Bromskirchen/Hallenberg. Eine Nierenerkrankung hätte Lukas Paulus fast umgebracht. Jetzt kommt Corona und der Sauerländer ist Risikopatient. Sein Optimismus beeindruckt.

Mit gerade einmal 30 Jahren schwerstkrank und Frührentner, ohne Organspende jenseits der 40 keine Perspektive. Jetzt durch Corona auch noch Risikopatient und vom Außenleben streng abgeschirmt. Man sollte meinen, dass ein solcher Mensch allen Grund zum Klagen hätte. Aber wenn man jemanden braucht, der einen selbst auf positive Gedanken bringt, sollte man sich genau mit diesem Menschen, nämlich mit Lukas Paulus aus Bromskirchen unterhalten.

45 Kilo in zwei Wochen zugenommen

Geboren 1989 und aufgewachsen in Bromskirchen hat er nach der Schule eine Ausbildung als Bierbrauer abgeschlossen und im Mai 2011 das Abitur nachgemacht. Im September geht es Lukas Paulus auf einmal schlagartig schlecht. Er nimmt 45 Kilo in zwei Wochen zu – alles Wassereinlagerungen. Sein ganzer Körper ist so aufgedunsen, dass sich Blasen auf der Haut bilden. Die Notaufnahme der Uniklinik Marburg stellt fest: „So schlechte Eiweiß-Werte haben wir bei einem lebenden Menschen noch nie gehabt.“

Auch interessant

Trotzdem ist der Grund für diese drastische Verschlechterung nicht klar, folglich ist auch noch keine Behandlung möglich. Abends fragen ihn die Ärzte, ob er seine Familie informieren wolle, weil er die Nacht eventuell nicht überleben würde.

Auch interessant

Er beschließt, niemanden anzurufen: „Was ist, wenn ich es doch packe? Dann habe ich alle umsonst verrückt gemacht!“ In der Nacht, in der er sich verzweifelt gegen das Einschlafen wehrt, hat er eine Nahtod-Erfahrung und sieht sich selbst von oben im Bett liegen. Es fühlt sich gut an und als ob jemand fragen würde, ob er gehen wolle oder nicht. Aber Lukas Paulus will mit 21 Jahren noch nicht gehen.

Schwere Autoimmunerkrankung

Eine Nierenbiopsie ergibt eine schwere Form von „membranöser Glomerulonephritis“ – eine Autoimmunkrankheit, die bei ihm zu einem kompletten Nierenversagen führen wird. Nicht aufgeben bedeutet für Lukas Paulus jedoch, dass er zwar ab sofort seinen Alltag, aber nicht seine Lebensqualität von dieser Diagnose abhängig machen will. Weil er seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, beginnt er nach Monaten im Krankenhaus ein Lehramts-

Auch interessant

Tipps und Telefonnummer für die Coronakrise.
Von Sarina Pohl, Melanie Matuschek und Boris Schopper

Studium in Kassel und finanziert das durch Aushilfen im Hallenberger Rewe-Markt. Auf einem Festival lernt er seine jetzige Lebensgefährtin Romina kennen. Einer ihrer ersten gemeinsamen Ausflüge …. nicht zum verliebten Wochenende nach Paris, sondern zur zweiten Chemotherapie, der noch drei weitere folgen werden.

Zukunft planen

Trotzdem planen die beiden angehenden Pädagogen ihre Zukunft, arbeiten an Schulen in Battenberg und Goddelsheim, bauen Lukas´ Elternhaus um, unternehmen Reisen und gründen eine Familie. Die Begleiterscheinungen der Krankheit sind u.a. extreme Müdigkeit, Herz-Kreislauf-Probleme, Krampf- und Gichtanfälle, eine Schilddrüsenerkrankung und Neurodermitis. Es gibt Tage, da kann Lukas vor Schmerzen und Abgeschlagenheit nicht aufstehen.

Auch interessant

Als im Sommer 2018 die Wehen vor der Geburt von Tochter Ilvie einsetzen, ist er derjenige, der im Kreißsaal abbaut. Aber er kämpft weiter, für sich, seine Frau und sein Kind – und das mit einer unfassbaren Energie und ansteckenden Lebensfreude: „Es ist so wichtig, nicht stehen zu bleiben und sich einfach nur zwischen Bett und Sofa hin- und her zu bewegen. Stillstand ist das Aus.

Auf den ersten Blick sieht man Lukas Paulus seine Nierenerkrankung nicht an. Zusammen mit seiner Frau Romina und ihrer Tochter Ilvie macht die kleine Familie das Beste aus ihrem gemeinsamen Leben.   
Auf den ersten Blick sieht man Lukas Paulus seine Nierenerkrankung nicht an. Zusammen mit seiner Frau Romina und ihrer Tochter Ilvie macht die kleine Familie das Beste aus ihrem gemeinsamen Leben.    © wp | Rita Maurer

Im September 2018 sind seine Nieren am Ende, ohne Dialyse geht es nicht mehr. Ilvie ist da gerade zwei Wochen alt. Um nicht mehrmals wöchentlich stundenlang an Geräten liegen zu müssen, entscheidet er sich für eine sogenannte Peritoneal-Dialyse, bei der operativ ein Schlauch in das Bauchfell gelegt wird, um das Blut dort zu filtern.

Plan einer Lebendspende scheitert

Hierfür muss er viermal täglich selbst unter strengen Hygienebedingungen eine sterile Lösung über den Schlauch einfüllen und vier bis sechs Stunden später wieder ablassen.

Auch interessant

Diese Art der Dialyse funktioniert im Schnitt nur acht Jahre, danach ist das Bauchfell aufgebraucht und Lukas müsste dreimal pro Woche an eine Maschine im Krankenhaus angeschlossen werden. Gleichzeitig wird er auf die Liste für Organspenden gesetzt – mit einer durchschnittlichen Wartezeit von 6,5 Jahren. Der Plan einer Lebendspende seiner Tante scheitert an deren Diabetes-Erkrankung. Von anderen möchte Lukas keine Niere annehmen: „Man kann niemals vorhersehen, was eine solche Lebendspende aus psychischer Sicht für den Spender bedeutet. Und ich möchte nicht das Gefühl haben, von jemanden abhängig zu sein, weil er/sie mir eine Niere geschenkt hat. Wie soll man ein solches Geschenk auch nur ansatzweise aufwiegen?

Auch interessant

Dafür benötigen beide Parteien einen enorm weiten ethischen Horizont, damit eine solche Thematik auch im größten Streit keine Rolle spielt!“

Stichwort Niere

Die beiden an der Wirbelsäule liegenden Nieren entfernen Abfallstoffe aus dem Blut und scheiden sie über die Harnblase aus.

Innerhalb jeder Minute fließt bei gesunden Menschen über ein Liter Blut zum Filtern hindurch.

Die Niere ist das am häufigsten für eine Transplantation benötigte Organ.

In Deutschland werden im Durchschnitt etwa 2000 Nieren pro Jahr transplantiert, davon rund 600 nach einer Lebendspende.

Dem gegenüber stehen 7500 Menschen auf der Warteliste, jährlich kommen 2600 hinzu.

Der Alltag mit Familie, Uni, seiner Arbeit als Lehrer und den zahlreichen Krankenhausaufenthalten übersteigt irgendwann dann doch seine Kräfte. Als sich die Möglichkeit ergibt, stundenweise Brauerei-Führungen und Seminare in der neuen Hallenberger Brauerei zu leiten, strukturiert Lukas seinen Alltag neu. Schule, seine Band und andere Sachen müssen weichen, damit er sich nicht überlastet und genügend Zeit für wesentlichere Dinge wie vor allem seine Familie findet.

Corona verschärft die Situation

Seit einigen Wochen hat sich der Alltag nun weiter verschärft: Lukas Paulus gehört zur besonders vom Coronavirus gefährdeten Zielgruppe. Romina wird von ihrer Schule sofort freigestellt – die vielen Schüler-Kontakte sind zu gefährlich.

Auch interessant

Noch nicht mal die Omas und Opas dürfen kommen, denn Klein-Ilvie wäre nicht klar zu machen, dass sie nicht wie sonst auf den Arm könnte. Das Haus darf keiner außer der dreiköpfigen Familie mehr betreten. Das WP-Gespräch konnte nur durch das gute Wetter mit fünf Meter Sicherheitsabstand draußen stattfinden.

Die tägliche Tablettenmenge im Vergleich zu einer Heidelbeere.     
Die tägliche Tablettenmenge im Vergleich zu einer Heidelbeere.      © wp | Rita Maurer

Mittendrin klingelt das Telefon. Die Uniklinik Marburg ist dran – mit einer guten und einer schlechten Nachricht. Die Medikamenten-Versorgung ist für die nächsten Wochen sichergestellt: Bis zu 30 verschiedene Tabletten muss Lukas jeden Tag nehmen. Desinfektionslösung für die Heimdialyse ist zwar da, aber keine Flaschen dafür. Diese kommen aus China und werden vom Zoll erst einmal beschlagnahmt.

Dann die Frage nach einem Besuch der Großeltern, die Ilvie so vermisst: „Nein, auf gar keinen Fall, selbst mit Mundschutz und Handschuhen nicht. Du bist kein Risiko-, sondern ein Hochrisiko-Patient!“ Die Klinik will einen Passierschein schicken, falls es eine Ausgangssperre geben sollte. Damit dürfte Lukas Paulus weiter zu seinen Untersuchungen fahren: „Mein Leben ist zwar komplizierter, aber dafür bestimmt länger bei den ständigen Komplett-Checks, vor denen man sich normalerweise drücken würde!“

Regelmäßig zu Konzerten

Aber dieses Leben genießt er trotzdem.

Auch interessant

Als begeisterter Musikliebhaber besucht er regelmäßig Konzerte – auch wenn dabei gewährleistet sein muss, dass der Veranstalter ihm einen separaten Ort für die Dialysen stellt. Was für viele eine Riesenhürde wäre, sieht er als Privileg: „Dadurch durfte ich schon „Die Ärzte“ in einem kleinen Club als einziger Gast beim Soundcheck sehen – wer erlebt das sonst! Wenn man sich an seine fünf schönsten Momente im Leben erinnern soll, waren das garantiert nicht die, in denen man allein vor sich hin gejammert hat. Meine Krankheit ist zu 80 Prozent Kopfsache. Sie hat mir durch den bewussteren Umgang so viel Sinn gegeben, den ich früher nicht gespürt habe. Da lag mir die Welt zu Füßen, aber ich habe es nicht genutzt. Jetzt ist einiges komplizierter, aber mein Kopf ist viel freier, ich sehe seitdem Kleinigkeiten, die das Leben bunter und schöner machen. Da lassen wir uns jetzt von Corona auch nicht unterkriegen.“

Auch interessant

Was kann Lukas Paulus seinen Mitmenschen mit auf den Weg geben: „Füllt einen Organspende-Ausweis aus und schließt so früh wie möglich eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Ansonsten nehmt das Leben, wie es kommt. Es findet sich garantiert in allem etwas Gutes, manchmal muss man nur genauer hingucken.“