Philipp Herder, Turn-Ass der Siegerländer KV, trainiert wieder. Warum es nach der Olympia-Absage schwierig ist, neue Motivation zu schöpfen.

Dreis-Tiefenbach/Berlin. Als im April die Absage der Olympischen Sommerspiele und eine Verlegung ins Jahr 2021 verkündet wurde, war dies für Philipp Herder ein Schock. Tokio im Juli/August sollte für den Ausnahmeturner des Bundesligisten Siegerländer KV doch „der“ Saison-, ja Karriere-Höhepunkt sein. Mit 28 Jahren, einem für einen Leistungsturner schon relativ hohen Alter, sollte es für den gebürtigen Berliner doch mit seinem olympischen Wettkampf-Debüt klappen. Vor vier Jahren bei den Spielen in Tokio gehörte Herder zwar zum Aufgebot, kam aber nicht zum Einsatz.

Komplett runtergefahren

Jetzt, vier Jahre später, standen seine Chancen ungleich höher, mit der deutschen Mannschaft in der japanischen Hauptstadt gegen die Besten der Welt im Team-Wettkampf anzutreten. Immerhin hatte Philipp Herder mit seinen starken Leistungen dazu beigetragen, dass sich Deutschland überhaupt erst für die Sommerspiele qualifizierte. Damals war alles noch im Lot, gab es Wettkämpfe am laufenden Band. Dann kam die Corona-Pandemie, wurde alles auf Null gestellt.

Seit Jahren nationale Spitze

Philipp Herder gehört seit vielen Jahren zur nationalen Spitze im Männerturnen und seit rund zehn Jahren die Nummer eins bei der Siegerländer KV.

Die Saison in der 1. Bundesliga wird mit sieben Wettkämpfen vom 3. Oktober bis 21. November ausgetragen.

SKV-Auftaktgegner am „Tag der Deutschen Einheit“ ist auswärts Aufsteiger Eintracht Frankfurt.

„Bei mir war die Luft total raus. Ich habe drei bis vier Wochen erstmal gar nichts gemacht, mich erholt, habe runtergefahren und nur zu Hause ein bisschen was gemacht. Die Wohnung entrümpeln, Steuererklärung und was man halt so macht, wenn man Zeit hat“, plaudert das Kraftpaket aus dem Nähkästchen. Sein Körper dankte es ihm, denn in den Monaten zuvor hatte er ihm viel, teilweise zu viel, zugetraut. 2019 setzte er Körper und Geist derart unter Stress, dass darunter auch die Leistungen litten.

Euin Kraftpaket, das seinem Körper im vergangenen Jahr viel abverlangen musste: Philipp Herder.
Euin Kraftpaket, das seinem Körper im vergangenen Jahr viel abverlangen musste: Philipp Herder. © Lutz Großmann

Mit den schrittweisen Lockerungen und der Bevorzugung von Kader-Athleten für 2021, zu denen auch Philipp Herder gehört, durfte aber auch der SKV-Publikumsliebling wieder in einen anderen Modus, einen für ihn viel schöneren Modus schalten.

Ungewöhnlicher Tagesrhythmus

Im Olympia-Stützpunkt im Europa-Sportforum in Berlin-Hohenschönhausen trainiert „Herdi“ seit nunmehr fast sechs Wochen turnspezifisch – natürlich immer nach den Abstands- und Hygieneregelungen und in kleinen Gruppen. Auch Corona-Tests musste sich der 28-Jährige unterziehen – bislang alle mit negativem Ergebnis.

Morgens Training, danach Physiotherapie, anschließend Online-Vorlesungen, vielleicht noch eine zweite Trainingseinheit, mehr Zeit mit der Freundin verbringen – so hat sich der Alltag des Physik-Studenten an der Berliner Humboldt-Universität in Corona-Zeiten verändert. Komplette Übungen, geschweige denn Küren, absolviert die Nummer eins im SKV-Team (noch) nicht, sondern nur einzelne und neue Elemente.

Mehr Zeit für Uni und Freundin

Den Uni-Abschluss zu schaffen ist die eine Sache, sich neue sportliche Ziele zu setzen die andere. „Ich muss zugeben, dass es in der Anfangszeit nach Wiederaufnahme des Trainings schwierig war mit der Motivation. Man hangelt sich von Woche zu Woche, fühlt sich wie in einem luftleeren Raum“, gibt Philipp Herder zu, „deshalb ist es für mich erstmal wichtig, mich fit zu halten, den Grundlagenbereich zu stärken und gesund zu bleiben.“

Diese Phase wird noch länger andauern, denn vor Oktober dürften keine Wettkämpfe stattfinden. Immerhin bleiben zwei Fixpunkte im letzten Jahresviertel: Die Turn-EM vom 9. bis 13. Dezember in Baku und zuvor die sieben Wettkämpfe in der Deutschen Turn-Liga vom 3. Oktober bis 21. November. Beides sollen für Philipp Herder nur Etappen auf dem Weg nach Tokio 2021 sein, denn einen Start für Deutschland bei den Sommerspielen bleibt sein großer Traum: „Ich hoffe darauf, denn sonst wäre das, was ich hier gerade mache, sinnlos.“