Medebach/Winterberg/Arnsberg. Trägt eine Sozialarbeiterin Mitschuld am Tod eines Kindes? Um diese Frage geht es im Berufungsverfahren gegen eine Mitarbeiterin des Jugendamtes.
Das Verfahren hat vor fast zwei Jahren hohe Wellen geschlagen. Eine damals 29-jährige Mitarbeiterin des HSK-Jugendamtes wurde nach vier Verhandlungstagen am Amtsgericht Medebach wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Außerdem sollte sie 4200 Euro an das westfälische Kinderdorf zahlen. Dem Verteidiger war der Richterspruch zu hart, dem Staatsanwalt zu milde; er hatte sogar neun Monate gefordert. Beide legten Veto ein. Jetzt hat die Kleine Strafkammer am Landgericht Arnsberg gleich sechs Verhandlungstermine für das Berufungsverfahren festgelegt. Am 8. Oktober soll es losgehen.
Kind starb an Unterversorgung
Im konkreten Fall hatte die Sozialarbeiterin 2013/2014 eine Frau mit damals neun Kindern im Raum Winterberg betreut (auch hier gibt es Neuigkeiten). Ein zweijähriger Junge starb an Unterversorgung, seine jüngere Schwester konnte noch gerettet werden. Das Amtsgericht kam zu dem Schluss, dass die Mitarbeiterin des Jugendamtes ihren Kontrollpflichten nicht hinreichend nachgekommen sei und sie „durch grob-fahrlässige Untätigkeit“ eine Mitschuld am Tod bzw. am Leid der Kinder trage. Richter Fischer ging damals scharf mit der Institution Jugendamt ins Gericht. In den Kreisen Grafschaft Bentheim und im Vogtlandkreis, wo die Familie vor dem Umzug ins Sauerland gelebt hatte, habe man – anders als im HSK - „das staatliche Wächteramt für den Schutz der Kinder ernst genommen“.
Staatsanwalt sieht Mitschuld
Staatsanwalt Klaus Neulken hatte damals in seinem Plädoyer betont, dass für den Tod des Jungen und das Leid der Schwester in erster Linie die Mutter verantwortlich sei. Die Sozialarbeiterin habe aber die Pflicht gehabt, sich um die Familie zu kümmern und diese sträflich vernachlässigt.
Jugendamt umstrukturiert
Verteidiger Thomas Mörsberger, der auch den Prozess um die inzwischen zehnfache Mutter vor dem Landgericht Arnsberg fast täglich mitverfolgt hat, hatte für das Medebacher Urteil nur Kopfschütteln übrig und noch im Gerichtssaal Rechtsmittel angekündigt. „Es gibt grobe Rechtsfehler und Einschätzungen des Gerichtes, die absolut nicht nachvollziehbar sind. Hier wurde ein Sündenbock gesucht“, sagte er damals.
Umstrukturierungen beim Jugendamt
Beim Hochsauerlandkreis hat der Vorfall einiges in Gang gesetzt: U.a. wurde das Landesjugendamt eingeschaltet, um sich die Organisationsstrukturen des HSK-Jugendamtes anzusehen. Mittlerweile, so Kreissprecher Martin Reuther, seien zusätzliche Stellen geschaffen worden. Auch wurde der Vorschlag, das Jugendamt zu zentralisieren, umgesetzt. Aus früher acht Standorten wurden drei Regionalteams gebildet, Und zwar „Team West“ mit Sitz in Meschede (zuständig für Eslohe, Bestwig, Meschede) „Team Ost“ mit Sitz in Brilon (zuständig für Brilon und Marsberg) sowie „Team Mitte“, das derzeit noch zwei Standorte in Olsberg und Medebach hat. Wahrscheinlich, so Martin Reuther, werde das „Team Mitte“ seinen Standort in Winterberg beziehen und von dort für Olsberg, Medebach, Hallenberg und Winterberg zuständig sein. Durch die Zusammenlegungen soll u.a. ein besserer Austausch unter den Mitarbeitern ermöglicht werden.
Urteil mit Signalwirkung
Das Berufungsverfahren dürfte auf großes Interesse stoßen - bei Medien und bei anderen Jugendämtern. „Es kommt relativ selten vor, dass für ein Berufungsverfahren sechs Verhandlungstage anberaumt werden“, sagt Landgerichtssprecher Daniel Langesberg. Gerade für andere Jugendämter und deren Arbeit dürfte der Richterspruch eine Signalwirkung haben.
Die beschuldigte Jugendamtsmitarbeiterin des HSK arbeitet unterdessen an anderer Stelle beim Kreis. Damals hatte sie in ihrem Schlusswort vor der Urteilsverkündung gesagt: „Ich bin mit Leib und Seele Sozialarbeiterin. Auch, wenn es immer wieder Rückschläge gibt. Als ich vom Tod des Jungen erfahren habe, war es, als wäre eine Welt zusammengebrochen.“
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