Winterberg. Neun Sauerländer fahren Anfang März nach Ischgl. Dort werden sie mit dem Coronavirus infiziert. Später wird ihr verhalten als vorbildlich gelobt.

Der Skiurlaub stand schon lange fest. Seit Jahren fährt eine Gruppe von Hildfelder Männern, einer Ortschaft von Winterberg, aus den verschiedensten Altersgruppen zwischen 20 und 50 Jahren gemeinsam zum Skifahren.

Nach Ischgl in Tirol sollte es in diesem Jahr mit neun Leuten gehen und zwar vom 7. bis zum 14. März. Coronavirus – ja, darüber wurde im Vorfeld gesprochen, aber in Österreich schien alles noch beruhigend weit genug weg zu sein.

Als die Hildfelder am Samstag in Ischgl ankommen, besuchen sie nach dem Skifahren auch kurz die Aprés-Skibar „Kitzloch“ – jenes Lokal, von dem inzwischen vermutet wird, dass hier die Corona-Welle unter den Skiurlaubern durch einen infizierten Mitarbeiter ihren Anfang nahm. Dieser Mitarbeiter wird genau an diesem Samstag positiv auf das Coronavirus getestet, doch die örtlichen Gesundheits-Behörden erklären es für „unwahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist“. So verbringen die Hildfelder einige unbeschwerte Tage auf den Pisten mit fröhlichem Abschluss in verschiedenen Aprés-Skibars – Skiurlaub wie immer eben.

Auch interessant

Erster Husten noch im Urlaub

Ab Mittwoch stellt sich dann bei den ersten Husten ein und es folgen teilweise auch Gliederschmerzen. Am Tag vorher sind das „Kitzloch“ und weitere Lokale wegen infizierter Mitarbeiter gesperrt worden – Menschen, mit denen die Sauerländer teilweise auch bei Bestellungen direkten Kontakt hatten. Als sie dann von einer Kellnerin aus einer anderen Bar erfahren, dass dort ebenfalls Kolleginnen positiv auf Corona getestet wurden, ist ihnen klar: „Uns muss es auch erwischt haben.“

Auch interessant

Anruf bei Hotlines in Deutschland und Österreich

Deshalb beginnen sie am Donnerstag sofort, verschiedene Hotlines in Österreich und Deutschland sowie das zuständige Gesundheitsamt abzutelefonieren, um an Infos und eine Testmöglichkeit zu gelangen. Keine Chance, entweder kommen sie erst gar nicht durch oder erhalten die Antwort, dass sie keinen Test erhalten werden – mit der Begründung, dass sie sich nicht in einem Risikogebiet befänden. Auch die Partnerinnen zuhause werden eingeschaltet, haben aber ebenfalls keinen Erfolg.

Auch interessant

Der Urlaub wird vorzeitig abgebrochen

Am Abend verkündet Tirol das vorzeitige Ende der Skisaison, will aber das Wochenendgeschäft noch mitnehmen und die Skigebiete bis Montag auflassen.

Traumhaft schöne Landschaft. Dort aber steckten sich die Sauerländer mit dem Coronavirus an.
Traumhaft schöne Landschaft. Dort aber steckten sich die Sauerländer mit dem Coronavirus an. © Privat

Am Freitag telefoniert die neun Urlauber wieder stundenlang, erreichen aber weiter nichts: „Wir sind einfach keinen Schritt weiter gekommen. Da hat man wirklich gemerkt, dass die deutschen Behörden nicht gut auf die Situation vorbereitet sind und man uns ziemlich alleine lässt.“ Als sie dann auch noch im Radio hören, dass das Paznaun-Tal, wo sie sind, gesperrt werden soll und Tirol nun doch als Risikogebiet deklariert ist, beschließen sie, sofort ihren Urlaub abzubrechen und mit ihrem Bulli zurückzufahren.

Gruppe meidet Gasthöfe – Pause an Parkplätzen

Unterwegs betreten sie bewusst keine Rasthöfe, sondern machen nur kurz Pause auf Parkplätzen, wo keine anderen Menschen in ihrer Nähe sind. Ihr Plan ist, sich in Hildfeld umgehend in eine freiwillige Quarantäne zu begeben, um niemanden sonst in Gefahr zu bringen.

Auch interessant

Weil einige zuhause mit anderen Familienmitgliedern zusammenwohnen, werden sie bei anderen Urlaubskollegen mit eigenen Wohnungen einquartiert. Ihre Eltern, Frauen und Freundinnen bereiten inzwischen insgesamt drei Wohnungen vor und kaufen ein, so dass alles fertig ist, als die Hildfelder mitten in der Nacht ohne Kontakte zu weiteren Angehörigen oder Anwohnern zuhause ankommen und direkt den Schlüssel hinter sich herumdrehen.

Termin im Krankenhaus Brilon

Während der Fahrt und auch am Samstag geht die Telefoniererei an verschiedenen Stellen erfolglos weiter – bis die neun Rückkehrer schließlich um 11 Uhr einen Termin im Krankenhaus Brilon bekommen. Dorthin fahren sie in ihrem Bulli gemeinsam, werden professionell in Empfang genommen, mit Mundschutz versehen und dann endlich getestet. Am Sonntagabend klingelt um 21.30 Uhr das Telefon, ein Arzt aus Brilon ist dran und bestätigt die Vermutungen: „Jeder von Ihnen ist mit Corona infiziert!“

Auch interessant

Zum Glück ein milder Coronaverlauf für alle

Seitdem heißt es für alle, den Tag innerhalb ihrer vier Wände zum Abend zu bringen. Gesundheitlich geht es zum Glück allen außer ein wenig Husten und Gliederschmerzen recht gut. Morgens wird gemeinsam gefrühstückt, aufgeräumt, manchmal etwas gespielt, der eine übt auf seinem Instrument, der andere erledigt Bürokram für seine Hobbys wie Schützenbruderschaft, Fußballverein oder Feuerwehr. Manchmal kommen Angehörige und Freunde vorbei und winken durch die geschlossenen Fensterscheiben. Viele Dorfbewohner schicken positive Nachrichten mit Zuspruch und Aufmunterungen. Lebensmittel und andere nötigen Dinge werden auf Zuruf vor die Türen gestellt.

Kohorten-Isolierung

Auch interessant

Am Montag kommt dann auch der Kontakt mit dem Gesundheitsamt zustande, das ihnen genaue Verhaltensregeln für die bevorstehenden zwei Wochen „Kohorten-Isolierung“ gibt, wie die Quarantäne für eine größere Gruppe von Infizierten fachmännisch bezeichnet wird. Mit inbegriffen: Ein dickes Lob von offizieller Stelle dafür, dass sich die Reisegruppe von sich aus so verantwortungsvoll verhalten hat!

Gruppe wehrt sich gegen Gerüchte

Deshalb finden die neun Hildfelder es umso trauriger, dass dennoch ein frei erfundenes Gerücht in den sozialen Medien verbreitet wird.

Auch interessant

Der selbstständig tätige Friseur Kai Padberg aus ihrer Gruppe soll angeblich nach seiner Rückkehr noch Kunden bedient haben: „Das stimmt definitiv nicht. Die Leute, die so etwas in Umlauf bringen, machen sich gar keine Gedanken darüber, dass man mit solchem Gerede eine Existenz kaputt machen kann. Jeder kann sich mit dem Virus infizieren; wir sind bestimmt nicht stolz darauf. Aber unser Handeln danach war absolut richtig, jeder bestätigt uns dieses auch. Das sollte von allen Leuten so respektiert werden.“