Altkreis Brilon/Bestwig. In der Rush-Hour durch Bestwig, das ist kein Vergnügen. Ulrich Bork nimmt die T(ort)our seit 41 Jahren auf sich. Was ändert sich für Pendler?
Wenn es mal wieder nur im Stop and Go voran geht, ergibt sich Ulrich Bork dem Unvermeidlichen: „Ich habe aufgehört, mich aufzuregen.“ Seit 41 Jahren fährt der Wülfter auf dem Weg zu seiner Dienststelle im Kreishaus Meschede durch Bestwig. „Wenn’ super läuft“, sagt er, seien die 30 Kilometer in 32 Minuten zu schaffen. Oft genug kommt aber eine viertel Stunde drauf. Der Grund: das Nadelöhr Bestwig.
Der für Kultur und Zentrale Dienste bei der Kreisverwaltung verantwortliche Fachbereichsleiter gehört zum Heer der Pendler, das dem 18. November mit besonderer Erwartung entgegen sieht.
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Nach zehnjähriger Bauzeit werden die 5,6 Kilometer A46 bis zum Schlinksiepenkopf sowie der 2,8 km lange Zubringer an der Knickhütte bei Bigge für den Verkehr freigegeben. Rund dreieinhalb Minuten bis vier Minuten dürfte die Fahrt über das neue Teilstück dauern.
Allmorgendlich und zum Feierabend hin zieht sich eine schier endlose Blechlawine durch Velmede, Bestwig und Nuttlar. Der Berufsverkehr macht einen Großteil der 19.776 Kraftfahrzeuge aus, die Straßen.NRW für den zentralen Teil der Strecke, den Abschnitt zwischen dem Abzweig nach Ramsbeck und dem nach Ostwig, für 24 Stunden ermittelte. Eine Verkehrserhebung für eine „Spitzenstunde“, so Straßen.NRW-Sprecher Oscar Santos gebe es nicht. Was man jedoch sagen könne: Mit der Freigabe des A46-Endstücks reduziere sich der Verkehr durch Bestwig auf rund 9.500 Fahrzeuge in 24 Stunden.
Dann darf aber nicht jeder Berufspendler so denken wie Ulrich Bork. Er habe schon überlegt, künftig weiterhin durch Bestwig zu fahren - „Denn der Verkehr wird ja weniger.“
Das gilt zumindest für den Durchgangsverkehr. Aber da sind ja auch noch die Eltern, die ihre Kinder zu Schulen und Kindergärten bringen. Deshalb versucht Ulrich Bork auch, „um halb acht da durch zu seien“.
Pendlerströme treffen aufeinander
Zur Rush-Hour kommt einiges zusammen. Da vereinigen sich am Zusammenfluss von B7 und B480 zwischen Antfeld und Nuttlar die 155 Pendler aus dem Raum Marsberg und die 698, die aus dem Raum Brilon nach Meschede oder nach Arnsberg wollen mit den 1272 Berufstätigen, die aus dem Raum Olsberg in die gleiche Richtung unterwegs sind und die dabei noch 181 Pendler aus Medebach, 72 aus Winterberg und 25 aus Hallenberg zur Autobahn im Schlepp haben.
In Gegenrichtung, also ins Hochsauerland hinein, sind es laut dieser Statistik weniger. Wobei IT.NRW in seiner Statistik für jede Kommune nur die 15 stärksten Pendlerströme berücksichtigt hat.
Verkehrsabhängige Ampelschaltung
Aber es sind nicht nur die Ampeln, die den Verkehr stocken lassen. Auch die vielen Linksabbieger sorgen dafür, dass sich hinter ihnen der Verkehr staut. Die im Sinne des flüssigen Gegenverkehrs durchzulassen, ist zwar rücksichtsvoll und gut gemeint - aus verkehrstechnischer Sicht allerdings kontraproduktiv, wie Straßen.NRW-Sprecher Oscar Santos sagt, denn: „Die Ampeln sind alle verkehrsabhängig geschaltet.“
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Es gibt keine festen Schaltrhythmen, sondern Taktgeber für den Lichtwechsel sind die Induktionsschleifen, die im Abstand von 20 Meter im Asphalt liegen. Sollten die in einer bestimmten Zeitspanne nicht beide befahren werden, signalisiert das der Ampelsteuerung, dass kein Bedarf mehr an Grün besteht und die Ampel springt um. Und dieser Abstand zum Vordermann, so Santos, werde oft durch die Gefälligkeit für den Gegenverkehr erreicht.
Urlauber nehmen Stau offenbar gelassen hin
Dass die Entlastung von Bestwig nicht automatisch auch eine Verbesserung für die Urlauber bedeutet, sagt der Winterberger Touristik-Chef Michael Beckmann. Da sei eine bereits bei Meschede und über Schmallenberg zur Asten-Region ansetzende große Lösung anzudenken. Bei einer Verkehrszählung am 17. Februar seien an der Ruhrquelle 13.600 Fahrzeuge gezählt worden, davon waren 9.300 in Richtung Olsberg unterwegs. Er befürchtet, dass auch künftig die Abfahrt von der Autobahn auf die Bundesstraße für Staus sorgen wird - nur jetzt eben an der Knickhütte. Wobei aus den Orten hier mehr Kritik am Verkehr kommt als von den Urlaubern selbst. Beckmann jedenfalls habe zu seiner eigenen Überraschung noch keine Klagen vernommen, nicht einmal negative Kommentare in den sozialen Medien. Ihm schwant auch warum: „Die meisten kommen aus der Rhein-, Ruhr-Region. Da gehört der Stau offenbar zum Lebensgefühl.“
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Buket Cebe, Verkehrspsychologin aus Brilon, hat einen guten Rat: „Akzeptanz. Es kommt auf die innere Haltung an. Wer mit der Realität im Kampf liegt, empfindet Belastungen und Stress stärker.“ Und das gilt nicht nur für den Stau, sondern für das ganze Leben.
Eine Testfahrt zur morgendlichen Rush-Hour
Wir haben einmal den Selbstversuch gemacht: Ein Werktagmorgen von der A46 nach Brilon:
Runter von der Autobahn und von weitem schon zu sehen: die Ampel an der Einmündung auf die B7, die Ampel Nr. 1 von 12, zeigt rot. Langsam rollt der Wagen aus. Und stop. Nach 30 Sekunden grün. Und weiter geht’s. Aber nicht allzu lange. Am Ortseingang von Velmede stockt es.
Das liegt an Ampel Nr. 2 an der Kreuzung nach Föckinghausen. Die abfallende Straße ermöglicht einen Blick auf die Autoschlange. Sie ist lang, sehr lang. Und kommt nur langsam vorwärts. Immerhin: Es reicht für die nächste Grünphase. Und das - o Wunder - soll so bleiben.
Ampel Nr. 3 bei der Esso kommt in Sicht, eine Fußgängerampel. 20, 30 m voraus biegt ein Bus in die Haltestelle. Glück gehabt, das Aussteigen der Fahrgäste dauert - und die Grünphase auch.
Ampel Nr. 4, an der Grimmestraße, auch eine wegen der Fußgänger. Aber von denen ist keiner dort unterwegs - grün.
Nach 5:30 min Fahrt das Ortsschild Bestwig, und es taucht auf die „Dreifache Kombination“ am Bahnhof. Ampel Nr. 5 hat Pause, alle Felder sind dunkel. Sie ist eine von vier Bahn-Bedarfsampeln. Die werden nur in Betrieb genommen, wenn sich ein Zug nähert. So wird der vorfahrtsberechtigte Verkehr auf der Bundesstraße gestoppt, um den Bahnübergang frei zu bekommen.
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Wenige Meter weiter Ampel Nr. 6, die Fußgängerampel am Bahnhof. Kein Zug, kaum Passanten - grün. Und auch am Abzweig nach Ramsbeck meint es Ampel Nr. 7 gut mit dem Testfahrer - grün. Und so geht es weiter. Ampel Nr. 8 am Lidl - grün. Da will Ampel Nr. 9 am alten Aldi an der Kreuzung zum Bergkloster nicht nachstehen - grün.
Und dann, nach 8:02 min Fahrtzeit, passiert es doch: Rot-Stau an Ampel Nr. 10, am Abzweig nach Elpe.
Nuttlar erreicht. Freie Fahrt, auch diesmal ist kein Zug unterwegs. Hier gibt es oft bei den Linksabbiegern, die ein Stück oberhalb von Schneider-Korn nach links Dorf oder die „Rennstrecke“rauf Richtung Warstein wollen, oft Rückstaus, wenn man Pech, hat sogar bis Bestwig. Aus Sorge, den Bahnübergang nicht schnell genug frei zu bekommen, bleiben die Schranken unten, bis ein Zugpaar durch ist. Das kann bis zu zehn Minuten dauern. Noch in diesem Jahr soll dort eine Bedarfsampel installiert werden wie Ampel Nr. 11 auf der Strecke - am Dümel kurz vor dem Ortsausgang. Auch hier ist weiter alles im grünen Bereich. In Sicht kommt die Bermecke-Brücke, der Zubringer zur Autobahn.
Und von weitem schon zu erkennen: Ampel Nr. 12 steht ebenfalls auf Grün. Aber nicht mehr lange. Auf Höhe der Abbiegespur Richtung Winterberg kommt Gelb. Manch einer hätte hier noch Gas gegeben...
11:58 min hat die Fahrt gedauert. Ein prima Wert für den morgendlichen Berufsverkehr. Und wenn man der Strichliste trauen kann: rund 300 Fahrzeuge waren in Gegenrichtung unterwegs. Wie viele davon demnächst die Autobahn nehmen?
Übrigens: Nachts lässt sich die Strecke in unter acht Minuten schaffen.