontaktaufnahme wäre heute undenkbar.“
Kurzarbeitergeld in deutschem Sinne gebe es nicht: „Beruflich tickt die Welt hier anders. Ein Arzt, der vorübergehend arbeitslos ist, würde auch für ein paar Wochen bei Starbucks arbeiten, um Geld zu verdienen. Es gibt Zuwendungen durch den Präsidenten – zum Beispiel 3400 Dollar einmalig für eine Familie mit zwei Kindern, um den Paycheck zu retten, also um die Wirtschaft anzukurbeln.
10.000 Dollar Rabatt
Generell spüre man aber wirtschaftlich, dass der Markt leerer werde. „Die Autohändler unterbieten sich mit den Preisen. Auf einen Golf GTI gibt es 10.000 Dollar Rabatt. Man muss hier auch nicht Wochen auf ein Auto warten. Man fährt nicht Probe, man bestellt via Handy, wickelt den Kauf über Telefon ab und nach zwei Tagen steht der Wagen vor der Tür.“
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Apropos Autos: Weil durch Corona das Veranstaltungsleben auch in Ohio zum Erliegen gekommen ist, finden keine Auto-Shows mehr statt. „Das ist ganz typisch amerikanisch. Man stellt sein Auto auf einem Gelände aus, zahlt dafür fünf Dollar, die Besucher der Show stimmen dann ab, wer das schönste Auto hat und dafür gibt es einen Pokal. Das ist wie ein Volksfest. Das veranstalten sogar manche Kirchengemeinden.“ Vielleicht ein Modell für Deutschland?