Marsberg/Arnsberg. . Nach dem Tod des Schützenkönigs durch eine explodierende Kanone muss sich einer der drei beschuldigten Schützenbrüder vor Gericht verantworten.
- Staatsanwaltschaft Arnsberg erhebt beim Amtsgericht Marsberg Anklage wegen fahrlässiger Tötung
- Beschuldigter wusste laut Anklage, dass die gezündete Kanone nicht vorschriftsgemäß geladen war
- Verfahren gegen zwei weitere Männer mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt
Das tragische Unglück beim Anböllern des Marsberger Schützenfestes im Jahr 2015 erhält seine juristische Aufarbeitung. Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hat beim Amtsgericht Marsberg gegen einen der drei im Rahmen des Ermittlungen beschuldigten Historischen Schützen Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben. Es handelt sich dabei um den 64 Jahre alten ehemaligen Schießmeister des Kreisschützenbundes Brilon, einen pensionierten Polizeibeamten. Gegen die beiden anderen, 48 und 32 Jahre alt, stellte sie das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts ein.
Anklage stützt sich auch auf Zeugenaussagen und Handyvideos
Die Anklage stützt sich sowohl auf Sachverständigengutachten wie auch auf Zeugenaussagen und Handyvideos. Danach, so Oberstaatsanwalt Thomas Poggel zur WESTFALENPOST, soll der 64-Jährige jene Kanone gezündet haben, von der ein abgesprengtes Metallteil dem König der St.-Magnus-Bruderschaft Niedermarsberg am 11. Juli 2015 beim Anböllern des Hochfestes die tödlichen Bauchverletzungen zugefügt hat.
Kleines Rechtslexikon
Fahrlässige Tötung wird laut § 222 Strafgesetzbuch mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren geahndet.
Amtsgerichte können Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren verhängen.
Aussageverweigerungsrecht steht nicht nur Beschuldigten zu, sondern laut § 55 Strafprozessordnung auch Zeugen, sofern sie sich durch eine Aussage selbst belasten würden.
Der Amtsrichter in Marsberg hat nun über die Zulässigkeit der Anklage zu entscheiden. Fahrlässige Tötung kann laut Strafgesetzbuch mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden. Da die Staatsanwaltschaft die Anklage beim Amtsgericht eingereicht hat, geht sie von einer schuldangemessenen Strafe im Bereich von bis zu zwei Jahren aus. „Sonst hätten wir die Anklage beim Schöffengericht Brilon eingereicht“, so der Leiter der Ermittlungen, Staatsanwalt Klaus Neulken zur WP.
In die Kanone durfte kein Sand geladen werden
Drei Kanonen setzte das Kommando der Historischen Schützen Obermarsberg beim Anböllern des Niedermarsberger Schützenfestes ein, eine große und zwei baugleiche kleinere. Die große hatte Schützenkönig Andre B. (30) selbst per Kabel gezündet – ein Moment, auf den er sich in seinem Grußwort zum Schützenfest so gefreut hatte: Signalisiere das Böllern doch „allen Marsbergern lautstark den Beginn unseres Schützenfestes“.
Die Anklage, so Thomas Poggel, stütze sich „auf die Tatsache, dass der Angeschuldigte wusste, dass bei allen Kanonen Sand als Vorlage benutzt wurde und somit auch die von ihm gezündete Kanone nicht vorschriftsgemäß geladen war“.
Unfall-Rekonstruktionsgutachten eines Ingenieurbüros
Zwar hatte das Unfall-Rekonstruktionsgutachten des Ingenieurbüros Schimmelpfennig & Becke (Münster) bereits im vergangenen Sommer ergeben, dass zuviel Sand zur Verdichtung der Schwarzpulver-Ladung benutzt worden war. Dass Sand allerdings generell als Vorlage nicht hätte genommen werden dürfen, kam erst Anfang dieses Jahres heraus. Oberstaatsanwalt Thomas Poggel: „Nach der Beschussbescheinigung des Landesbetriebes Mess- und Eichverfahren NRW waren 12 Gramm Kork oder andere sehr leichte, weiche, nicht brennbare Materialien als Vorlage zulässig.“ Durch das Verdichten mit Sand, so im Februar der Leiter des Beschussamtes NRW in Köln, Dipl.-Ing. Carsten Menzebach gegenüber der WP, sei die Böllerbescheinigung erloschen.
Männer machen von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch
Der 64-Jährige habe laut Anklage gewusst, dass bei allen Kanonen Sand in die Rohre gefüllt worden war „und somit auch die von ihm gezündete Kanone nicht vorschriftsmäßig geladen war“.
Da alle drei Beteiligten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben, sei, so die Staatsanwaltschaft, nicht festzustellen gewesen, „wer die Kanone, durch deren Explosion die tödlichen Verletzungen hervorgerufen wurden, geladen hatte.“ Doch nur dann hätte die Anklage erweitert werden können. Denn die Explosion der zweiten Kanone spiele für den Tod des Schützenkönigs keine Rolle.
Zivilrechtlichen Aufarbeitung steht auch noch aus
Das sieht bei der zivilrechtlichen Aufarbeitung des Unglücks anders aus. Da, so Rechtsanwalt Andre Iske, haften alle Beteiligten gesamtschuldnerisch. Und auch die St. Peter und Paul-Bruderschaft Obermarsberg, der die Historischen Schützen angehören, nimmt der Jurist in die Pflicht. Andre Iske vertritt die Angehörigen des ums Leben gekommenen Schützenkönig: seine Witwe, seine Eltern und Geschwister.
Iske wie auch sein Briloner Kollege Oliver Brock, der zwei weitere Geschädigte vertritt, erhofft sich durch das Verfahren „Erkenntnisse, was damals wirklich geschah“. Einen Teilerfolg hat Brock bereits erreicht. Eine Versicherung hat einen durch herumfliegende Metallteile verursachten Pkw-Schaden beglichen – „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“. Aber letztlich geht es um ganz andere Summen.
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