Marsberg. . Trauma-Ambulanz in Marsberg bietet ihre Hilfe an, wenn die Bilder nicht mehr aus dem Kopf wollen. Ein Interview mit Dr. Alexandra Dittmann-Balcar.

Manche waren Augenzeuge des tödlichen Unglücks auf dem Marsberger Schützenplatz. Manche sind Freunde, Verwandte, Bekannte des Opfers. Jeder wird seinen Weg finden müssen, mit diesem schrecklichen Ereignis umzugehen. Einige werde es alleine schaffen, einige brauchen Hilfe.

Am Wochenende hatten Fachleute der Psychosozialen Unterstützung (PSU) und Notfallseelsorger ihre helfenden Hände gereicht. Professionelle Hilfe bietet aber auch die Trauma-Ambulanz der LWL-Klinik Marsberg an. Die WP sprach mit Diplom-Psychologin Dr. Alexandra Dittmann-Balcar von der Marsberger Einrichtung.

Dr. Alexandra Dittmann-Balcar
Dr. Alexandra Dittmann-Balcar © WP

Wie haben Sie am Montagmorgen auf das Unglück reagiert?

Dr. Alexandra Dittmann-Balcar: Wir haben uns heute zusammengesetzt und überlegt, was wir machen können und wie wir damit umgehen. Bei uns arbeiten mehrere Berufsgruppen Hand in Hand zusammen: ärztliche Kollegen, Psychologen und Sozialarbeiter. Unser Angebot ist entsprechend breit gefächert. Ärzte können einen Patienten krank schreiben, wenn er sich nicht in der Lage sieht, seinen Berufsalltag zu bewältigen. Es gibt Medikamente, um endlich mal wieder schlafen zu können und Gesprächsangebote. Dabei geht es auch sehr intensiv um die Frage, wie Menschen mit Trauer umgehen und wie man lernen kann, damit zu leben.

Trauer ist keine Krankheit

Wie muss ich mir Trauerbewältigung vorstellen?

Dr. Alexandra Dittmann-Balcar: Zuerst muss man sich darüber im Klaren sein, dass Trauer keine Krankheit ist. Der Betroffene muss lernen, sie zu akzeptieren und sie auszuhalten. Trauer ist ein Ausdruck von Liebe, die ich für einen anderen Menschen empfinde. Wenn ich nicht um einen Menschen trauern würde, dann würde das auch etwas aussagen über die Beziehung, die ich zu ihm gehabt habe. Letztlich gibt es keine Worte, die es besser machen. Das ginge nur, wenn ich das Unglück ungeschehen machen könnte. Manche Familien werden durch so einen Todesfall geeint und gefestigt. Manche zerbrechen daran, weil sie es nicht geschafft haben, gemeinsam mit dem Verlust umzugehen und sie der Sprachlosigkeit das Feld überlassen. Trauerverarbeitung heißt, immer einen neuen Zugang zu der Person, um die man trauert, zu finden. Momentan ist es das völlige Abgeschnittensein. Verarbeitung heißt, den verstorbenen Menschen irgendwo in mir immer wieder zu finden.

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Wenn ich zu Ihnen in die Trauma-Ambulanz komme, treffe ich auf Menschen, die ich nicht kenne. Fällt es einem da leicht, über seine Trauer und seine Gefühle zu reden?

Dr. Alexandra Dittmann-Balcar: Im Alltag wird von jedem von uns viel abverlangt und jeder versucht, irgendwie zu funktionieren: vor seiner Familie, vor seinen Kollegen. Wir hier geben einen geschützten Raum für Trauer. Auf mich als Psychologin müssen Sie mit Ihrer Trauer und Ihrem Schmerz keine Rücksicht nehmen. Da hilft es, dass Sie mich nicht kennen. In der Familie oder gegenüber Ihren Freunden haben Sie vielleicht Angst, diesen zu viel zuzumuten.

Unterschiedlich starke Selbstheilungskräfte

Wer sollte nach so einem schrecklichen Unglück eine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen?

Dr. Alexandra Dittmann-Balcar: Das kann man so pauschal nicht sagen. Menschen verarbeiten ein und dasselbe Erlebnis ganz unterschiedlich. Wer diesen Unfall auf dem Schützenplatz in vorderster Front als Familie oder enger Freund gesehen hat, der ist anders betroffen als ein Freund, der die Nachricht vom Tod erhalten hat. Menschen haben starke, aber auch unterschiedlich starke Selbstheilungskräfte. Wenn jemand früher viel geredet hat und jetzt plötzlich verstummt und auf längere Zeit ganz in sich gekehrt ist, dann wäre das jemand, dem man anraten sollte, sich Hilfe zu holen. Das gilt auch, wenn jemand über längere Zeit schlecht schläft und die Bilder nicht aus dem Kopf bekommt.

Für viele ist Totschweigen eine Form der Trauerbewältigung. Was glauben Sie, wie ein Verein wie die Marsberger Schützenbruderschaft auf Dauer mit diesem schwarzen Tag umgehen wird?

Dr. Alexandra Dittmann-Balcar: Ich denke, die Schützen werden das Geschehen auf jeden Fall zum Teil ihrer eigenen Geschichte machen, um das Andenken an das Opfer zu wahren. Es wird in den ersten Jahren sehr schwierig sein, einen Weg zu finden, ein Fest zu feiern und zugleich an das Unglück von 2015 zu denken.

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Trauer zu zeigen oder fremde Hilfe zu suchen ist für viele ein Zeichen von Schwäche. Gerade ein Schützenbruder wird sich vielleicht schwer tun, ihre Ambulanz aufzusuchen . . .

Dr. Alexandra Dittmann-Balcar: Wie schon gesagt. Trauer ist keine Krankheit, Sie kann aber etwas sein, dass erstmal sehr schwer auszuhalten ist. Daher kann ich nur jeden ermutigen, sich der Trauer zu stellen. Sehr hilfreich kann auch ein gutes Miteinander sein, so etwas habe ich unter den Schützen in Marsberg gespürt. Wem das nicht reicht, der sollte sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Hausarzt sollte erster Ansprechpartner sein

Was muss ich tun, wenn ich ganz konkret Ihre Hilfe brauche?

Dr. Alexandra Dittmann-Balcar: Der Weg führt in der Regel über den Hausarzt; er sollte im günstigsten Fall der erste Ansprechpartner sein, weil er Sie am besten kennt. Das ist aber nicht zwingend erforderlich. Man kann sich auch ohne Überweisung anmelden. Und man sollte keine Scheu haben, unser Hilfsangebot in Anspruch zu nehmen.