Brilon. Sechs Stunden lang zogen am Donnerstag die Verteidiger in dem Verfahren gegen einen ehemaligen Betreuer die prozesstaktischen Register.

Was ihn antreibe, sagte Dr. Patrick Gau einmal in einem Interview, sei „die Liebe zum Strafrecht“! Das „Messen mit den Ermittlungsbehörden“ bereite ihm „tierischen Spaß“: Am Donnerstag muss der smarte Jurist aus Dortmund voll auf seine Kosten gekommen sein. Denn geschlagene sechs Stunden beschäftigte er das Schöffengericht unter Vorsitz von Dietmar Härtel mit Befangenheits- und Beweisanträgen, mit Beweisanregungen, Erklärungen und Beschwerden.

Gleich drei Anwälte eskortierten den 54 Jahre alten Angeklagten. Im November vergangenen Jahres hatte der sich in selbiger Sache an gleicher Stelle schon einmal zu verantworten gehabt. Vorwurf: Er soll einem heute 61 Jahre alten Mann aus dem Südkreis, um den er sich zunächst als ehrenamtlicher Betreuer und später per Vorsorgevollmacht kümmerte, um insgesamt 102.398,32 Euro betrogen haben. Vor Jahresfrist hatte das Schöffengericht unter Vorsitz von Amtsgerichtsdirektor Hans-Werner Schwens das Verfahren an das Landgericht Arnsberg verwiesen. Grund: Das Gericht hatte den Eindruck gewonnen, dass die drohende Haftstrafe den von einem Schöffengericht verhängbaren Rahmen von vier Jahren überschreiten würde.

Das sah das Landgericht jedoch anders und verwies das Verfahren an das Schöffengericht in Brilon zurück. Das brauchte aber einen neuen Vorsitzenden Richter. Denn auf Antrag der Verteidigung hatte das Landgericht Hans-Werner Schwens im Frühsommer für befangen erklärt. Das war der neuen Verteidigung - neben Pflichtverteidiger Otto Entrup (Meschede) sind das die beiden in einer Kanzlei tätigen Anwälte Dr. Patrick Grau und Thorsten Hönnscheidt aus Dortmund - zum Prozessauftakt am Donnerstag auch wieder nicht recht.

Antrag 1: Falscher Richter

Denn der Befangenheitsantrag sei von dem Pflichtverteidiger gestellt worden, nicht von dem Angeklagten, sagten sie. Das Landgericht habe mit seiner Entscheidung deshalb ihrem Mandanten seinen „gesetzlichen Richter entzogen“ - das sei deshalb nach wie vor der Amtsgerichtsdirektor. Als Richter Härtel den Pflichtverteidiger fragte, ob dies mit ihm abgesprochen sei, war der völlig baff: „Das muss ich erstmal sacken lassen.“ Das Gericht jedenfalls lehnte den Antrag, das Verfahren wegen dieser Formalie einzustellen, ab. Da in dem Antrag immer von „wir“ die Rede sei, spreche der Verteidiger für den Angeklagten mit.

Antrag 2: Verfahren aussetzen

Worauf prompt der zweite Antrag folgte: das Verfahren bis zum nächsten Verhandlungstag am 10. Oktober auszusetzen. Grund: Der Verteidigung sei zu Unrecht Akteneinsicht verweigert worden. Dabei ging es um ein Konvolut von rund 120 Seiten, um das die bis Frühsommer bereits rund 850 Seiten dicke Akte weiter gewachsen war. Die Akteneinsicht hatten Dr. Gau und sein Kollege am vergangenen Freitag beim Amtsgericht beantragt und um einen Satz Kopien gebeten - per Fax um 16.51 Uhr. Richter Härtel: „Da war hier keiner mehr.“ Am Montag hatte das Gericht den Anwälten mitgeteilt, dass sie die Akten in Brilon einsehen und kopieren könnten. Davon machten sie jedoch keinen Gebrauch. Den Einwand, terminlich verhindert gewesen zu sein, ließ das Gericht nicht gelten. Man hätte ja einen Mitarbeiter herschicken oder den Pflichtverteidiger aus Meschede damit betrauen können. Auch diesen Antrag wies das Gericht nach halbstündiger Beratung zurück.

Antrag 3: Befangenheit

Worauf Dr. Gau stante pede einen Befangenheits-Antrag gegen den Vorsitzenden Richter stellte. Begründung: Er habe durch sein Verhalten zu erkennen gegeben, dass ein faires, transparentes Verfahren nicht zu erwarten sei. Erschwerend zu der versagten Akteneinsicht käme die „kurzfristige Vorverlegung“ des Sitzungstermins hinzu. Die hat es in der Tat gegeben - von 9 auf 8 Uhr. Eine Stunde zog sich das Schöffengericht zur Beratung zurück. Dann die Entscheidung: Der Antrag werde „als offensichtlich rechtsmissbräuchlich verworfen“. Die Steilvorlage dazu hatte Dr. Gau selbst geliefert: Als ihm Richter Härtel die besagte Akte nämlich zur Einsicht hinüberreichte, wies der Verteidiger sie zurück. Was Richter Härtel exakt so in seinem Beschluss notieren ließ.

Antrag 4: Weiterer Gutachter

Worauf der zweite Wahlverteidiger, Thorsten Hönnscheidt „mal weitermachen“ wollte. Er stellten den Antrag, von einem Kieler Psychologen die Glaubwürdigkeit des Geschädigten begutachten zu lassen und das Verfahren bis dahin auszusetzen. Denn der 61-Jährige leidet infolge exzessiven Alkoholmissbrauchs an dem sog. Korsakow-Syndrom,. Das wiederum kann die Geschäftsfähigkeit und die Aussagetüchtigkeit beeinträchtigen. Hönnscheidt verlas eine fünfseitige Expertise, die das Rechtspsychologische Zentrum Bochum auf Antrag der Verteidigung Anfang September erstellt hatte. Phasenweise sei das Gedächtnis eingeschränkt, Erinnerungslücken würden durch freie Erfindungen gefüllt. Insgesamt sei „von einer nicht hinreichenden Aussagetüchtigkeit auszugehen“. In der persönlichen Beziehung zwischen dem Betreuer und dem Klienten sei es mit der Zeit zum Zerwürfnis gekommen, ein „etwas unentwirrbares Hin und her“. Das alles könnte sowohl zu einer bewussten wie auch zu einer irrtümlichen Falschaussage geführt haben. Kurzum: Die Glaubwürdigkeit des Geschädigten könne nicht bestätigt werden. Nach dreiviertelstündiger Beratung wies das Gericht den Antrag ab, schlug aber vor, dass der in der Verhandlung anwesende psychiatrische Gutachter, Dr. Joachim Scholz, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes beim HSK, das bis zum nächsten Verhandlungstag machen und den Geschädigten bei seiner neuerlichen Vernehmung begutachten könne.

Antrag 5: Gutachter ablehnen

Damit war die Verteidigung nicht einverstanden. Sie lehnte Dr. Scholz ab, da er Psychiater und nicht Psychologe sei und deshalb nicht über die erforderliche Fachkompetenz verfüge. Darauf ging das Gericht nach fast dreiviertelstündiger weiterer Beratung teilweise ein und schlug vor, eine Forensische Sachverständige aus Braunschweig zu den weiteren Prozesstagen hinzuzuziehen.

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Nach einer weiteren Verhandlungspause, in der der Vorsitzende Richter im Saal nebenan eine Familiengerichtliche Verhandlung wahrnehmen musste, ging der Prozess mit dem Verlesen von Dokumenten und Schriftverkehr aus der Zeit, in der der Angeklagte sich um den Geschädigten kümmerte, weiter.

Wie hatte Dr. Gau doch noch in einem Interview gesagt? „Ich kann nur Strafrecht, aber manche sagen, das ziemlich gut.“