Brilon. Schüler in Brilon wollen auf keinen Fall, dass sie keine Abiklausuren schreiben dürfen. Die Schließungen der Schulen trafen sie wie ein Schlag.

Für viele Schüler im Altkreis Brilon endet in den kommenden Monaten ein wichtiger Abschnitt ihrer schulischen Laufbahn: Mit dem Ablegen der Abiturprüfungen verabschieden sie sich auch gleichzeitig von Lehrern und einigen Klassenkameraden. Aber durch die Folgen des Coronavirus ist die Vorbereitung für die Klausuren gar nicht so einfach - zumal die Abiturprüfungen verschoben wurden. Sie beginnen nun im Haupttermin am 12. Mai und laufen bis zum 25. Mai.

Zwischenzeitlich gab es Überlegung, die bisherigen Leistungen Noten in einer Durchschnittsnote zusammenzufassen und die Prüfungen abzublasen. Doch genau das hatten viele nicht gewollt. Wir haben mit drei angehenden Abiturienten des Gymnasiums Petrinum in Brilon gesprochen und erfahren, wie sie mit der Situation umgehen.

Judith Schiller

Sie ging vor einigen Tagen noch ganz normal zur Schule, plauderte mit Freunden über die anstehende Mottowoche. Dann die Durchsage, dass die Schule wegen des Coronavirus geschlossen wird. „Ich habe sofort angefangen zu weinen. Ich hätte mich gerne bewusst von allem verabschiedet und die Wochen intensiv erlebt.“

Sie freute sich auf die Schulzeit, das Lernen für das Abi und ihre Reise nach Irland im Anschluss. Stattdessen fällt sie nach kurzer Zeit daheim in ein Loch und muss sich erst einmal berappeln, bevor sie sich wieder an den Schreibtisch setzen kann.

In der Schule war der nötige Stoff für die Prüfungen bereits besprochen, es ging nur noch darum alles zu wiederholen. Jetzt gibt es Aufgaben über die Homepage der Schule, Lehrer stehen per Mail bei Fragen zur Verfügung. „Ich kann jetzt aber auch keine ganze Analyse schicken und wir gehen das dann gemeinsam durch. Aber wir können Fragen stellen und bekommen auch Antworten. Das ist natürlich sehr wichtig“, sagt Schiller.

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Sie merkt aber auch, dass diese Form der Hilfe den Unterricht nicht ersetzt. Die Interaktionen im Klassenraum hält sie für essenziell. Der soziale Aspekt spielt für sie eine große Rolle, zumal Schüler auch lernen sollen, wie sie mit unterschiedlichen Personen und Charakteren umzugehen haben. „Ich verknüpfe Aufgaben und Notizen mit dem Unterricht. Wenn ich in meine Unterlagen schaue, dann fällt mir die Unterrichtsstunde ein. Das hilft mir beim Lernen. Das fehlt jetzt alles“, erklärt die 19-Jährige.

In dieser Zeit diszipliniert bleiben ist schwierig. Stundenlang am Schreibtisch sitzen und sich selbst zum pauken motivieren, ist etwas anderes, als in der Schule zu sitzen, wo Lehrkräfte dafür sorgen. „Ich hatte eine gute Struktur, aber dann habe ich mich mit einer Freundin getroffen. Es sollte noch einmal wie sonst sein. Aber danach war ich dann irgendwie raus aus dem Trott“, beschreibt Schiller die Schwierigkeit, konzentriert bei der Sache zu bleiben. Der Besuch der Schule fehlt ihr als Stütze.

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Dafür haben die Vorabi-Noten einen Ansporn gegeben. Jetzt wird noch mal angegriffen. Besonders mit der guten Nachricht, dass die Abiklausuren stattfinden- wenn auch später. Schiller wollte kein Durchschnittsabitur haben aus Sorge, dass die Leistungen des Jahrgangs belächelt werden würden, wenn keine Abschlussprüfung stattfindet. „Außerdem sagte mir meine Schwester, dass das Lernen für das Abitur ähnlich ist wie im Studium. Die Erfahrung möchte ich gerne schon mal machen.“

Elena Möller

„Es wurde gerade cool in der Schule. Es gab keinen Druck mehr, die Lehrer waren locker. Es ist traurig, dass die letzten Vorbereitungen für die Abifächer wegfallen. Das wäre so wichtig gewesen“, sagt Elena Möller. Sie bedauert ebenfalls, dass sie nicht richtig mit der Schulzeit abschließen kann.

Wie das Virus Nachhilfe verändert

„Seit Anfang vergangener Woche hat sich die Nachhilfe verändert“, sagt Michael Sommer. Er leitet den Studienkreis in Brilon und unterrichtet seine Schüler normalerweise von Angesicht zu Angesicht. Seit Corona aber zur Selbstquarantäne führt, ist das nicht mehr der Fall.

Jetzt läuft alles über den Computer. Mit Hilfe von Skype sehen sich Schüler und Lehrer per Video und kommunizieren online miteinander. Über eine virtuelle Tafel sehen beide Parteien das Gleiche. Parabel einzeichnen, Taschenrechner benutzen, alles geht am Bildschirm. „Das ist eine super Option und die Schüler können sich den Inhalt der Stunde ausdrucken und jederzeit wieder ansehen“, erklärt Sommer.

Dass Unterricht auch über das Internet stattfinden kann, ist nicht neu für den Studienkreis.

Zur Abiturzeit merkt Sommer ein verstärktes Interesse an Nachhilfe. Und die Eingewöhnung auf den Nachhilfelehrer auf dem Bildschirm stößt dabei auf keine Probleme.

„Ich hatte die Befürchtung, dass es auf Unverständnis stößt, wenn wir aus Sicherheitsgründen unsere Herangehensweise ändern, aber nur zwei Elternteile haben das hinterfragt. Das hat mich positiv überrascht“, so Sommer.

Positiv überrascht ist auch Elena Möller. Die 18-Jährige bereitet sich derzeit auf ihr Abitur vor und nimmt beim Studienkreis Mathenachhilfe. Sie lernt mit einem anderen Mädchen zusammen, das eine Stufe unter ihr ist. Sie sieht das neue Modell als Bereicherung auch wenn sie es vorziehen würde, mit ihrem Lehrer im gleichen Raum zu sitzen.

„Ich kann in unsere Gruppe schreiben, wenn ich eine Frage habe und erhalte dann spätestens abends eine Antwort. So habe ich nicht nur in meiner Nachhilfestunde die Möglichkeit weiterzukommen und muss dann wieder eine Woche warten.“

Auch sie sitzt an ihrem Schreibtisch und lernt. Kontakt zu den Lehrern hat sie wenig. Die Schüler tauschen sich untereinander auch nicht viel aus. Zwei ihrer Freunde lernen bereits intensiver, gelegentlich werden Fragen gestellt. Alles überschaubar. Doch ganz auf der faulen Haut liegen möchte Möller deswegen nicht. „Das Einzige, womit man sich derzeit beschäftigen kann, sind Online-Streams. Da lernt man mittlerweile schon vor lauter Langeweile.“ Auch die 18-Jährige ist froh, dass die Klausuren nicht abgesagt werden. In ihr machte sich bereits Angst breit, dass ihr „halbes Abitur“ nicht anerkannt würde und ihre Chancen in Zukunft bei Bewerbungen dadurch schlechter aussehen würden. „Ich möchte den ganzen Weg gehen und nicht hören, dass andere ein vollwertigeres Abitur haben.“

Anna-Lena Friedrich

Anna-Lena Friedrich hatte gerade ihre Vorabitur-Klausur geschrieben und den Sportunterricht absolviert, als es plötzlich vorbei war mit dem Schulleben, wie sie es bisher kannte. „Ich war sprachlos. Das war wirklich heftig. Ich hatte von den Überlegungen gehört und mir eingeredet, dass das alles noch fern ist. Aber dann war es plötzlich Realität“, beschreibt sie ihre Reaktion. Zunächst freute sie sich auf schulfrei, doch zunehmend fühle sich das Fernbleiben unangenehm an. Sie hätte gerne noch viel Unterrichtsstoff wiederholt.

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Jetzt macht sie das zu Hause. Für sie kein Vergleich mit dem Schulalltag. „Ich habe Mathe-Leistungskurs und wenn ich mich daheim wirklich hinsetze, dann läuft das auch gut“, sagt sie. Für die Aufgaben in Zusatzfächern bleibt dabei Zeit auf der Strecke. Der Austausch mit den Lehrern läuft mal mehr und mal weniger gut, aber sie weiß, dass die Situation auch für die Lehrkräfte neu ist und sie viel zu bewältigen haben. „Sie geben sich sehr viel Mühe“, findet sie schnell lobende Worte.

Die Deadlines für die Aufgaben, die ins Internet gestellt werden, schreibt sie mittlerweile auf einen Kalender, den sie an ihrer Zimmertüre angebracht hat. Ein hilfreiches Werkzeug, um den Überblick zu behalten ebenso wie To-Do-Listen. Sonst könnte es schwer werden mit der Motivation. „Man schafft vielleicht weniger, wenn man erst um 11 Uhr aufsteht. Das kann schnell zum Nachteil werden. Aber wir sind selbst verantwortlich“, sagt Friedrich klar.

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Die 19-Jährige steht auch mental vor einer Herausforderung. Sie macht sich prinzipiell verrückt, besonders, wenn es um Mathe geht. Doch die lange Ungewissheit in Bezug auf das Stattfinden der Abiklausuren gepaart mit dem Lernstress, ist psychologisch eine ganz neue Stresssituation. Sie hoffte zunächst, dass die Klausuren wegfallen würden. „Dann wäre ein Riesen-Brocken weggefallen, aber das ist auch keine Option, wenn dann Probleme im Studium oder der Jobsuche warten. Ich hätte mir mehr Normalität in meiner Abitur-Vorbereitung gewünscht.“

Jonathan Cappa

Der 19-jährige Johnathan Cappa hörte schon im Vorfeld die Gerüchte um etwaige Schulschließungen zum Schutz vor einer Corona-Ausbreitung. Doch als es dann soweit war, traf ihn die Nachricht hart. „Ich war schockiert. Nach zwölf Jahren war es das jetzt einfach?“

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Dennoch fühlte es sich für ihn auch so an, als würde ein Stein vom Herzen fallen, obwohl die Klausuren noch anstehen. Die vergangenen zwei Jahre zogen seiner Meinung nach gefühlt wie im Flug vorbei. „Ich dachte, wir hätten noch so viel Zeit, aber jetzt endet dieser große Lebensabschnitt einfach“, sagt Cappa.

Auch in seinen Abiturfächern war der nötige Stoff bereits besprochen. Darüber ist der Schüler auch sehr froh, da er dank dieser guten Vorbereitung jetzt weniger lernen muss. Unter den erschwerten Bedingungen ist er froh, dass die Kommunikation mit den Lehrern gut funktioniert und die Schüler Tipps bekommen.

Nur die Disziplin ist noch ein Punkt mit Luft nach oben. „Das ist gar nicht so einfach, wenn man wochenlang frei hat. Automatisch sage ich mir, dass ich später anfange mit dem Lernen. Das klappt noch nicht so gut. Aber morgen fange ich bestimmt an“, erklärt Cappa.