Wittgenstein. Start der Kneipen-Serie: Wie viele Kneipen gibt es noch in Wittgenstein und wie hat sich die Kneipenlandschaft verändert? Wir haben die Infos.
Ach was waren das noch schöne Zeiten! Feiern gehen in den Kneipen und Diskotheken. Leckeres Essen im Restaurant. Nicht erst seit der Corona-Pandemie hat sich unser Ausgehverhalten nachhaltig verändert. Es hat sich auch die Art und Zahl gastronomischer Angebote verändert. In unserer neuen Serie zeichnen wir die Entwicklung bei Gaststätten, Restaurants und Kneipen in den drei Wittgensteiner Kommunen – Bad Berleburg, Bad Laasphe und Erndtebrück – nach und sprechen mit dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in Westfalen, Lars Martin.
1. Es gibt weniger Kneipen, Restaurants und gastronomische Angebote insgesamt als noch vor Jahrzehnten. Gleichzeitig wünschen sich aber viele Menschen ein reichhaltiges Angebot. Warum also haben so viele Wirte ihre Zapfhähne nach oben gedreht?
„Das Geschäft ist in den vergangenen Jahren sicherlich nicht einfacher geworden und wir merken gar nicht so sehr, dass die Zahl der Betriebe radikal nach unten gehen“, sagt Martin. Allerdings verlagere sich das Angebot „vom klassischen Landgasthof in den Bereich der Imbiss-Betriebe“. Außerdem gebe es bei Speisen „mit Bäckereien, Tankstellen und Franchise-Schnellrestaurants“ zusätzlich „eine starke Konkurrenz zu den klassisch ländlichen Betrieben, die besonders das Tagesgeschäft schwer machen – der Mittagstisch lohnt sich oft gar nicht mehr“.
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Viele potenzielle Gäste holten sich inzwischen „eher etwas Schnelles auf die Hand“ – wie etwa einen Döner. Und im Abendgeschäft? Bisher hätten sich Gäste abends in der Kneipe getroffen. Doch gebe es heute „vielfältigere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung“, so Lars Martin. Und das Getränke-Geschäft sei „eingebrochen“. Oft ein typisches Szenario: Die nächste Generation wolle den Betrieb nicht mehr übernehmen, weil sie vom Konzept des typischen Landgasthofs nicht mehr überzeugt sei. Und extern fänden die Betriebe oft auch keinen Nachfolger. Dabei nicht selten ein Problem: der „Investitionsstau“, den so eine Immobilie mit sich bringe.
2. Es gibt viele Imbisse und auch zahlreiche Restaurants mit ausländischer Küche. Ist das nicht eine gute Chance für Restaurants mit traditioneller, einheimischer oder regionaler Küche?
„Ja, das merken wir, dass es einen Trend zu saisonaler, regionaler Küche gibt – im authentischen Landgasthaus-Stil, in der südwestfälischen Gaststube.“ Wittgensteiner Krüstchen, Wildgerichte – so etwas werde von den Gästen sehr gut angenommen, habe Martin festgestellt. Allerdings betreffe das in vielen Fällen nur das Abendgeschäft. „Deswegen raten wir als Dehoga auch unseren Betrieben, damit offensiv zu werben, wenn etwa Wild oder Brot vom Bäcker aus der Nachbarschaft verarbeitet wird.“
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Er freue sich persönlich als Gast auch darüber, wenn die Zutaten aus der Region stammten. Und nicht zuletzt sei es eine Frage der Verkaufe: „,Wittgensteiner Bachforelle‘ klingt besser als ,Forelle Müllerin Art‘“, so Martin. Zum saisonalen Angebot habe es gerade der Spargel geschafft. Aber auch das Osterlamm oder die Weihnachtsgans kämen gut an. Bei Gänsen indes seien die Preise gestiegen, hat Martin festgestellt – und er frage sich: Ob das an der Corona-Pandemie liegt?
3. Viele Vereine brauchen keine Vereinskneipe mehr. Dorfgemeinschaftshäuser übernehmen die Funktion von Festsälen für Familienfeiern. Daher die provokante These: Flaschenbier ist der Tod der Gastronomie. Stimmt das?
„Es gibt viele Tode in der Gastronomie“, sagt Lars Martin. Angefangen habe das mit Einführung des Giro-Zahlungsverkehrs. Davor sei sauber verdientes Bargeld aus der Lohntüte oft gleich in der Kneipe ausgegeben worden. Und auch so etwas wie das noch gar nicht so alte Rauchverbot in Gaststätten sei da ein Thema.
Tatsächlich sei „Flaschenbier im Vergleich zum Fassbier sehr viel günstiger“, räumt Martin ein – „Fassbier kostet oft das Doppelte – da kann ein Gastronom oft nicht mithalten.“ Aber als Gast „zahle man ja auch noch für das Ambiente, treffe nette Leute und der Wirt erzählt gute Witze“, gibt der Dehoga-Mann zu bedenken. „Und dann bin ich irgendwo bei einem Bierpreis von zwei Euro pro 0,2 Liter.“ Das Problem der Gastronomen: „Wir müssen uns immer für unsere Preise rechtfertigen – und beim Bier merken wir es ganz deutlich.“ Zum Vergleich die „Para-Gastronomie“, wie es Lars Martin nennt: „Vereinsheime sehen so aus wie eine Kneipe – aber sie werden von Ehrenamtlichen betrieben.“ Hier gebe es einfach keine Lohnkosten, keine Miete – oder die Ausgaben würden über Mitgliedsbeiträge abgedeckt. „Und wenn ich dann auch noch Flaschenbier auf den Tisch stelle…“
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Allein die Personalkosten in der klassischen Gastronomie machen laut Lars Martin 30 Prozent des Umsatzes aus. Seine Faustregel: „Ein Drittel Personal, ein Drittel Ware, zehn Prozent Miete oder Pacht. Und dann noch Energiepreise, die immer weiter steigen.“ Hinzu kämen außerdem Versicherung, Werbung und „Kleinkram“.
Gerade im ländlichen Raum beschwerten sich die Leute, dass ihre Kneipe zumache, weiß der Dehoga-Geschäftsführer aus Erfahrung – „aber sonst gibt man sein Geld lieber woanders aus“. Deshalb habe „jeder Ort genau die Gastronomie, die er verdient“. Ein Kneipenwirt müsse „das Talent haben, die Gäste zu binden“, so Martin. „Aber das ist sicher nicht einfacher geworden die letzten Jahre.“ Außerdem seien „Feiern inflationär geworden“, berichtet er: Vereine organisierten einen „Tanz in den Mai“ oder Events rund um Halloween. Und die Vereinsheime böten ihre Räume zur Miete für Privatveranstaltungen an. Kegeln sei „früher eine sehr verbreitete Sportart“ gewesen – im heimischen Gasthaus. Aber Kegelabende oder auch Stammtische mit einer gewissen Verbindlichkeit, von der eben auch der Wirt profitiere, gebe es kaum noch. „Das war damals der Höhepunkt der Woche, sich mit den Kumpels in der Kneipe zu treffen – heute nicht mehr.“
Der These „Flaschenbier ist der Tod der Gastronomie“ würde er „so nicht zustimmen“, sagt Martin – aber der Fassbierpreis sei der Gastronomie nicht gerade zuträglich.
4. Ein großes Problem ist es heute, das Personal im Service oder in der Küche zu finden. Wie hat sich diese Situation in den vergangenen 20 Jahren verändert?
„Das ist weniger geworden, habe ich gehört“, lacht Lars Martin. „Tatsächlich hatten wir ja schon vor Corona größere Probleme, Fachkräfte zu gewinnen – im ländlichen noch mehr als im städtischen Bereich“, wo ja zum Beispiel oft Studierende kellnerten.
„Mit Corona haben wir unsere Aushilfen in weiten Teilen verloren“, bedauert der Dehoga-Geschäftsführer – „sieben Monate harter Lockdown von November bis Juni“ hätten ihre deutlichen Spuren hinterlassen. „Da haben sich die Leute dann eben etwas anderes gesucht, um Geld zu verdienen“, so Martin. „Die sind erst einmal weg und die haben wir auch nicht wiedergewinnen können.“
Mitarbeiter in der Gastronomie gewinnen – „das wird jetzt die spannende Aufgabe der nächsten Jahre“, so Martin, „weil wir auch merken: Es kommen geburtenschwächere Jahrgänge und es gibt nicht genügend Arbeitskräfte“. Im Grunde könne man „die Leute nur in anderen Branchen abwerben“ – was „ein gegenseitiges Kannibalisieren beim Personal“ bedeute. Und in der Gastronomie gebe es einen riesigen Personalbedarf bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Hier sieht Lars Martin nur einen Ausweg: „Uns fehlen Köpfe – und die kriegen wir nur über einen geregelten Arbeitnehmer-Zuzug aus dem Ausland.“ Ein ähnliches Problem gebe es im Handwerk. „Wir brauchen aber auch attraktive Arbeitsplätze für diese Leute.“ Zugleich machten es sich die Gewerkschaften mit ihren Forderungen nach Lohnerhöhung „etwas einfach“, findet der Dehoga-Geschäftsführer. Und schließlich: Der Landgasthof in griechischer oder chinesischer Hand – auch das sei eine Entwicklung, allerdings auf Unternehmer-Seite.